Frische Fische: Jeder dritte nicht geniessbar
Frischprodukte halten oft nicht, was der Name verspricht. Das gilt auch für Fisch: Bei einer Stichprobe fiel ein Drittel aller Proben durch.
Inhalt
saldo 13/2003
27.08.2003
Jeannette Büchel
Fisch hat einen festen Platz auf dem Speiseplan: Laut statistischem Jahrbuch essen Schweizer Einwohner 7,6 Kilogramm pro Jahr und Kopf. Zunehmend beliebt ist frischer Fisch - gefragt sind vor allem Fischfilets, die sich einfach zubereiten lassen. Im letzten Jahr wurden rund 3500 Tonnen frische Filets im Wert von knapp 50 Millionen Franken importiert, dazu kommen nochmals knapp so viele gefrorene Filets. Hauptlieferanten sind Länder wie die Niederlande, Dänemark, Frankreich und Island.
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Fisch hat einen festen Platz auf dem Speiseplan: Laut statistischem Jahrbuch essen Schweizer Einwohner 7,6 Kilogramm pro Jahr und Kopf. Zunehmend beliebt ist frischer Fisch - gefragt sind vor allem Fischfilets, die sich einfach zubereiten lassen. Im letzten Jahr wurden rund 3500 Tonnen frische Filets im Wert von knapp 50 Millionen Franken importiert, dazu kommen nochmals knapp so viele gefrorene Filets. Hauptlieferanten sind Länder wie die Niederlande, Dänemark, Frankreich und Island.
Bis zu vier Tage dauert der Transport an die Verkaufsorte
Viele Grossverteiler, Delikatessengeschäfte und Marktstände haben Meerfische auf Eis im Angebot. Doch so frisch, wie es in den meist aufwändig dekorierten Verkaufstheken den Anschein macht, sind die Fische nicht; denn der Handel mit frischem Fisch ist ein Wettlauf mit der Zeit: Bis die Fische in der Nordsee oder im Mittelmeer gefangen, verarbeitet, verpackt und per Lastwagen in die Schweiz transportiert, am Zoll kontrolliert und an die Verkaufsorte verteilt werden, können bis zu vier Tage vergehen. Dann liegen die Tiere oft noch ein bis zwei Tage in den Auslagen.
Während der ganzen Zeit darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden, sonst verdirbt der Fisch rasch. Die schweizerische Lebensmittelverordnung schreibt vor, dass der Fisch während Transport, Lagerung und Verkauf nie mehr als 2 Grad Celsius erreichen darf. Während der heissen Sommerzeit stellt diese Vorschrift besonders hohe Anforderungen an die Fischverkäufer.
Unterbruch in der Kühlkette oder alter Fisch
saldo und «Kassensturz» machten die Probe aufs Exempel und kauften in den Kantonen Aargau, Bern, St. Gallen und Zürich 28 Proben Dorsch- und Rotzungenfilets ein. Die Fische wurden unmittelbar nach dem Kauf in einer mit Eis gefüllten Kühlbox gelagert und zum Labor transportiert. Das Amt für Lebensmittelkontrolle der Kantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus und Schaffhausen untersuchte, wie frisch die Speisefische sind (siehe Kasten).
Das Resultat der Stichprobe ist erschreckend: Über ein Drittel aller Fische war nicht mehr geniessbar. Vielen Fischverkaufsstellen, darunter so bekannten Namen wie Coop, Migros, Manor, Carrefour und Jelmoli, muss ein schlechtes Zeugnis aus-gestellt werden. Nur gerade 10 der 28 Proben schnitten bezüglich Frische sehr gut ab.
Kurt Seiler, stellvertretender Kantonschemiker beim Amt für Lebensmittelkontrolle der Kantone AR, AI, GL und SH, ortet die Gründe für dieses schlechte Ergebnis an mehreren Orten: Entweder sei die Kühlkette unterbrochen worden, die Logistik schlecht organisiert oder der Fisch im Verkauf schlicht zu alt. «Der eine oder andere Fisch ging offensichtlich vergessen», so Seiler. Trotz Personalwechsel müsse gewährleistet sein, dass hinter der Verkaufstheke das Prinzip «Was zuerst in der Aus-lage ist, muss zuerst verkauft werden» konsequent umgesetzt werde.
