Sie gehören zum Bild jedes Fasnachtsumzugs: kleine Cowboys, Indianer und Polizisten - die Spielzeugpistole im Halfter darf dabei nicht fehlen. Doch die vermeintlich harmlose Ballerei kann böse Folgen haben. «Knalle sind die Hauptursache von Gehörschäden», sagt der deutsche Hörforscher Gerald Fleischer von der Universität Giessen.
saldo hat acht Spielzeugpistolen mit der vom Hersteller empfohlenen Munition gekauft und in einem spezialisierten Labor den Lärmwert messen lassen. Die Resultate sind alarmierend: Der Schallpegel der Pistolen beträgt zwischen 122,5 und ohrenbetäubenden 148,9 Dezibel - das ist gleich laut wie die Schüsse aus einem Sturmgewehr 57.
7 der 8 Pistolen lauter, als die Norm erlaubt
Die meisten Spielzeugpistolen dürften gar nicht verkauft werden, denn sie sind lauter als erlaubt. Die europäische Norm schreibt vor, dass der Schalldruckpegel 125 Dezibel nicht überschreiten darf. Gemessen werden diese Werte an sechs verschiedenen Punkten in einem Abstand von jeweils 50 Zentimetern zum Ohr. Aber: Kleinkinder haben zu kurze Arme, um diesen Abstand überhaupt einzuhalten. Und wenn sich Kinder gegenseitig die Pistolen an die Ohren halten, wird es noch lauter und entsprechend gefährlicher.
Die Pistolen funktionieren mit verschiedenen Munitionstypen wie Plastikringen oder Papierbändern, auf denen kleine Mengen Schiesspulver gezündet werden. Am lautesten war die Derringer Knallkorkpistole: Hier besteht die Munition aus einem mit Schiesspulver gefüllten Korken, der in den Lauf gesteckt wird. Das Produkt sollte, schreibt der Hersteller klein gedruckt, erst ab 14 Jahren verwendet werden. Aber die Pistole wird auch für Jüngere verkauft. Wenn die Kleinen damit herumballern, wirds gefährlich. «Diese Pistole kann schon bei einmaliger Einwirkung fünf Zentimeter vor dem Ohr eine bleibende Schädigung des Gehörs auslösen», sagt Beat W. Hohmann, Leiter des Bereichs Physik bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva).
Beim Wicke Western Rocky Westerncolt wurden 136,5 Dezibel gemessen. «Direkt vor dem Ohr ergibt dies bis zu 160 Dezibel. Am Arbeitsplatz wäre bei einer solchen Knallbelastung ein Gehörschutz vorgeschrieben», so Beat W. Hohmann. Nur: Kinder sind nicht arbeitstätig und unterstehen damit auch nicht den Suva-Richtlinien.
Spielzeugindustrie verharmlost die Gefahr seit Jahren
Laut Hörforscher Fleischer wurden Knalle, im Gegensatz zu anderen Lärmquellen wie etwa Discomusik, lange Zeit in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt. Problematisch sind die Knalleffekte, weil zu viel Schallenergie in extrem kurzer Zeit ins Ohr gezwungen wird. Bei einer Spielzeugpistole dauert der Knall nur eine Tausendstelsekunde. Diese Zeit ist zu kurz für die Hörzellen im Innenohr, um die Schwingungen in elektrische Signale umzuwandeln. Bei einem Knall können die Zellen zerreissen und absterben, oder sie werden verkrüppelt und sind so eine mögliche Ursache für Tinnitus. Fleischer warnt: «Ein Bruchteil einer Sekunde kann das Gehör auf Lebenszeit ruinieren.»
Mit dieser Gefahr werde viel zu sorglos umgegangen, sagt der Forscher. Vor kurzem untersuchte er das Gehör von rund 250 Grundschülerinnen und -schülern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. Das Ergebnis der Studie nist erschreckend: Rund zehn Prozent dieser Kinder haben Gehörschäden, verursacht durch Knallereien von Silvesterböllern oder Spielzeugpistolen. Fleischer: «Wenn ein Kind Pech hat, leidet es ein Leben lang an Ohrgeräuschen, oder es muss ein Hörgerät tragen.» Fleischer rät der Spielzeugindustrie seit Jahren, den Knall der Pistolen länger und tieffrequenter zu machen, sodass er die Kinderohren nicht mehr schädigen kann. Doch die Hersteller und Anbieter kümmert die Gesundheit der Kinder offenbar wenig.
