Nicht alle Velohelme schützen den Kopf genügend
Vier von zwölf Velohelmen bestanden den saldo Sicherheitstest nicht: Sie schützen den Kopf im Falle eines Sturzes nur ungenügend.
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saldo 8/2007
02.05.2007
Jeannette Büchel
Velohelm tragen. Oder beten», heisst es in der aktuellen Kampagne der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva). Die beiden Organisationen wollen möglichst viele Menschen animieren, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen. Grund: Die BFU hat berechnet, dass bei einer Velohelmtragquote von 100 Prozent in der Schweiz jährlich rund 20 Getötete und rund 1000 Kopfverletzungen verhindert werden könnten. Zwar tragen immer mehr Menschen ei...
Velohelm tragen. Oder beten», heisst es in der aktuellen Kampagne der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva). Die beiden Organisationen wollen möglichst viele Menschen animieren, beim Fahrradfahren einen Helm zu tragen. Grund: Die BFU hat berechnet, dass bei einer Velohelmtragquote von 100 Prozent in der Schweiz jährlich rund 20 Getötete und rund 1000 Kopfverletzungen verhindert werden könnten. Zwar tragen immer mehr Menschen einen Velohelm, doch gerade Jugendliche und Senioren, die häufig in schwere Unfälle verwickelt sind, sind oft «oben ohne» unterwegs.
Wer einen Velohelm kauft, geht davon aus, dass dieser bei einem Sturz genügend Sicherheit bietet. Zwar tragen alle Helme einen Kleber mit dem Aufdruck «EN 1078», was bedeuten soll, dass sie die Sicherheitsvorschriften der europäischen Norm für Velohelme erfüllen. Doch der saldo-Test zeigt, dass man sich auf die Angaben der Hersteller nicht verlassen darf: Vier von zwölf Modellen bestanden die Sicherheitsprüfung nicht. Die restlichen acht Modelle bieten einen guten Schutz.
Für den Test ausgewählt wurden zwölf Velohelme mit Preisen zwischen 29 und 149 Franken, darunter Modelle von namhaften Herstellern, die vorwiegend im Fachhandel erhältlich sind, sowie Helme, die als günstigere Eigenmarken von Grossverteilern verkauft werden.
Veloplus Escape: Stossdämpfende Wirkung zu klein
Durchgeführt hat den Test die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in St. Gallen. Untersucht wurden drei Sicherheitsaspekte: wie gut der Helm einen Schlag dämpft, ob sich der Helm vom Kopf abstreifen lässt und wie verlässlich die Tragriemen sind.
Die Fachleute der Empa erprobten die Schutzwirkung im Labor an einem genormten Prüfkopf aus Aluminium. Dazu wurde der Helm auf den Prüfkopf gesetzt. Dieser prallte anschliessend aus einer bestimmten Höhe auf einen Stahlamboss. Dieses Prozedere wurde bei jedem Helm viermal durchgeführt, um unterschiedliche Situationen wie einen Sturz auf einen flachen Untergrund oder auf eine Trottoirkante zu simulieren. Ein Sensor im Prüfkopf mass nach jedem Aufprall, wie stark die Belastung für den Kopf war. Die Norm 1078 erlaubt einen maximalen Messwert von 250 g, wobei g für die Erdbeschleunigung steht.
Ein Helm versagte bei dieser wichtigen Prüfung: Beim Modell Escape von Veloplus massen die Tester bedenkliche 314 g. Im Falle eines Sturzes ist die stossdämpfende Wirkung dieses Helms viel zu klein. Martin Wunderli von Veloplus schreibt: «Der Helm wurde vom EU-zertifizierten Prüfinstitut CSI in Mailand nach der Norm EN 1078 geprüft. Alle im CSI geprüften Helme haben bei der Ermittlung der Stossdämpfungseigenschaft sehr gut abgeschnitten und wurden europaweit zertifiziert. Sie gelten als sicher und empfehlenswert.» Wunderli belegt dies mit einem Prüfbericht des CSI aus dem Jahre 2001.
Von sehr guten Stossdämpfungseigenschaften kann aber keine Rede sein, denn aus dem sechs Jahre alten Bericht geht hervor, dass bereits damals ein Messwert von 242 g hart an der Grenze des Zulässigen war. Um die Situation zu klären, wolle man den Helm nochmals beim CSI prüfen lassen und mit der Empa die «offensichtlich unterschiedliche Auslegung der Testmethode prüfen», so Wunderli. Doch die Empa macht keine Abstriche in Sachen Sicherheit. «Wir haben alle Helme nach Norm geprüft. Die Messergebnisse sind eindeutig», sagt Prüfleiter Pierluigi Barbadoro.
Abstreiftest: Uvex, Crosswave und Stoke pro fielen durch
Bei einem Sturz darf sich der Velohelm nicht vom Kopf lösen. Beim sogenannten Abstreiftest prüften die Empa-Fachleute, ob der Helm auf dem Kopf sitzen bleibt. Dazu wurde der Helm erneut auf den Prüfkopf gesetzt und auf der Hinterseite ein Haken befestigt, der wiederum an einem Drahtseil angebracht war. Dann wurde der Haken ruckartig schräg nach oben und vorne gezogen. Drei Helme bestanden diesen Norm-Test nicht: Uvex XP, Crosswave Corsica und Stoke pro. Bei diesen drei Modellen ist die Gefahr gross, dass sie sich bei einem Sturz vom Kopf lösen und dieser dann ungeschützt ist. Bei allen drei Helmen brachen Kunststoffteile ab, sodass der Tragriemen hinten aus der Helmschale gezogen wurde.
