Mangelnde Hygiene verdirbt die Freude am Dessert
Vermicelles bestehen nicht nur aus feinen Kastanien - in einigen Produkten tummeln sich auch Keime, die da nicht hingehören. saldo machte die Stichprobe. Das Resultat: Einige Ergebnisse sind bedenklich.
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saldo 17/2002
23.10.2002
Jahrhundertelang fristete die Edelkastanie ein Dasein als Arme-Leute-Essen. Heute gilt sie als Spezialität und ist im Herbst vom Speisezettel nicht mehr wegzudenken. Neben heissen Marroni verzehren die Konsumentinnen und Konsumenten die Kastanien vor allem in Form von Vermicelles.
Da die Herstellung des Winterdesserts aufwändig ist, wird es vorwiegend auswärts genossen. Selbst den Bäckern und Konditoren bereitet die Zubereitung zu viel Arbeit. Deshalb kaufen die meisten das Ma...
Jahrhundertelang fristete die Edelkastanie ein Dasein als Arme-Leute-Essen. Heute gilt sie als Spezialität und ist im Herbst vom Speisezettel nicht mehr wegzudenken. Neben heissen Marroni verzehren die Konsumentinnen und Konsumenten die Kastanien vor allem in Form von Vermicelles.
Da die Herstellung des Winterdesserts aufwändig ist, wird es vorwiegend auswärts genossen. Selbst den Bäckern und Konditoren bereitet die Zubereitung zu viel Arbeit. Deshalb kaufen die meisten das Maronenpüree fertig ein und verfeinern es allenfalls noch mit etwas Rahm und der obligaten Kirsche.
3 von 16 Proben mit ungenügenden Noten
saldo kaufte bei 16 verschiedenen Bäckereien, Konditoreien, Grossverteilern und Restaurants in der Deutschschweiz ein und brachte die Vermicelles gekühlt in ein anerkanntes Labor. Dort wurden sie nach vier verschiedenen hygienischen Kriterien überprüft.
Fazit: Drei Proben sind ungenügend. Die Vermicelles aus der Confiserie Bosshard in Winterthur ZH und jene der Confiserie Hirschy in Wil SG enthielten die Fäkalbakterien E. coli. Unappetitlich: Der in der Hygieneverordnung festgelegte Toleranzwert wurde um das 3- beziehungsweise 24fache überschritten. Die Vermicelles aus der Konditorei Zimmermann in St. Gallen enthielten zu viele Enterobakterien.
Kantonschemiker kämpfen für mehr Sauberkeit
Fünf Produkte schnitten mit dem Gesamturteil «sehr gut» ab. Sie enthielten lediglich ein Minimum an Keimen, waren hygienisch also unbedenklich. Dieses Ergebnis zeigt, dass trotz heiklen Zutaten wie Rahm sauber gearbeitet werden kann.
Dennoch haben manche Bäckereien und Konditoreien Mühe, die Hygienevorschriften einzuhalten, das belegen die alljährlichen Untersuchungen der Kantonschemiker. Im Kanton Basel mussten im letzten Jahr 40 Prozent der kontrollierten Betriebe als mangelhaft oder gar schlecht beurteilt werden. Auch die Zahlen der Kantone Bern und St. Gallen aus den letzten Jahren sprechen eine deutliche Sprache: Die Beanstandungsquote lag hier zwischen 8 und 20 Prozent.
Die Kantonschemiker setzen sich schon seit Jahren für bessere Hygiene in den Betrieben ein. Immer wieder Anlass zur Kritik geben die Schlagrahmmaschinen, die in vielen Konditoreien und Restaurants im Einsatz sind. Diese Geräte würden oft ungenügend gereinigt und desinfiziert, erklärt Erhard Walter, stellvertretender Kantonschemiker Bern. Zudem lasse in gewissen Betrieben die Personalhygiene zu wünschen übrig. Wäscht sich das Personal nach der Toilette die Hände nicht gründlich, können die Fäkalbakterien E. coli auf das Lebensmittel übertragen werden. Auch ein unbedachter Griff in den Abfalleimer oder eine unsachgemässe Lagerung der Rohmaterialien können Grund für eine übermässige Keimbelastung sein.
saldo konfrontierte die Konditoreien mit den Ergebnissen der Stichprobe. Albert Sturzenegger, Inhaber der Konditorei Zimmermann in St. Gallen, versicherte, er werde dafür sorgen, dass sich die Sache nicht wiederhole. Ernst Studer von der Confiserie Hirschy in Wil SG lässt Proben der verschiedenen Zutaten untersuchen und überprüft Betriebsabläufe, um die Fehlerquelle zu eruieren. Er liess saldo wissen: «Wir nehmen die Eigenverantwortung ernst.» Hans Bosshard, Chef der gleichnamigen Confiserie in Winterthur, ist bestürzt über das Resultat der Stichprobe. Es sei das erste Mal, dass ein Produkt aus seinem Betrieb habe beanstandet werden müssen. Er schrieb: «Wir überprüfen den gesamten Arbeitsablauf und werden, wo nötig, Korrekturen vornehmen, um einen solchen Missstand in Zukunft zu vermeiden.»