Wo genau die Fehler passieren auf dem langen Weg vom Meer bis in den Einkaufskorb, lässt sich nur schwer ermitteln. Der grenztierärztliche Dienst des Bundesamtes für Veterinärwesen kontrolliert die Fischlieferungen in die Schweiz: Die mitgelieferten Papiere werden überprüft, und stichprobenartig wird auch kontrolliert, wie frisch die Fische sind. Laut Grenztierärztin Ursulina Kobel ist der Anteil der Sendungen, die an der Grenze zurückgewiesen werden, sehr gering: «Das sind kaum mehr als eine Charge von 300 bis 1000 Kilogramm pro Vierteljahr.»
Gute Ausbildung des Personals zwingend nötig
Kobels Aussage lässt den Schluss zu, dass das Problem mit der mangelnden Frische oft erst bei der Verteilung oder an den Verkaufsorten entsteht. Lebensmittelexperte Kurt Seiler appelliert daher an die Verkäufer: «Jeder, der Fisch verkauft, muss sich bewusst sein, dass es eines der heikelsten Lebensmittel ist - man kann Fisch nicht wie Konserven verkaufen.» Eine effiziente Logistik, eine perfekt organisierte Lagerbewirtschaftung, eine permanente Eineisung, ein Konzept zur Überwachung des Alters der Fische sowie eine gute Ausbildung des Personals seien deshalb zwingend nötig. Neu sind die Schwierigkeiten nicht. Seiler weiss aus früheren Untersuchungen: «Bei vielen Verkaufsstellen besteht bezüglich Temperatur und Überwachung Handlungsbedarf.»
Die verdorbenen Fische sind zwar unappetitlich, schlagen aber kaum auf den Magen. Kurt Seiler: «Die gemessenen Konzentrationen der Substanzen sind gesundheitlich nicht relevant.» Ärgerlich ist die Sache für Konsumenten gleichwohl, denn sie bezahlen viel Geld für Ware, die nicht mehr einwandfrei ist.
Manor-Rotzunge: Teuerste Probe, schlechtes Urteil
Ein hoher Preis ist also kein Garant für frischen Fisch. Dies zeigte die Stichprobe bei den Rotzungenfilets: Das günstigste Angebot (Fr. 2.85 pro 100 Gramm) bei Eurospar in Zürich-Oerlikon schnitt am besten ab. Inakzeptabel hingegen war der Befund bei der teuersten Rotzunge für Fr. 6.25 pro 100 Gramm von Manor in Rapperswil SG. Generell schwanken die Preise von Fischen sehr stark - abhängig vom Angebot wechseln sie beinahe täglich.
saldo konfrontierte die Verkaufsstellen mit den Ergebnissen. Für Peter Stefani von Carrefour sind die Befunde rätselhaft. Er schreibt: «Es ist schlichtweg nicht möglich, dass Sie bei uns alten Fisch eingekauft haben», denn Carrefour werde viermal pro Woche beliefert. saldo kaufte am 8. August bei Carrefour ein. Laut Stefani wurden die Dorschfilets am 6. August und die Rotzungenfilets gleichentags oder sogar am 8. August angeliefert.
Migros will Kühlung bei heissem Wetter verbessern
Angelo Del Grosso vom Marktstand in St. Gallen kann sich die schlechten Ergebnisse ebenfalls nicht erklären. «Normalerweise ist unser Fisch gut und frisch», versichert er. Es sei ein schöner Sommertag gewesen und die Eismaschine habe nicht richtig funktioniert. Deshalb könne es sein, dass ein bisschen wenig Eis in der Auslage gewesen sei. «Ich werde versuchen, es besser zu machen», verspricht Del Grosso.
Migros-Sprecher Urs Peter Naef vermutet die Ursache für die schlechten Werte bei den klimatischen Bedingungen: «Das extrem heisse und lang anhaltende Sommerwetter hat offensichtlich ein Leck in der Kühlkette aufgedeckt.» Migros will nun die Kühlkette in Extremsituationen verbessern und die Sensibilisierung des Personals an die Hand nehmen.
Maurice Calanca von Manor kommentiert die Laborbefunde als «inakzeptabel für unser Frischeverständnis». Eine Kontrolle habe ergeben, dass der Fisch nicht fachkundig bearbeitet worden sei. Er versichert: «Wir werden unsere Kontrollen überprüfen und alles daran setzen, dass wir unseren Kunden erstklassigen Frischfisch anbieten können.»
