Wer sich Fortuna anvertraut, hat kein Glück
Was taugen Rechtsschutzversicherungen im Ernstfall? saldo fragte jene, dies es wissen müssen, die Anwälte. Das Fazit der Umfrage: Nur zwei von acht Versicherern sind empfehlenswert.
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saldo 19/2003
19.11.2003
Martin Müller
Haben Sie mit Ihrem früheren Arbeitgeber Streit, weil er ein ungerechtes Arbeitszeugnis ausgestellt hat? Wollen Sie sich gegen die überhöhte Nebenkostenabrechnung des Vermieters wehren? Hat Sie ein Rowdy auf der Skipiste verletzt und weigert sich jetzt, Schadenersatz zu bezahlen?
In solchen und vielen ähnlichen Streitfällen stellt sich die Frage, ob sich der Gang zu einem Anwalt und später vor Gericht lohnt. Hohe Kosten, verbunden mit unsicheren Erfolgsaussichten, halten vie...
Haben Sie mit Ihrem früheren Arbeitgeber Streit, weil er ein ungerechtes Arbeitszeugnis ausgestellt hat? Wollen Sie sich gegen die überhöhte Nebenkostenabrechnung des Vermieters wehren? Hat Sie ein Rowdy auf der Skipiste verletzt und weigert sich jetzt, Schadenersatz zu bezahlen?
In solchen und vielen ähnlichen Streitfällen stellt sich die Frage, ob sich der Gang zu einem Anwalt und später vor Gericht lohnt. Hohe Kosten, verbunden mit unsicheren Erfolgsaussichten, halten viele Leute davon ab, ihr Recht einzufordern.
Wer eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, wähnt sich diesbezüglich mindestens vor den finanziellen Folgen sicher. Für ein paar hundert Franken pro Jahr übernimmt die Versicherung alle Anwalts- und Gerichtskosten, wenn es zu einem juristischen Verfahren kommt.
Rund eine Million Rechtsschutzpolicen in der Schweiz
Der Markt ist lukrativ: Auf knapp eine Viertelmilliarde Franken belaufen sich die jährlichen Prämieneinnahmen aller Rechtsschutzversicherer - die grössten Anbieter sind Assista/TCS und Winterthur-Arag mit 25 respektive 22 Prozent Marktanteil. Rund eine Million Schweizerinnen und Schweizer haben eine solche Police abgeschlossen.
Nur zwei der acht Versicherungen empfehlenswert
saldo hat schon mehrfach die Prämien von Rechtsschutzversicherungen verglichen. Dadurch lässt sich leicht ein Hunderter pro Jahr sparen - doch wichtiger ist es, dass man sich im Fall der Fälle auf seine Versicherung verlassen kann. Für Laien ist es schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das Fachchinesisch der Juristensprache und die lockeren Sprüche der Werbung («Wir verschaffen Ihnen Recht - in jeder Situation») sagen nichts darüber aus, wie die Leistungen im Schadenfall konkret ausfallen.
saldo befragte deshalb im Oktober rund 4800 Anwältinnen und Anwälte der Deutschschweiz nach ihren Erfahrungen mit Rechtsschutzversicherern. 542 von ihnen benoteten in einem umfangreichen Fragebogen unter anderem Speditivität, Kompetenz und Kulanz. Die Befragung ist zwar nicht repräsentativ, vermittelt aber aufgrund der Fachkenntnis der Befragten trotzdem aussagekräftige Resultate.
Und diese sind erschreckend: Nur gerade zwei der acht getesteten Versicherungen sind empfehlenswert.
Assista kommt mit 94 von maximal 100 möglichen Punkten auf einen Spitzenwert. Der Assista dicht auf den Fersen ist Coop.
Fortuna: Bei jedem Kriterium die schlechtesten Noten
Zu allen anderen Versicherungen machen die Anwälte mehr oder weniger grosse Vorbehalte. Die CAP gelobt baldige Besserung: «Zurzeit arbeiten wir an einem umfassenden Programm zur Verbesserung unserer Dienstleistungen im Schadenfall.» Die Protekta des Mobiliar-Konzerns und die Winterthur-Arag wiederum machen geltend, dass interne Kundenumfragen eine deutlich bessere Zufriedenheit ergeben hätten.