Kein Zusammenhang zwischen Hygiene und Verkaufspreis
Übrigens: Ein Zusammenhang zwischen dem Mass an Hygiene und den Verkaufspreisen der Vermicelles lässt sich nicht feststellen.
Sowohl das günstigste Produkt aus der Migros für 2 Franken pro 100 Gramm wie auch das teuerste von der Confiserie Speck in Zug für Fr. 5.60 pro 100 Gramm gaben keinen Grund zur Beanstandung. Peter Speck begründet den stolzen Preis seiner Törtchen damit, dass er wohl der einzige Konditor der Deutschschweiz sei, der sein Vermicelles-Püree noch selber herstelle.
Jeannette Büchel
Das Vermicelles-Rezept stammt von Fredy Eggenschwiler, Abteilungsleiter Konditorei-Confiserie der Richemont-Fachschule für Bäckerei, Konditorei und Confiserie, Luzern, Internet: www.richemont.cc
Vermicelles selber machen
1,5 kg rohe, geschälte Marroni mit 1,5 dl Wasser im Steamer oder im Dampfkochtopf weich garen. Nach dem Kochen etwas Wasser zugeben, bis die Marroni 1,8 kg schwer sind. Marroni leicht abkühlen lassen und anschliessend mit dem Stabmixer pürieren.
210 g Puderzucker, 15 g Vanillezucker, 180 g Zuckersirup (2/3 Zucker, 1/3 Wasser), 6 g Salz, 90 g Kirsch und 135 g weiche Butter zu der Masse geben und gut verrühren. Zuckerteig-Bödeli mit Schokolade ausstreichen und mit geschlagenem Rahm füllen. Die Marronimasse durch eine Vermicelles-Presse daraufgeben und mit etwas Schlagrahm verzieren.
- Tipp: Das Rezept ist wegen der aufwändigen Herstellung für rund 20 Portionen berechnet. Die Vermicelles-Masse kann problemlos tiefgekühlt und portionenweise verwendet werden.
Nach diesen Hygiene-Kriterien wurde getestet
Aerobe mesophile Keime (Gesamtkeimzahl) sind ein Indikator für Hygiene. Wenn Lebensmittel hohe Gesamtkeimzahlen aufweisen, ist das ein Zeichen für schlechte Rohware und/oder mangelnde Hygiene bei der Lagerung und Verarbeitung. Für Patisseriewaren beträgt der Toleranzwert laut Hygieneverordnung eine Million Kolonie bildende Einheiten pro Gramm (KBE/g). Speiseeis darf nicht mehr als 100 000 Keime pro Gramm enthalten.
Enterobakterien sind meist Darmbewohner. Ihr Vorkommen in Lebensmitteln ist ein Gradmesser für Hygiene. Für Patisseriewaren kennt die Hygieneverordnung keinen Toleranzwert, für geschlagenen Rahm (wird meist mit Vermicelles serviert) liegt er bei 10 KBE/g.
Escherichia coli sind Bakterien, die ausschliesslich im Darm von Tieren oder Menschen vorkommen (Fäkalbakterien). Stellt man sie in einem Lebensmittel fest, deutet das auf schlecht gereinigte Geräte, falsche Lagerung oder aber mangelhafte Personalhygiene hin. Für Patisserie beträgt der Toleranzwert 10 KBE/g.
Die Folgen einer Infektion mit Kolibakterien äussern sich in Bauchkrämpfen, Durchfall, Fieber und Erbrechen. Bei den meisten Menschen verschwinden diese Symptome nach einigen Tagen. Dennoch sind Kolibakterien nicht harmlos: Bei Kleinkindern und älteren Menschen können sie HUS (Haemolytic Uraemic Syndrome) auslösen. Diese Krankheit führt zu Nierenversagen und Blutarmut und kann in seltenen Fällen tödlich verlaufen.
Staphylokokken kommen in Eiter und Nasenschleim vor. Sie können beispielsweise via Hände, Spüllappen oder Schneidebretter auf Lebensmittel übertragen werden. Staphylokokken gelten als Verursacher von Lebensmittelvergiftungen. Der Toleranzwert für Patisserie liegt bei 100 KBE/g.