Sprudelnd sauberes Wasser fliesst zwischen majestätischen Felsen hindurch – so stellt die Werbung die Quellen des Mineralwassers gerne dar. Manchmal ist das Wasser aber nicht so sauber, wie es scheint. In zwei von 20 Produkten fand saldo Pilzvernichtungsmittel:
«Vittel Natürliches Mineralwasser»: In diesem stillen Wasser wies das Labor Rückstände von Chlorothalonil nach. Schweizer Bauern setzten dieses Pestizid seit den Siebzigerjahren im Wein- oder Getreideanbau ein. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit geht davon aus, dass das Fungizid Krebs auslösen kann. Seit Anfang Jahr darf Chlorothalonil in der Schweiz deshalb nicht mehr eingesetzt werden. Im Boden wird es aber noch längere Zeit vorhanden sein.
«Aquella Natürliches Mineralwasser»: Das stille Wasser aus der Migros enthielt Rückstände von Tolylfluanid. Dieses sehr langlebige Pestizid wird zum Beispiel im Obstanbau eingesetzt. Das Wasser stammt wie die beiden anderen von der Migros vertriebenen Produkte aus der Walliser Ortschaft Aproz. Betroffen war aber nur die für Aquella genutzte Quelle – Aproz und M-Budget enthielten keine Pestizidrückstände.
Schadstoffe können sich gegenseitig verstärken
Weder Aquella noch Vittel überschritten geltende Schweizer Grenzwerte. Allerdings ist Trinkwasser bei weitem nicht die einzige Pestizidquelle für den Menschen. So fanden saldo und der «K-Tipp» schon Pestizidrückstände in Wein, Erdbeeren und in normalem Hahnenwasser. Experten gehen davon aus, dass sich die Schadstoffe gegenseitig verstärken. Die konkreten Folgen solcher Chemiecocktails für die Gesundheit sind weitgehend unerforscht.
Die Migros schreibt, dass man bis anhin nie Tolylfluanid im Wasser entdeckt habe und die Messungen ernst nehme. Man werde die nächsten zwölf Monate regelmässig testen, ob der Fund von saldo ein Einzelfall gewesen sei oder ob das Pestizid regelmässig auftrete. Weiter werde man eine Untersuchung einleiten, um zu verhindern, dass jemand dieses verbotene Pestizid im Einzugsgebiet der Quelle einsetze.
Vittel-Abfüllerin Nestlé teilt mit, man habe in eigenen Untersuchungen keine Pestizidrückstände festgestellt. Vittel halte alle relevanten Vorschriften für Pestizide ein.
Übrigens: In der Schweiz ist es verboten, das Wasser aus einer Quelle unter unterschiedlichen Namen zu vermarkten. Deshalb ist davon auszugehen, dass die im stillen Wasser gemessenen Werte auch für das Mineralwasser mit Kohlensäure der gleichen Marke gelten.
Neben Pestiziden ist auch Mikroplastik im Mineralwasser ein Problem. Das zeigte unter anderem ein saldo-Test vom Juni 2019 (saldo 11/2019). Fündig wurde saldo damals im «Mineralwasser still» von Saskia sowie dem «Swiss Alpina mit Kohlensäure» von Coop (Qualité & Prix). Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zeigten Studien mit Nagetieren, dass sich kleine Partikel in Organen anreichern können. Ausserdem ist Mikroplastik für die Umwelt ein Problem. Die Kunststoffpartikel verschmutzen die Meere. Unter anderem konnten sie schon in Muscheln und Meersalz nachgewiesen werden.
«Interessen von Industrie und Landwirtschaft werden hoch gewichtet»
Vier Fragen an Professor Urs von Gunten, Abteilung Wasserressourcen und Trinkwasser der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH.
saldo: Sind Sie überrascht, dass in Mineralwasser Pestizidrückstände gefunden wurden?
Urs von Gunten: Nein. Wasser zirkuliert in einem Kreislauf. Wenn viele Pestizide benutzt werden, dann tauchen sie irgendwann auch im Quellwasser und im Grundwasser auf.
Wie lange bleiben die Stoffe in der Umwelt?
Von Gunten:Das kann Jahrzehnte dauern. Einige Pestizide wie etwa Atrazin bauen sich nur sehr langsam ab. Und bei Quellwasser oder Grundwasser kann es Jahrzehnte dauern, bis die Substanzen komplett ausgewaschen oder abgebaut sind.
Rechnen Sie damit, dass Mineralwasser künftig noch mehr Pestizidrückstände enthalten könnte?
Von Gunten: In der EU sind 100 000 Chemikalien registriert. Etwa 30 000 sind im täglichen Einsatz. Einen Teil davon wird man früher oder später im Wasser finden. Die neuen Substanzen entdeckt man nicht sofort. Zudem werden die Abbauprodukte oft erst mit der Zeit bekannt. Wie etwa beim Chlorothalonil.
Wie kann man verhindern, dass immer mehr Pestizide im Trinkwasser landen?
Von Gunten:Pestizide sollten erst dann eingesetzt werden dürfen, wenn klar ist, dass keine schädlichen Rückstände oder Abbauprodukte in der Umwelt zurückbleiben. Das sollte mit dem Vorsorgeprinzip beim Wasser eigentlich schon heute der Fall sein. In der Realität ist das aber häufig nicht der Fall. So werden etwa die Interessen der Industrie und der Landwirtschaft hoch gewichtet. Es braucht eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wie der Schutz der Umwelt und der Menschen im Vergleich zu anderen Interessen gewichtet werden soll.
So wurde getestet
Ein auf Wasseruntersuchungen spezialisiertes Labor hat in 20 stillen Wassern aus der Schweiz und aus dem Ausland nach verschiedenen Pestiziden sowie deren Abbauprodukten gesucht.
Untersuchungsschwerpunkt war das seit Anfang Jahr verbotene Pilzvernichtungsmittel Chlorothalonil. saldo suchte nach sechs Abbauprodukten dieses Pestizids – und damit nach deutlich mehr als die Kantonslabors bisher in ihren eigenen Wasseruntersuchungen. Weiter suchten die Experten auch nach langlebigen Pestiziden wie Atrazin, Simazin und Tolylfluanid.