Viele Weine werden ohne Sorgfalt gekeltert
Das bereitet Kopfschmerzen: Jeder dritte Rotwein wies im saldo-Test einen erhöhten Histaminwert auf. Sechs Weine schnitten gar ungenügend ab.
Inhalt
saldo 15/2006
27.09.2006
Claudine Gaibrois
Nicht immer liegts daran, dass man einen über den Durst getrunken hat. Manchmal kommt der Brummschädel nach dem Weingenuss auch davon, dass der Tropfen zu viel von einem Stoff enthielt, den kaum einer kennt: Histamin. In grossen Mengen kann es Kopfschmerzen, Hautausschläge, Übelkeit und Erbrechen auslösen.
Histamin hat im Wein nichts verloren. Manchmal entwickeln sich nach der Gärung im Fass jedoch schädliche Milchsäurebakterien. Diese zersetzen bestimmte Eiweissbestandtei...
Nicht immer liegts daran, dass man einen über den Durst getrunken hat. Manchmal kommt der Brummschädel nach dem Weingenuss auch davon, dass der Tropfen zu viel von einem Stoff enthielt, den kaum einer kennt: Histamin. In grossen Mengen kann es Kopfschmerzen, Hautausschläge, Übelkeit und Erbrechen auslösen.
Histamin hat im Wein nichts verloren. Manchmal entwickeln sich nach der Gärung im Fass jedoch schädliche Milchsäurebakterien. Diese zersetzen bestimmte Eiweissbestandteile. So entsteht Histamin. Nicht alle Weine sind gleich anfällig: In Rotwein bildet sich in der Regel mehr davon als in Weisswein.
In erster Linie hat es aber der Winzer in der Hand, ob ein Wein viel von der ungesunden Substanz enthält: «Durch regelmässige Kontrollen lässt sich Histamin im Wein weitgehend vermeiden», sagt Daniel Pulver, Weinexperte bei der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW. Die für die Histaminentstehung verantwortlichen Bakterien seien unter dem Mikroskop gut zu erkennen. Man könne sie durch Filtration leicht beseitigen.
Keinerlei Deklarationspflicht für Histamin
Das Gesetz schreibt zwar einen Toleranzwert für den unerwünschten Stoff vor: Enthält ein Wein mehr als 10 Milligramm Histamin pro Liter, gilt er als «verunreinigt oder sonst im Wert vermindert», erklärt Pierre Studer, Zuständiger für Wein beim Bundesamt für Gesundheit.
Trotzdem finden Weinliebhaber auf der Flasche keine Hinweise auf den Histamingehalt. Grund: Eine Deklarationspflicht existiert nicht - im Gegensatz zum ebenfalls problematischen Inhaltsstoff Sulfit. Dieser muss schon jetzt in der EU und ab der Ernte 2007 auch in der Schweiz auf der Etikette deklariert werden (siehe saldo 14/05). Ein Hinweis auf den Histamingehalt ist gemäss Studer kein Thema. Denn: «Im Gegensatz zu den Sulfiten wird Histamin nicht absichtlich zugegeben.» Der Hersteller sei für die Qualität des Weins verantwortlich.
Kurz: Der Kunde wird im Ungewissen gelassen. Darum beauftragte saldo das Genfer Amt für Konsumentenschutz, fünfzig Flaschen Rotwein auf ihren Histamingehalt zu untersuchen. Wegen ihrer besonderen Anfälligkeit für die Entstehung von Histamin stammte über die Hälfte der Weine aus Italien und Spanien. Daneben wurden Weine aus der Schweiz, Frankreich, Portugal, Bulgarien, Marokko, Argentinien, Chile, Australien, den USA und Südafrika getestet. saldo kaufte bei insgesamt sieben Anbietern ein - und zwar vorwiegend deren Verkaufsrenner im mittleren Preissegment zwischen 10 und 15 Franken.
Auch zwei Bio-Weine mit deutlich erhöhten Werten
Die Ergebnisse: Ein knappes Drittel der Weine enthält mehr als 5 Milligramm Histamin pro Liter. Gemäss Daniel Pulver von Agroscope gilt ein über diesem Wert liegender Gehalt als «erhöht». Unter diesen Weinen sind vier mit einem «deutlich erhöhten» Gehalt von über 7,5 Milligramm Histamin pro Liter. saldo hat sie deshalb als unbefriedigend bewertet. Alle vier Proben stammen aus Spanien oder Italien. Unerfreulicherweise sind darunter auch zwei Bio-Weine: einer von Carrefour, einer von der Weinhandlung am Küferweg, eingekauft im Bioladen Paradiesli, Zürich.
Zwei Weine von Coop mit der Note «mangelhaft»
Zwei Weine schliesslich weisen deutliche Toleranzwert-Überschreitungen auf: der Rioja Las Flores Reserva 1999 und der Primitivo di Manduria 2004. Beide wurden bei Coop eingekauft. Ausgerechnet der besonders schlechte Primitivo wird zurzeit im Tausch gegen Superpunkte angeboten. «Diese beiden Weine müssen als qualitativ beeinträchtigt angesehen werden», urteilt der Agroscope-Weinexperte. Sie erhielten von saldo die Note «mangelhaft».
