Handy-Kauf: Erstaunliche Qualitätsunterschiede
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Der saldo-Test zeigt, dass sich Vergleiche lohnen: Ein Handy, das wenig strahlt und trotzdem einen guten Empfang hat, gibt es schon zu einem günstigen Preis.
Inhalt
saldo 5/2003
19.03.2003
Mirjam Fonti
Achten Sie beim Kauf auf ein strahlungsarmes Handy» - das rät die Abteilung Strahlenschutz des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Grund der Empfehlung: Studien beweisen, dass die Strahlung auf den Menschen zumindest biologische Wirkung hat. So verändern sich die Hirnströme unter dem Einfluss von Strahlung, und die Gedächtnisfunktionen können beeinflusst werden. Ob diese Effekte auch zu gesundheitlichen Schäden führen, konnte bis heute weder bewiesen noch widerlegt werden. Deshalb gilt: V...
Achten Sie beim Kauf auf ein strahlungsarmes Handy» - das rät die Abteilung Strahlenschutz des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Grund der Empfehlung: Studien beweisen, dass die Strahlung auf den Menschen zumindest biologische Wirkung hat. So verändern sich die Hirnströme unter dem Einfluss von Strahlung, und die Gedächtnisfunktionen können beeinflusst werden. Ob diese Effekte auch zu gesundheitlichen Schäden führen, konnte bis heute weder bewiesen noch widerlegt werden. Deshalb gilt: Vorsorgen ist besser als heilen.
Seit rund einem Jahr verfügen Handy-Käufer über eine Orientierungshilfe, wie stark ihr Mobiltelefon strahlt - die Hersteller haben sich bereit erklärt, die Werte zu deklarieren. Die so genannte spezifische Absorptions-Rate (SAR) findet sich auf den Internetseiten der Hersteller oder auf den Gebrauchsanweisungen der Geräte. saldo machte die Kontrolle und liess zehn aktuelle Modelle im Labor der IMST GmbH in Kamp-Lintfort (D) nachmessen (siehe Kasten, Seite 18). Die gute Nachricht: Auf die Herstellerangaben ist Verlass - sie weichen höchstens im Bereich der Mess-unsicherheit ab.
Technisch wäre ein viel tieferer Grenzwert möglich
Erfreulich ist zudem, dass die Strahlenbelastung im Vergleich zum letzten saldo-Test im Januar 2001 generell tiefer ist. Damals wies noch die Hälfte der getesteten Modelle einen SAR-Wert über 1 Watt pro Kilogramm auf, heute nur noch eines. Der von einer unabhängigen Expertengruppe festgelegte Grenzwert von 2 Watt pro Kilogramm überschritt keines der Handys.
Kritik gibt es trotzdem: Das Institut für politische und ökologische Innovation Nova in Hürth (D) hält den Grenzwert für zu hoch: «Wir empfehlen einen SAR-Wert von 0,2 Watt pro Kilogramm. Dabei orientieren wir uns am derzeit technisch Machbaren», sagt Geschäftsführer Michael Karus. In diesem Bereich gebe es heute sehr wenig Sicherheit über mögliche Gesundheitsgefahren: «Deshalb sind zum vorbeugenden Schutz der Bevölkerung tiefe Vorsorgewerte nötig.» Den vom Nova-Institut empfohlenen Grenzwert von 0,2 Watt pro Kilogramm überschreiten alle getesteten Handys. Immerhin blieben die Geräte Sony Ericsson T68 i und Siemens C 55 unter 0,5 Watt pro Kilogramm und erreichten in der saldo-Bewertung ein «gut». Bedenklich sind dagegen die Werte der Modelle Siemens M 50, Samsung SGH-A 800 und Nokia 3410 am anderen Ende der Rangliste. Denn ein hoher SAR-Wert bringt nicht einmal einen besseren Empfang. Laut Mirjana Moser von der Abteilung Strahlenschutz beim BAG geht bei stark strahlenden Modellen die meiste Energie verloren - sie wird lediglich dazu verwendet, «den Kopf zu heizen».
