Knapp 5,7 Milliarden Franken gaben Schweizer Patienten 2007 für Medikamente aus – 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Medikamente machten damit 10 Prozent aller Gesundheitskosten aus. Fast eine Milliarde entfiel allein auf die 15 umsatzstärksten Mittel. Diese behandeln meist häufige und schwer heilbare Krankheiten wie Depressionen oder hohe Cholesterinwerte. 14 von 15 Mitteln sind patentgeschützte Originalpräparate, für die es keine billigen Nachahmerprodukte gibt. Alle stehen auf der «Spezialitätenliste» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Sie schreibt vor, welche Arzneimittel die Kassen vergüten müssen. Die Kosten übernehmen die Prämienzahler.
Erstaunlich ist, wie wenig die Fabrikation der Verkaufsschlager die Hersteller kostet. Die Menge Wirkstoff in einer Packung macht meist nur 1 bis 3 Prozent des Apothekenverkaufspreises aus. Wirkstoffe in Präparaten wie Voltaren oder Aspirin, deren Patentschutz längst ausgelaufen ist, sind nicht teurer.
Der günstige Preis der Wirkstoffe gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Branche. «Alle Hersteller arbeiten mit Geheimhaltungsverein-
barungen», sagt ein Basler Pharmamanager, der namentlich nicht genannt werden will. Transparenz schafft der Wiener Medizinjournalist Hans Weiss und Autor des Buches «Korrupte Medizin» (saldo 7/09). Er gab sich als Pharmabera-
ter aus und holte bei europäischen und chinesischen Fabrikanten Offerten für grössere Mengen Wirkstoffe ein. Entsprechende Zahlen liegen saldo vor.
Auch die übrigen Kosten, zum Beispiel für das Tablettenpressen oder Verpacken, belasten die Pharmafirmen kaum. «Alle Herstellungskosten machen maximal 20 Prozent des Fabrikabgabepreises aus», sagt der Pharmamanager. Häufig liegen sie tiefer.
Stattdessen reden Pharmakonzerne lieber über ihre hohen Investitionen in die Forschung. Laut Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, koste die Entwicklung eines Medikaments zunehmend mehr, im Schnitt 1,5 Milliarden Franken.
Mehr Investitionen in Werbung als in Forschung
Für Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber des Fachblatts «Pharmakritik», ist das kein Wunder. Gegen viele Krankheiten seien wirksame Präparate auf dem Markt. «Es wird daher immer aufwendiger, etwas Neues zu entwickeln», sagt er. Andererseits ist unklar, was genau die Pharmafirmen als Forschungskosten budgetieren. Eine Untersuchungskommission des britischen Parlaments erklärte vor kurzem, dass die Grenzen zu den Werbeausgaben fliessend seien. Auch stammen viele Anstösse für neue Präparate – etwa gegen Bluthochdruck – aus staatlichen Hochschulen.
Viele Firmen stecken viel mehr Geld ins Marketing als in die Forschung. So kam die US-Konsumentenorganisation Public Citizen in einer Studie zum Schluss, dass die Pharmabranche 2003 30,8 Prozent in Werbung, Verkauf und Verwaltung investierte, aber nur 14 Prozent in die Forschung.
Die Reingewinne
liegen bei satten 20 bis 40 Prozent Wozu pumpt die Branche Milliarden ins Marketing? In der Schweiz und der EU ist es verboten, bei Patienten für rezeptpflichtige Medikamente zu werben. Auch sollten Ärzte Arzneien nach bestem Wissen und Gewissen verschreiben. Deshalb verklären die Hersteller ihre Werbung gerne als Produktinformation für Ärzte. Autor Hans Weiss entgegnet: «Die Pharmaindustrie infiltriert und dominiert weite Bereiche der Medizin.» So ködern die Pharmafirmen Ärzte gerne mit Musterpackungen oder Gratisnachtessen, auch kaufen sie positive Urteile von Meinungsbildern über einzelne Produkte. Das Ziel: Ärzte sollen neue, teure Mittel verordnen, die oft nicht mehr taugen als billige Vorgänger.