Bereits letzten Sommer warnte auch das Bundesamt für Gesundheit, dass 90 Prozent der Kinderpistolen viel zu laut knallen. Zwar zogen die kantonalen Labors die beanstandeten Spielzeugwaffen aus dem Verkehr - mit bescheidener Wirkung, wie die saldo-Stichprobe zeigt. Immerhin: Die Kantonslabors St. Gallen und Zürich wollen das Problem aufgrund der neuen Ergebnisse wieder angehen. saldo hat Hersteller und Verkaufsstellen mit den Resultaten konfrontiert. Marktführerin ist die deutsche Firma Sohni-Wicke, deren Produkte bei Coop, Manor und in vielen Spielwarenläden zu kaufen sind. Trotz mehrmaliger Nachfrage konnten sich die Verantwortlichen innerhalb von zwei Wochen nicht zu einer Stellungnahme durchringen. Auch Toys 'r' us antwortete nicht. Heinrich Bauer, Hersteller der Ideal-Westernland-Pistole, schreibt, der Wert von 125,3 Dezibel liege innerhalb der handelsüblichen Toleranz und sei akzeptabel.
Schweden: Wer zu laute Pistolen verkauft, wird gebüsst
Schnell reagiert hat hingegen Coop: Der Grossverteiler nahm das Produkt Wicke Western Rocky Westerncolt bereits aus dem Sortiment. Coop-Sprecher Karl Weisskopf hält fest, dass die Importfirma Max Bersinger AG ausdrücklich versichert habe, die Pistolen würden den 125-Dezibel-Vorschriften entsprechen. Der Importeur seinerseits verliess sich auf Angaben des Herstellers Sohni-Wicke. Bis auf Coop zeigte sich keiner der Anbieter bereit, die zu lauten Pistolen aus dem Sortiment zu nehmen.
Im Gegensatz zur Schweiz haben Produzenten und Anbieter in Schweden kein leichtes Spiel: Ein Gericht verbot Mitte Januar einem grossen Spielzeughersteller, Pistolen zu verkaufen, die lauter als die erlaubten 125 Dezibel knallen. Bricht die Firma das Verkaufsverbot, droht eine Strafe von rund 80 000 Franken.
Den Prozess brachte die schwedische Konsumenten-Ombudsfrau Karin Lindell ins Rollen. Sie liess die Lautstärke zahlreicher Spielzeugpistolen messen. Lindell: «Das Urteil ermöglicht es endlich, gefährliche Produkte aus den Läden zu verbannen - dafür haben wir während 25 Jahren gegen starke kommerzielle Interessen gekämpft.»
Die Schweizer Behörden hingegen setzen weiterhin auf die Eigenverantwortung der Verkaufsstellen. Für Eltern, die ihre Kinder nicht gefährden wollen, gilt deshalb: die Sprösslinge von Spielzeugpistolen fern halten oder wenigstens die Munition entfernen.
Hörforscher Gerald Fleischer mahnt auch bei anderen Spielzeugen zur Vorsicht. «Quietschenten können derart laut sein, dass sie das Gehör eines Säuglings zerstören. Und mit einer Kindertrompete kann man den Arbeitslärm eines ganzen Jahres in ein Kinderohr blasen.» Er empfiehlt den Eltern, Spielzeug vor dem Kauf vorsichtig am eigenen Ohr zu testen und dabei den Abstand langsam zu verringern. Wenn es schmerzt, erübrigt sich die Frage, ob man diesen Lärm Kinderohren zumuten will.
Gewalt wird verharmlost
Von den Spielwarenanbietern wollte saldo wissen, ob und warum sie Spielzeug, das Gewalt verharmlost oder gar verherrlicht, in ihrem Sortiment führen.
Die zum Denner-Konzern gehörende Franz Carl Weber AG hat alle Spielsachen aus dem Sortiment verbannt, die mit Gewalt zu tun haben - auch Videospiele. Die Zürcher Firma Pastorini verkauft seit jeher keine Spielzeugwaffen: «Wir setzen auf pädagogisch wertvolle Spielsachen», sagt Geschäftsleiterin Christa Pastorini.
Coop verkauft laut Sprecher Karl Weisskopf nur Knall- und Wasserpistolen, die klar als Spielzeug erkennbar seien. Migros bietet kein Kriegsspielzeug an, führt im Sortiment aber Action-Man- und Power-Ranger-Figuren, die Waffen tragen.
Eigentümlich mutet die Haltung von Manor an. Marketingdirektor Maurice Calanca: «Wir verkaufen keine Spielwaren mit kriegerischem Hintergrund. Spielzeugpistolen stellen aber keine Kriegsverherrlichung dar und werden somit im Sortiment geführt.»