Getestet wurden auch einige Weine der Billig-Supermarktkette Aldi im Preissegment zwischen 3 und 8 Franken. Teurere Weine gibt es dort nicht zu kaufen. Die Billigweine haben eher gut abgeschnitten. Der Agroscope-Fachmann ist nicht überrascht: «Man kann davon ausgehen, dass günstige Weine meist nur kurze Zeit im Stahltank oder im Holzfass ausgebaut werden. In einem hochwertigen Wein kann also unter Umständen mehr vom ungesunden Stoff drin sein als in einem Billigwein.»
Italienischer und spanischer Wein eher stärker belastet
saldo hat die Anbieter der ungenügenden Weine mit den Laborresultaten konfrontiert. Felix Wehrle, Leiter Kommunikation bei Coop, bedauert, dass von 14 geprüften Weinen 2 den Toleranzwert überschreiten. «Selbstverständlich werden wir von den Lieferanten eine Stellungnahme verlangen und die Weine im eigenen Labor prüfen lassen.» Bei den mangelhaften Weinen, die unter dem Toleranzwert lagen, besteht für die betroffenen Anbieter aber kein Handlungsbedarf.
Allgemein decken sich die Testergebnisse mit den Resultaten früherer Untersuchungen, sagt Pulver. So bestätigt der saldo-Test etwa, dass italienische und spanische Weine tendenziell mehr Histamin enthalten als andere. Diese waren in der Untersuchung im Vergleich zu Weinen anderer Herkunft allerdings auch übervertreten. Bordeaux-Weine etwa hätten möglicherweise auch nicht besonders gut abgeschnitten.
Histamin-Intoleranz: Frauen häufiger betroffen als Männer
saldo hat nur Weine mit einem deutlich erhöhten Histamingehalt negativ bewertet. Für manche Menschen aber ist bereits ein viel tieferer Wert ein Problem: 1 bis 5 Prozent der Erwachsenen leiden an einer Histamin-Intoleranz. Bei Frauen ist die Krankheit verbreiteter als bei Männern.
Die Betroffenen vertragen den Stoff schlecht. Ihr Körper hat Mühe, das Histamin abzubauen. Dies kann Rötungen, migräneartige Kopfschmerzen, Schwellungen der Nasenschleimhaut, Nasenfliessen und Atembeschwerden zur Folge haben.
Für Menschen mit einer Histamin-Intoleranz bietet der saldo-Test eine Einkaufshilfe. Manche der getesteten Weine enthalten mit weniger als 1 Milligramm pro Liter kaum Histamin, etwa der Los Vascos 2004 von Coop, der Robert Mondavi Woodbridge 2003 von Denner oder der Château Lauvergnac 2004 von Aldi.
Histamin: Nicht nur im Wein enthalten
Auch andere Lebensmittel enthalten Histamin - zum Teil sogar viel mehr als Wein. So stecken etwa in Wurstwaren bis zu 300 Milligramm Histamin pro Kilogramm, in Thunfisch gar bis zu 13 000 Milligramm. Das Tückische beim Wein ist jedoch: Der Alkohol vermindert die Fähigkeit des Körpers zum Abbau von Histamin drastisch.
Die EU will den Toleranzwert aufheben
Die Schweiz kennt als einziges Land der Welt einen Toleranzwert für Histamin in Wein.
Damit soll sichergestellt werden, dass die Winzer die sogenannte gute Herstellungspraxis einhalten.
Diesen Toleranzwert wird es aber in Zukunft möglicherweise nicht mehr geben: Im ersten bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union hat sich die Schweiz im Bereich Wein zur gleichen Gesetzgebung wie die EU verpflichtet. Das zuständige Bundesamt für Gesundheit hat von der Europäischen Union denn auch bereits die Aufforderung bekommen, auf den Histamin-Toleranzwert zu verzichten.
Menüplan für Histamin-Allergiker
- Rotwein meiden, vor allem Rioja, Chianti und Bordeaux.
- Auf rohe, geräucherte und gepökelte Wurstwaren verzichten. Frisches oder tiefgekühltes Fleisch ist jedoch unproblematisch.
- Keinen Thunfisch, Hering, keine Sardinen oder Makrelen essen - besonders nicht als Konserve. Stattdessen frischen oder tiefgekühlten Fisch bevorzugen (Dorsch, Flunder, Forellen).
- Alle Hart-, Weich- und Schmelzkäse meiden. Frischkäse, Hüttenkäse und Quark wählen.
- Kein Sauerkraut oder in Essig eingelegtes Gemüse essen.
- Auf Trockenhefe und besonders luftige Backwaren verzichten.
- Kombinationen von histaminhaltigen Nahrungsmitteln (zum Beispiel Rotwein und Käse) meiden.