Trotzdem strahlt das Siemens-Handy M 50 mit einem SAR-Wert von 1,05 Watt pro Kilogramm, während das Schwestermodell C 55 mit einem SAR-Wert von 0,481 Watt pro Kilogramm auskommt. Siemens sieht für das M 50 jedoch keinen Handlungsbedarf: «Unsere Geräte entsprechen den gesetzlichen Grenzwerten. Eine Differenzierung gegenüber anderen Geräten mit einem SAR-Wert unter dem Grenzwert ist daher unseres Erachtens nicht sinnvoll», sagt Charles Breitenfellner, Presseverantwortlicher von Siemens Schweiz.
Ebenfalls stark strahlt das Samsung SGH-A 800. Laut Managing Director Peter Kalberer ist Samsung bestrebt, jedes Gerät weiterzuentwickeln: «Die Fortschritte zeigen sich im Alltag, sind aber durch Vergleiche unter schlechtestmöglichen Bedingungen, wie es die Norm verlangt, nicht zu ermitteln.»
Forschung hinkt hinter der Entwicklung her
Dass die Forschung im Bereich elektromagnetischer Strahlung noch nicht weiter ist, führt BAG-Strahlenexpertin Moser auf zwei Faktoren zurück: «Einerseits fehlt es an Geld, andererseits ist der Bereich Strahlung ein multidisziplinäres Feld - und deshalb in keinem Forschungszweig so richtig verankert.» Die Welt-Gesundheitsorganisation WHO will die Forschung indes weltweit koordinieren. Fragt sich nur, ob die Erkenntnisse nicht zu spät kommen, denn bis in ein paar Jahren werden die heute gebräuchlichen GSM-Telefone wohl durch eine neue Generation von UMTS-Geräten abgelöst, die ganz andere Eigenschaften hat.
Vorderhand bleibt den Nutzern also nichts anderes übrig, als ein paar Tipps zu beherzigen. So empfiehlt es sich, eine Freisprechvorrichtung zu verwenden. Die absorbierte Strahlungsleistung im Kopf kann so um ein Vielfaches reduziert werden. Weiter sollte man sich kurz fassen oder für kurze Nachrichten auf Textmeldungen (SMS) ausweichen. Und Kinder sollten das Handy gemäss den BAG-Empfehlungen gar nicht oder zumindest nur wenig benutzen.
Gute Sendeleistung auch mit tiefen SAR-Werten möglich
Beim Kauf eines Handys ist aber nicht nur der SAR-Wert wichtig, sondern auch die Sende- und Empfangseigenschaften eines Geräts. Gemäss Experten muss nämlich ein Mobiltelefon mit guter Sendecharakteristik den maximal gemessenen SAR-Wert nur selten ausschöpfen. Gut konstruierte Handys senden unter günstigen Bedingungen viel schwächer, als sie könnten, denn das Netz setzt ihre Sendeleistung auf das notwendige Mass herab. Die Qualität der Sende- und Empfangseigenschaften kann jedoch nirgends abgelesen werden. saldo liess diese Eigenschaften deshalb durch das Fachlabor Montena EMC in Rossens FR feststellen (siehe Kasten).
Nokia 3410: Beste Empfangs- und Sendeeigenschaften
Die Resultate offenbaren grosse Qualitätsunterschiede. Mit dem Testsieger Nokia 3410 kann sich der Besitzer im 900-Megahertz-Netz fast doppelt so weit von der Antenne entfernen als mit einem Nokia 8310, bevor die Verbindung abbricht.
Im 1800-Megahertz-Netz sind die Unterschiede noch grösser: Das Nokia 3410 hat hier sogar die dreifache Reichweite des Sony Ericsson T 68i. Wie gut die Sende- und Empfangseigenschaften eines Handys sind, hängt von der Qualität des eingebauten Empfängers und der Antenne ab.
