Gut für die Frisur, aber schlecht für die Lunge
Haarsprays halten die Frisur in Form. Doch ein saldo-Test zeigt haarsträubende Resultate: Die meisten Sprays enthalten bedenkliche Substanzen.
Inhalt
saldo 5/2004
17.03.2004
Sigrid Cariola
Noch etwas Haarspray?» Den meisten Kundinnen bleibt für einen Moment die Luft weg, wenn der Coiffeur zur Dose greift und den Kopf in eine Wolke hüllt, um die Frisur zu fixieren. Schuld an diesem Effekt sind neben zahllosen Duftsubstanzen verschiedene Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Filmbildner. Das sind in Alkohol gelöste Klebstoffe, die das Haar umhüllen und stabilisieren, aber gleichzeitig die Atemwege reizen können.
Viele Konsumentinnen verwenden auch zu Hause Haarspray, u...
Noch etwas Haarspray?» Den meisten Kundinnen bleibt für einen Moment die Luft weg, wenn der Coiffeur zur Dose greift und den Kopf in eine Wolke hüllt, um die Frisur zu fixieren. Schuld an diesem Effekt sind neben zahllosen Duftsubstanzen verschiedene Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Filmbildner. Das sind in Alkohol gelöste Klebstoffe, die das Haar umhüllen und stabilisieren, aber gleichzeitig die Atemwege reizen können.
Viele Konsumentinnen verwenden auch zu Hause Haarspray, um ihre Frisur in Form zu bringen. Knapp 80 Millionen Franken gaben sie 2003 für Haarstyling-Produkte aus - davon mehr als die Hälfte für Haarsprays.
Saldo liess zwölf der meistverkauften Haarsprays auf ihre Inhaltsstoffe untersuchen, darunter acht Produkte mit Treibmitteln und vier mit Pumpzerstäuber. Das Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin (ITEM) in Hannover (D) wurde zudem beauftragt, die Teilchengrösse des Spraynebels zu messen. «Je feiner die Partikel sind, desto länger halten sie sich in der Luft und können eingeatmet werden», erklärt ITEM-Experte Wolfgang Koch. Dies ist bei einer Teilchengrösse von unter 20 Mikrometer der Fall. Wenn sie kleiner als 10 Mikrometer sind, dringen die Partikel auch in die menschliche Lunge ein.
Entzündungen können Lungengewebe zerstören
Die Partikelmessung förderte erhebliche Unterschiede zwischen den Sprays zutage: Mit einem Anteil von nur 3,5 Prozent lungengängigen Teilchen schnitt Golden Hair im Test am besten ab. Auch Recrin (4,7 Prozent) und Curl (4,1 Prozent) konnten mit den meisten Produkten im Pumpzerstäuber mithalten und blieben unter 5 Prozent. Anders hingegen Studio Line von L'Oréal und Gliss von Schwarzkopf: Mit 9,2 beziehungsweise 15,9 Prozent wiesen sie einen hohen Anteil an Partikeln unter zehn Mikrometern auf.
Der Hersteller Schwarzkopf & Henkel dazu: «Filmbildner wurden hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Unbedenklichkeit umfassend untersucht und als verträglich bewertet.» Ganz anders schätzt Jan-Olaf Gebbers, Leiter des pathologischen Instituts am Kantonsspital Luzern, die Wirkung von Haarspray auf die Atemwege ein: «Geraten Filmbildner in höheren Konzentrationen in die empfindlichen Lungenbläschen, kann das zu Entzündungen mit Zerstörung des Lungengewebes führen.»
Das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitsschutz (BIM) in Deutschland empfiehlt Coiffeuren, Pumpsprays zu benutzen und die Räume nach der Anwendung von Haarspray gut zu lüften. BIM- Abteilungsleiter Markus Berges: «Es gibt zwar kein akutes Haarspray-Problem, doch die Industrie hat den Verdacht auf Schädigungen nie ganz ausräu- men können.» Es sei schlicht nicht vorstellbar, dass eine Substanz, die das Haar steif macht, für die Flimmerhärchen im Bronchialsystem unproblematisch sein soll.
Allergene Duftstoffe in allen getesteten Produkten enthalten
In Haarsprays sind neben den Filmbildnern noch andere Substanzen enthalten, welche die Atemwege reizen oder eine unerwünschte Wirkung entfalten können.
Da sind zunächst die Duftstoffe: Nach Nickel sind sie die häufigste Ursache für Hautallergien. Die saldo-Analyse zeigte, dass alle zwölf Produkte allergene Duftstoffe enthalten. Während in Sante und Recrin nur vier solche Duftstoffe in höheren Konzentrationen als 10 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg) nachgewiesen wurden, waren es im Herbal-Spray zehn, in Taft elf und in Chandor sogar sechzehn.
Während die allergenen Duftstoffe mit knapp 5 Prozent einer kleinen, wenn auch stetig wachsenden Zahl von Betroffenen Probleme bereitet, gibt es andere Riechstof-fe, die möglicherweise alle Menschen beeinträchtigen können: die Moschusdüfte. Nachdem Forscher entdeckt hatten, dass Nitromoschus-Verbindungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Nerven- und Erbgutschädigungen führen, verzichtete die europäische Industrie Ende der 90er-Jahre auf diese Substanzen und ersetzte sie durch Polymoschus-Verbindungen.