Migros-Sprecher Urs Peter Naef schreibt zum ungenügenden Ergebnis des Crosswave: «Dieser Helm wurde vom TÜV Rheinland zertifiziert nach EN 1078. Es fanden seither keine Konstruktions- und Produktionsänderungen statt. Wir können nicht von einem Produktionsfehler ausgehen, da uns weder aus der EU noch aus der Schweiz irgendwelche Meldungen oder negative Testergebnisse vorliegen.» Ochsner Sport veranlasste eigene Nachprüfungen für das Modell Stoke pro. Uvex will ebenfalls Abklärungen treffen und eine Stellungnahme zum mangelhaften Ergebnis nachreichen.
Die meisten Fahrradhelme bestehen aus einem geschäumten Styropor-Material, das aussen durch eine Kunststoff-Hartschale abgedeckt ist. Der Helm wird durch ein Gurtsystem am Kopf befestigt. Die Empa-Tester prüften auch, wie belastbar diese Trageeinrichtung ist. Beim Test wurde der Kinnriemen mit einer bestimmten Kraft nach unten gezogen. Dabei durfte sich das Gurtsystem nicht verschieben und der Verschluss musste noch geöffnet werden können. Diese Prüfung bestanden elf Helme ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Beim Veloplus-Helm konnte sie gar nicht durchgeführt werden, weil bereits bei der Schlagprüfung der Kunststoffbeschlag brach, sodass sich die Trageeinrichtung vom Helm löste.
Modell Aerogo: Günstiger Helm mit guten Noten
Übrigens: Wer seinen Kopf optimal schützen will, braucht dafür nicht zwingend viel Geld auszugeben. Einmal mehr zeigte sich, dass Qualität keine Frage des Preises ist. Der günstigste Helm im Test, Aerogo von Jumbo (29 Franken), erreichte beinahe gleich gute Noten wie die teureren Markenhelme von Giro und Bell. Ausgerechnet der mit 149 Franken teuerste Helm Escape von Veloplus landete auf dem letzten Platz.
Tipps zum Kauf des richtigen Velohelms
- Helm immer anprobieren. Auf Grössenangaben der Hersteller kann man sich nicht verlassen. Sie geben oft einen ungenauen Schutzbereich an. Auch wer einen möglichst leichten Helm möchte, darf den Angaben nicht trauen. Die Helme sind oft schwerer als angegeben.
- Der Helm soll gut sitzen ohne zu drücken, darf aber auch nicht wackeln. Kinderhelme sollten nicht zu gross gekauft werden.
- Den Helm gut einstellen lassen: Der Helm muss waagrecht auf dem Kopf sitzen, der Rand sollte sich zwei Finger breit über der Nasenwurzel befinden. Sitzt der Helm zu weit hinten oder schräg, sind Gesichts- und Stirnpartie nicht geschützt. Sind die Seitenbänder richtig eingestellt, umrahmen sie das Ohr in Form eines Y. Der Helm darf nicht rutschen, deshalb den Kinnriemen so anziehen, dass knapp ein Finger unter dem Riemen Platz hat. Eine bebilderte Anleitung gibts auf www.velohelm.ch.
- Die Lüftungsschlitze sollten mit einem Netz versehen sein, damit keine Insekten in den Helm fliegen.
- Wer oft in der Dämmerung oder nachts unterwegs ist, sollte sich einen lichtreflektierenden Helm anschaffen.
- Nach einem Sturz oder harten Schlag sollte der Helm ausgewechselt werden. Auch wenn von aussen nichts zu sehen ist, kann die Innenschale beschädigt sein, sodass die Stossdämpfung nicht mehr genügend ist.
- Keine Ladenhüter kaufen. Angaben zum Herstelldatum finden sich meist im Helminnern. Fachleute empfehlen, einen häufig gebrauchten Helm nach rund fünf Jahren zu ersetzen, auch wenn er nicht beschädigt ist. Durch Licht, Temperatur und Feuchtigkeit altert das Material, sodass der Helm nicht mehr den gleichen Schutz bietet.
- Nur mit Wasser und Seife reinigen. Lösungsmittel können den Kunststoff beschädigen.
Kinder-Velohelme im Test
Nur 56 Prozent aller Kinder tragen beim Velofahren einen Helm - obwohl gerade Kinder und Jugendliche auf der Strasse überdurchschnittlich häufig schwer verunfallen. Ein guter Kopfschutz ist deshalb für Kinder besonders wichtig.
Der deutsche Automobilclub ADAC hat Kinderfahrradhelme für 6- bis 13-Jährige getestet. Bewertet wurde neben der Sicherheit auch die Handhabung. Drei der Helme mit dem Gesamturteil «gut» sind auch im Schweizer Fachhandel erhältlich:
- Alpina Rocky (Fr. 99.-)
- Uvex Uvision Junior (Fr. 89.90)
- Abus Junior Racer (Fr. 64.50).