Unter dem Strich bleiben den Pharmafirmen Renditen zwischen 20 und 40 Prozent. So meldete der Basler Roche-Konzern für 2008 10,8 Milliarden Franken Gewinn. Das sind sagenhafte 30 Prozent des Umsatzes. Konkurrent Novartis kam auf 8 Milliarden Reingewinn, das sind rund 20 Prozent des Umsatzes.
Beide Konzerne erhöhten umgehend die Dividenden ihrer Aktionäre. Pharma-Expertel Etzel Gysling sieht deshalb viel Spielraum für tiefere Preise.
Pharmaindustrie nimmt grossen Einfluss bei der Preisgestaltung
Bis heute hat der Bundesrat wenig unternommen, um die Medikamentenpreise zu senken. Beispiel: Verschreibungspflichtige Präparate. In der Regel legt das BAG deren Preise fest, indem es den Vorschlägen der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) folgt. «Die Pharmabranche hat hier zu viel Einfluss und kann so hohe Preise durchsetzen», kritisiert Felix Schneuwly vom Krankenkassenverband Santésuisse. So sässen in der EAK viele industrienahe Experten. Auch habe jeder Hersteller ein Rekursrecht gegen die amtlichen Preisvorgaben.
Sandra Meier von Interpharma bestreitet, dass die Branche die Preise absichtlich hoch halte: «Patentgeschützte Medikamente kosten heute in der Schweiz in der Regel nicht mehr als im vergleichbaren
europäischen Ausland.» Sie verschweigt, dass patentfreie Generika in der Schweiz viel teurer sind. Auch hat das BAG Schweizer Preise bisher nur mit denen aus Hochpreisländern verglichen und günstigere Länder wie Italien oder Frankreich ausgeklammert (saldo 6/09).
Gesetzliche Richtlinien sorgen ebenfalls für höhere Preise. Laut Gesetz dürfen Hersteller «innovativer Medikamente» Preisaufschläge von 10 Prozent verlangen, falls sie die erhöhte Wirksamkeit ihres Präparats oder weniger Nebenwirkungen nachweisen. «Schweizer Behörden haben nicht die Ressourcen, um diese Nachweise angemessen zu prüfen», sagt Etzel Gysling. Nur sehr wenige neue Mittel sind echte Innovationen, von denen der Patient profitiert. Viele verursachen nur einen neuen Kostenschub für die Kassen.
Generika: Günstigerer Preis, gleicher Behandlungserfolg
Als Scheininnovation gilt etwa das umsatzstärkste Schweizer Medikament Sortis. Der Cholesterinsenker ist etwa doppelt so teuer wie das Generikum Simvastatin, ohne dass ein Vorteil belegt ist. Das Gleiche gilt für Nexium: Astra Zeneca brachte das Mittel gegen Sodbrennen und Magengeschwüre 2001 auf den Markt, als der Patentschutz des Vorgängers Prilosec auslief. Laut Marcia Angell, Ex-Herausgeberin des «New Journal of Medicine», änderte der Konzern die Zusammensetzung des bisherigen Medikaments ein wenig, taufte es um und drückte es mit einem Werbefeldzug auf den Markt. Laut der deutschen Ärzteorganisation «Kassenärztliche Vereinigung» erzielen jedoch «kostengünstigere Generika den gleichen Behandlungserfolg» wie Nexium.
Für Markus Fritz von der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle sorgt der «Innovationszuschlag» für weitere Preisverzerrungen. Hustenlindernde Medikamente etwa kosten mehr als das Antibiotikum, das die Infektion bekämpft. «Es ist ein Irrsinn, wenn das Komfortprodukt teurer ist als das bewährte Mittel zur Grundversorgung», sagt Fritz.