Die DAS, die auf dem vorletzten Platz landete, hegt Zweifel, ob die saldo-Umfrage repräsentativ ist: Zahlreiche Anwälte hätten gar nicht teilgenommen, weil sie der zugesicherten Anonymität nicht trauten, schrieb DAS. In einem zweiten Schreiben forderte die gleiche DAS saldo auf, mitzuteilen, welche Anwälte ihr denn schlechte Noten erteilt hätten.
Die Rechtsschutzversicherung des Generali-Konzerns hat sich zwar bei der römischen Glücksgöttin den wohlklingenden Namen Fortuna ausgeliehen. Doch die Fortuna-Versicherten haben in der Regel kein Glück: In der saldo-Umfrage erteilten die Anwälte der Fortuna mit Abstand die schlechtesten Noten, und zwar in jedem einzelnen Kriterium. Da hilft es auch nichts, dass die Fortuna vergleichsweise günstige Prämien offeriert.
Marcel Marioni, Leiter der Schadenabteilung, führt die schlechte Benotung darauf zurück, dass Fortuna die Fälle möglichst durch hausinterne Juristen bearbeiten lasse und dies den Anwälten ein Dorn im Auge sei.
Viele Versicherte haben zu hohe Erwartungen
Dagegen zeigt die saldo-Umfrage, dass überdurchschnittlich viele Anwälte feststellen, dass die Fortuna zu viele Fälle als aussichtslos betrachtet und den Kunden zu Unrecht den Rechtsschutz verweigert.
Fortuna-Manager Marcel Marioni bestreitet diesen Vorwurf: «Wir machen nur wohl überlegt und in geringem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch.»
Alle Versicherer haben im Kleingedruckten der Policen einen Passus, der es erlaubt, den Rechtsschutz zu verweigern, wenn der vom Versicherten gemeldete Schadenfall als juristisch aussichtslos gilt (siehe Kasten). Das lässt natürlich verschiedene Interpretationen zu - und von diesem Spielraum machen die Versicherer oft zulasten des Kunden Gebrauch.
«Viele Kunden glauben besser versichert zu sein, als sie es tatsächlich sind», bringt es eine der befragten Anwältinnen auf den Punkt. «Ein Teil der Versicherten hat überzogene Erwartungen, was alles durch die Versicherung gedeckt wird», sagt Bruno Pellegrini vom Anwaltsverband.
Pellegrini hält die Resultate der saldo-Umfrage für durchaus plausibel: «Es gibt sehr grosse Unterschiede. Nicht alle Versicherer verstehen sich in erster Linie als Dienstleister für die Kundschaft.» Dahinter liegt ein klassischer Interessenkonflikt. Die Versicherung will den Fall möglichst günstig erledigen. Der Versicherte hingegen will zu seinem Recht kommen - auch wenn dafür der teure Gang durch alle Gerichtsinstanzen nötig ist.
Freie Anwaltswahl des Versicherten ist garantiert
Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Rechtsschutzkunde nicht einfach einen von der Versicherung bestimmten Anwalt nehmen muss, sondern eine Person seines Vertrauens wählen darf. Schliesslich bestimmt auch nicht die Krankenkasse, welchen Arzt ein Versicherter aufsuchen muss. In diesem Punkt setzen sich die meisten Versicherungsgesellschaften über geltendes Recht hinweg. Ausser der Assista schränken alle Anbieter die freie Anwaltswahl in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen in irgendeiner Form ein. Die Verordnung über die Rechtsschutzversicherung sagt aber klar, dass jeder Vertrag den Kunden die freie Anwaltswahl gewähren muss, falls im Hinblick auf ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ein Vertreter eingesetzt werden muss. Dasselbe gilt bei Vorliegen von Interessenkollisionen. Namhafte Juristen gehen zudem davon aus, dass sich die Notwendigkeit der freien Anwaltswahl zusätzlich aus dem Auftragsrecht und dem Persönlichkeitsschutz ergibt.