Betrachtet man SAR-Werte sowie Sende- und Empfangseigenschaften gemeinsam, ergibt sich ein klares Siegermodell. Das Siemens C55 erreichte in beiden Tests eine gute Beurteilung - und mit einem Verkaufspreis von 299 Franken gehört es sogar zu den günstigsten Handys im Test. Das Ergebnis zeigt auch, dass sich ein tiefer SAR-Wert und gute Sende- und Empfangsqualitäten nicht ausschliessen müssen.
Weit vom Optimum entfernt sind jene Modelle, die nur als genügend beurteilt wurden. Ausgerechnet der relativ teure und beliebte Winzling von Nokia, das 8310, sowie das SGH-A 800 von Samsung erreichten in den beiden Tests nur halb so gute Werte wie die Konkurrenz.
Aktuelle Informationen im Internet
Wer sich ein Bild über den Stand der Strahlungsdiskussion machen möchte, findet im Internet zahlreiche Informationen. Kritische Betrachtungen bieten die Seiten des Nova-Instituts www.nova-institut.de und www. handywerte.de. Auf Letzterer sind auch die SAR-Werte zahlreicher Handy-Modelle aufgelistet. Eine weitere Zusammenstellung deklarierter SAR-Werte gibt es auf der Plattform www. topten.ch.
Infos zu Strahlung und Studien sowie Tipps, wie Handy-Nutzer sich schützen können, finden sich auf den Seiten des Bundesamtes für Gesundheit und der Weltgesundheitsorganisation WHO unter www.bag.admin.ch/ strah len/d/index.php und www. who.int/emf. Die Forschungsstiftung Mobilkommunikation an der ETH ist im Internet unter www. ifh.ee.ethz.ch/microwave/ reco vertreten.
Zwei Netze in der Schweiz
Alle Messungen wurden sowohl im 900-MHz- als auch im 1800-MHz-Netz durchgeführt. Dies ist nötig, weil in der Schweiz beide Netze verwendet werden. Swisscom- und Sunrise-Kunden telefonieren in der Regel im 900-MHz-Netz, nur in Ballungszentren wird auf das 1800-MHz-Netz ausgewichen. Orange-Kunden telefonieren ausschliesslich im 1800-MHz-Netz. In diesem Netz senden die Geräte nur mit 1 statt mit 2 Watt Leistung, weshalb die SAR-Werte meist tiefer sind. Dafür werden im 1800-MHz-Netz deutlich mehr Antennen benötigt.
So wurden die Messwerte ermittelt
SAR-Wert:
Die SAR-Messungen (spezifische Absorptions-Rate) wurden von der IMST GmbH in Kamp-Lintfort (D) durchgeführt. Zentrale Messapparatur ist ein «Phantom», dessen elektrische Eigenschaften denen eines menschlichen Kopfes entsprechen. Nachdem ein mit maximaler Sendeleistung funkendes Handy in genau definiertem Winkel am Kopf des Phantoms angebracht wurde, messen die Techniker die elektrische Feldstärke in der simulierten Gehirnflüssigkeit des Phantoms. Gemessen wird mit Handy links und rechts am Kopf, wobei der höhere SAR-Wert gilt. Die Messungen entsprechen dem europäischen Standard und wurden mit dem System DASY 4 durchgeführt.
Sende- und Empfangseigenschaften:
Die Sendeleistung und Empfangsempfindlichkeit der Geräte hat das Fachlabor Montena EMC in Rossens FR untersucht. Dabei wurde folgende Testmethode angewandt: Das Handy wird in einer abgeschirmten Halle aufgestellt. Ein spezieller Generator und eine Antenne erlauben es, dem Handy ein Signal der Basisstation vorzutäuschen. Die Anlage kann einen Anruf tätigen, eine Verbindung herstellen oder ein SMS senden. Die Signale von der Basisstation zum Handy und umgekehrt werden immer stärker gedämpft. So wird simuliert, was passiert, wenn Handy-Nutzer sich in eine Zone mit schlechter Deckung begeben.
Je besser die Sende- und Empfangseigenschaften sind, desto mehr kann das Signal gedämpft werden, bevor das Handy die Verbindung abbricht oder keine SMS mehr empfangen kann.