Polymoschus-Verbindungen: Zu wenig erforscht
Doch Toxikologen sind darüber nicht begeistert: «Über diese Verbindungen ist kaum etwas bekannt», gibt Volker Mersch-Sundermann, Leiter des Instituts für Innenraum- und Umwelttoxikologie am Uniklinikum in Giessen (D), zu bedenken. Auch bei den Polymoschus-Verbindungen gebe es Hinweise auf mögliche Erbgutschädigungen. Bewiesen sei jedoch erst, dass sie sehr hautgängig sind und sich wie ihre Vorgängersubstanz auch im Fettgewebe ablagern. «Ob sie gefährlich sind, ist derzeit schwer zu sagen», so Mersch-Sundermann. «In drei bis fünf Jahren wissen wir mehr.»
Die Erfahrungen mit den Nitromoschus-Verbindungen sollten Grund genug sein, Polymoschus vorerst nicht einzusetzen. In vier Haarsprays wies das Labor jedoch solche Verbindungen nach: in Herbal-Spray, in Curl und in Studio Line, in Chandor sogar drei verschiedene.
Ohne Weichmacher: Golden Hair und Herbal Spray
Neben den Parfümsubstanzen finden sich in fast allen Sprays Weichmacher als weitere Problemstoffe. Sie werden über die Haut und im Fall von Haarspray auch über die Lunge aufgenommen und lagern sich im Körper ab. Obwohl die Stoffe im Verdacht stehen, auf das Hormonsystem und die Fortpflanzungsorgane zu wirken, ist ihre Anwendung weder reglementiert noch unterliegen sie einem Grenzwert.
Die einzigen Haarsprays im Test ohne Weichmacher sind Golden Hair von Mibelle und Herbal Spray von Rausch. Nur Spuren davon sind in Sante und Recrin zu finden. Laut Herstellerangaben seien diese Spuren entweder auf Verunreinigungen zurückzuführen oder allenfalls über die Parfümöle in die Produkte gelangt.
Vergleichsweise grosse Mengen an Weichmachern fanden sich in Kaloderma, Gliss, Nivea, L'Oréal und My Own. Jörg Asprion, der die Marke My Own lanciert hat, reagiert bestürzt auf das Testergebnis: «Ich bin enttäuscht. Der Produzent hatte die Vorgabe, einen Spray herzustellen, der ohne bedenkliche Inhaltsstoffe auskommt und in Konsumententests bestehen kann.» Asprion entschied sich, sein Produkt vorerst aus dem Verkauf zu ziehen.
Insgesamt genügten im saldo-Test nur drei Produkte allen vier Wertungskriterien - keine Weichmacher, kein Moschus, keine oder wenig allergene Duftstoffe, wenig lungengängige Partikel: Golden Hair, Sante und Recrin.
Doch Schönheitsfehler gab es auch hier. Recrin und Sante enthalten Spuren von Weichmachern, Golden Hair allergene Duftstoffe in grosser Zahl. Alle anderen Produkte weisen zusätzlich Moschus-Verbindungen, eine erhebliche Menge an Weichmachern oder eine hohe Zahl an lungengängigen Partikeln auf.
Fazit: Zu viele heikle Stoffe in einem Produkt
Axel Buchter, Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin an der Universität des Saarlandes in Homburg (D) bringt die Haarspray-Problematik auf folgenden Nenner: «Filmbildner, Duftstoffe und Weichmacher - das sind gleich drei Klassen von heiklen Stoffen. Der gesunde Menschenverstand sagt da: Reduzieren oder nicht benutzen.»
Haarsprays: Bedenkliche Stoffe und ihre Wirkung
Filmbildner: Diese Substanzen beruhen auf Kunststoffbasis und sind der Hauptbestandteil jedes Haarsprays. Deklariert werden sie als Acrylate. Einige naturnahe Hersteller wie etwa Sante Kosmetik verwenden den natürlichen Filmbildner Schellack, eine harzige Ausscheidung von Schildläusen.
Allergene Duftstoffe: Natürliche wie auch synthetische Riechsubstanzen können Hautreizungen bewirken. Die 26 Duftstoffe mit nachgewiesen erhöhtem allergenem Potenzial müssen in der EU ab März 2005 einzeln deklariert werden, wenn sie 10 mg/kg übersteigen und auf der Haut bleiben. Bei Produkten wie Shampoo, die wieder abgespült werden, liegt die Grenze bei 100 mg/kg.
Das Bundesamt für Gesundheit geht davon aus, dass die Schweiz diese Regelung im April 2005 übernehmen wird.
Moschus-Verbindungen: Die häufig eingesetzten Duftstoffe sind umstritten. Nitromoschus-Verbindungen, die bis Ende der 90er-Jahre eingesetzt wurden, sind fast vollständig verschwunden - sie wurden durch Polymoschus-Verbindungen ersetzt. Auch diese Substanzen, bekannt unter den Handelsnamen Tonalide, Galaxolide und Cenalide, wurden bereits in menschlichem Blut und Muttermilch nachgewiesen. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebenen Maximalkonzentrationen.
Weichmacher: Die sogenannten Phtalate kommen überall vor - in Körper-pflegemitteln, Plastik und Lacken. Die Gase von Weichmachern gelangen über die Luft in Lebensmittel und ins Wasser und schliesslich in den menschlichen Körper. Forscher der deutschen Universität Erlangen haben nachgewiesen, dass der Weichmacher Diethylhexyl-Phtalat die Fortpflanzungsfähigkeit von Männern stark beeinträchtigt.
Die zwölf getesteten Haarsprays enthalten grösstenteils den Weichmacher Diethyl-Phtalat; über diesen Stoff gibt es keine entsprechenden Erkenntnisse - der Verdacht auf Leberschädigungen und Hormonwirksamkeit konnte bisher jedoch nicht ausgeräumt werden. Für Weichmacher in Kosmetikprodukten existieren keine Grenzwerte.