Coop: «Fische hätten nicht verkauft werden dürfen»
Auch für Coop-Pressesprecher Karl Weisskopf ist klar: «Die am 12. August im Ryfflihof in Bern gekauften Fische genügen den Anforderungen nicht und hätten nicht verkauft werden dürfen.» Die extreme Hitze an diesem Tag könne zwar eine Erklärung, aber keine Entschuldigung sein. Im Moment sei die Ursache noch unklar, die Sache werde mit dem Lieferanten abgeklärt. Während der heissen Periode habe Coop die Verkaufsstellen darauf aufmerksam gemacht, die Vorschriften strikt einzuhalten: die Ware sofort zu lagern, die Kühl-installationen täglich zu kontrollieren, die Fische nicht übereinander zu lagern und in genügend Eis zu packen.
Bessere Isolation: Drei- statt zweimal einpacken
Jelmoli-Unternehmensleiter Robert M. Fieg schreibt, dass die Dorschfilets aus Island zweimal pro Woche angeliefert würden. Die Ware, die am Mittwoch ankomme, werde spätestens bis Samstag verkauft. Wie es zu den schlechten Werten kommen konnte, sei derzeit noch unklar. Fieg: «Wir werden alles daran setzen, dass in unserem Angebot nur qualitativ einwandfreie Fische und Meeresfrüchte verkauft werden.»
Für Urs Zellweger von der gleichnamigen Fischhandlung in Staad SG ist die Stichprobe trotz genügendem Ergebnis (Dorsch) und gutem Resultat (Rotzunge) Anlass zum Handeln. Künftig will er die Frischprodukte wegen der besseren Isolationswirkung drei- statt zweimal einpacken und seine Kundschaft mit einem Hinweis am Verkaufsregal darauf aufmerksam machen, dass der Fisch möglichst schnell kühl gelagert werden muss.
Messung von Frische-Indikatoren
Das Amt für Lebensmittelkontrolle der Kantone AR, AI, GL und SH hat im Auftrag von saldo und «Kassensturz» 28 Fischproben auf ihre Frische und Qualität untersucht. Neben Aussehen, Geruch und Geschmack wurden bei den Fischen diverse chemische Frische-Indikatoren überprüft.
Das wichtigste Merkmal ist der sogenannte TVBN-Gehalt, der für «total volatile base nitrogen» steht. Je länger die Fische gelagert werden, desto mehr flüchtige Stickstoffverbindungen entstehen, die als TVBN gemessen werden.
Gleichzeitig nimmt der Gehalt an Trimethylamin (TMA) zu. Dieser Stoff ist bei vielen Fischsorten verantwortlich für den unangenehmen Fischgeruch - wirklich frischer Fisch riecht nicht nach Fisch.
Je höher die TVBN- und TMA-Gehalte sind, desto weniger frisch sind die Fische.
Die Schweiz kennt keine lebensmittelrechtlichen Vorschriften für die beiden Stoffe. Die EU-Höchst-werte für TVBN betragen für Dorsch 350 Milligramm Stickstoff pro Kilogramm (mg N/kg) und für Rotzunge 300 mg N/kg. Für TMA kennt die EU keinen Höchstwert, Norwegen hingegen hat einen Höchstwert von 50 mg N/kg festgelegt.
Tipps im Umgang mit frischem Fisch
- Im Gegensatz zu ganzen Fischen lässt sich die Frische von Fischfilets nur schwer beurteilen. Fischfilets sollten einen arteigenen, leicht süsslichen Geruch haben. Riechen sie stark fischig, tranig, säuerlich oder nach Ammoniak, ist der Fisch verdorben. Beim Kauf ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Fische gut eingeeist sind. Sind die Filets in mehreren Lagen gestapelt, sollte besser auf den Kauf verzichtet werden.
- Ganze, frische Fische haben einen arteigenen Fischgeruch, klare und glänzende Augen, hellrote Kiemen, eine glänzende Schleimschicht auf der Haut. Ihr Fleisch ist fest und elastisch. Auf Fingerdruck gibt das Fleisch nach, der Eindruck sollte rasch wieder verschwinden. Bei älteren Fischen ist dies nicht der Fall. Zudem haben diese oft einen schmierigen und trüben Belag.
- Frischer Fisch sollte rasch konsumiert werden. Der Kühlschrank ist zur längeren Lagerung (mehr als einige Stunden) nicht geeignet, da die Temperatur mit 4 bis 7 Grad Celsius zu hoch ist.