Die richtige Rechtsschutzversicherung ist jedenfalls für viele Normalverdiener ohne Vermögen eine gute Investition. Die durchschnittliche Jahresprämie ist bereits nach einer einstündigen Beratung bei einer Anwältin oder einem Anwalt amortisiert.
So kommen Sie zu Ihrem Recht
Auch wer eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, erhält nicht in jedem Streitfall eine Kostengutsprache. Prozesse aus einigen Rechtsgebieten sind nicht versichert (Scheidungen, erbrechtliche Streitigkeiten, Steuerverfahren etc.). Zudem darf die Versicherung die Übernahme von Gerichts- und Anwaltskosten verweigern, wenn der Rechtsstandpunkt des Versicherten als aussichtslos erscheint.
In solchen Fällen muss sie den Kunden aber darauf hinweisen, dass er ein sogenanntes Schiedsverfahren verlangen kann. Ein unabhängiger Anwalt entscheidet dann mit einem Gutachten, ob der Fall wirklich aussichtslos ist. Wichtig: Die Hürden für die Annahme einer Aussichtslosigkeit sind sehr hoch. Nicht einmal verjährte Forderungen sind laut Gerichtspraxis ohne Chancen. Denn vor der Einleitung eines Prozesses ist ungewiss, ob sich eine beklagte Partei auf die Verjährung beruft.
Schiedsverfahren sind deshalb relativ selten. Die saldo-Umfrage unter den Schweizer Anwälten hat dies bestätigt. Wichtig aber: Die Versicherung muss den Kunden schriftlich auf das Schiedsverfahren hinweisen, wenn sie Aussichtslosigkeit geltend macht. Unterlässt sie den Hinweis, gilt das Rechtsschutzbedürfnis laut Verordnung über die Rechtsschutzversicherungen als anerkannt.
res.
Das müssen Sie bei der Wahl einer Versicherung beachten
Bei den meisten Anbietern können Sie wählen zwischen einer Rechtsschutzversicherung für den Verkehrsbereich (Kauf, Verkauf, Miete und Reparatur von Autos, zum Teil auch für Vorfälle als Fussgänger, Velofahrer oder Passagier in öffentlichen Verkehrsmitteln) oder den Privatbereich (Miet- und Arbeitsrecht, Kauf- und Darlehensverträge, Streit mit Versicherungen) oder einer kombinierten Lösung. Prüfen Sie, ob Sie den einen oder anderen Bereich nicht schon bei der Gewerkschaft, dem Mieterverband, dem Verkehrsclub oder anderswo abgedeckt haben. Je nach Anbieter sind Schadenfälle im Ausland (Europa, Mittelmeerländer) mitversichert - überlegen Sie, ob Sie die Auslanddeckung wirklich brauchen.
Familienrechtliche Streitigkeiten (Eheschutzverfahren, Scheidung, Erbrecht) sowie Steuerverfahren sind bei keinem Anbieter mitversichert - bei den meisten Anbietern auch keine Strafverfahren. Einige Versicherer bieten den Kunden in solchen Fällen aber eine Beratung durch interne oder externe Juristen an.
Gewisse Versicherer bieten unterschiedliche Policen für Mieter respektive Hauseigentümer an. In der Tabelle (siehe Seite 16/17) wurden die Prämien für Mieter berücksichtigt. Im gleichen Haushalt lebende Ehepaare, Konkubinats- und gleichgeschlechtliche Paare können vergünstigt eine gemeinsame Versicherung abschliessen (siehe Hinweis «Einzelperson/Familie»).
Je nach Versicherung sind die Abläufe im Schadenfall anders: Achten Sie darauf, ob Sie die Versicherung bloss informieren müssen, wenn Sie sich einen Anwalt suchen, oder ob die Versicherung der Wahl des Anwalts zustimmen muss. Auch wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen anderes vorsehen: Bestehen Sie auf Ihrem Recht, einen Anwalt Ihrer Wahl bestimmen zu dürfen. Auf der Homepage des Schweizerischen Anwaltsverbandes (www. swisslawyers.com) finden sich Experten für das gewünschte Fachgebiet.
Schliessen Sie nur Policen für ein Jahr ab. So können Sie den Versicherungsschutz regelmässig Ihren wirklichen Bedürfnissen anpassen.