So gerne ich Ihnen eine Brille verkaufen würde - Sie brauchen keine, denn Sie sehen überdurchschnittlich gut!» Derart ehrlich wie Jörg Nömer von Beyeler Optik in Basel waren längst nicht alle Augenoptiker mit der saldo-Testkundin, die sich vorletzte Woche in zwölf Optikergeschäften beraten liess.
Fünf von zwölf Optikern empfahlen ihr den Kauf einer Brille (siehe Tabelle). Dabei hatte sich die Testperson von einer Augenärztin zuvor bescheinigen lassen, dass ihre Sehschärfe «für die Ferne und für die Nähe mit jedem Auge 100 bis 120 Prozent» betrage.
Die Testkundin begründete ihren Besuch in den Optikergeschäften damit, sie habe gelegentlich Kopfweh, möglicherweise wegen der häufigen Arbeit am Computer.
Überall absolvierte sie ähnliche Tests mit den immer kleiner werdenden Buchstabenreihen sowie den roten und grünen Kreisen. Auch Harry Wunderli bei Berling Optik in Zürich kam zum gleichen Schluss wie sein Basler Kollege Nömer: «Eine Brille brauchen Sie nicht.» Der Computer habe eine leichte Abweichung gefunden - aber das sei bei allen so.
Fünf Optiker waren anderer Meinung. Bei Martin Optik in Bern empfahl Geschäftsführer René Reiser, vorerst mit einer fixfertigen Billigbrille für 34 Franken - Fassung inklusive - auszuprobieren, ob damit das Kopfweh verschwinde. Die vier anderen setzten auf Masslösungen, um die angebliche Altersweitsichtigkeit der 41-jährigen Testkundin zu korrigieren. Das Lesen am Bildschirm werde dank einer «Entlastungsbrille» mit einer Stärke zwischen +0,5 und +1,0 Dioptrien weniger anstrengend, argumentierten sie.
Bärtschi, Bern: Mass ungefragt den Augendruck
In Bern ortete Bärtschi-Optik-Geschäftsführer Daniel Strüby eine «minimale Hornhautverkrümmung» und empfahl eine Korrektur, die auch gleich «die kommende Altersweitsichtigkeit auffängt». Strüby mass zudem den Augendruck - bei über 40-Jährigen an sich eine sinnvolle Sache. Allerdings ohne die Kundin zu fragen und ohne auf die Kosten (15 Franken) hinzuweisen. Insgesamt ein Kontrast zur Bärtschi-Eigenwerbung, wo unter dem Slogan «besser statt billiger» eine «kompromisslose Qualität in Beratung und Produkten» versprochen wird.
Nachträglich spricht Geschäftsinhaber Martin Bärtschi von einem «Grenzfall» - die Resultate seien nicht eindeutig gewesen. Sollte sich herausstellen, dass die Brille nichts nütze, so könne man sie zurückgeben: «Kein Kunde bezahlt für eine Fehlleistung von uns.»
«Kopfweh hat meist nichts mit den Augen zu tun»
Jürg Gasser von Optic 2000 rechtfertigt sein schlechtes Abschneiden damit, er habe der Kundin verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt; seine Empfehlung für eine «Nahkomfortbrille» mit einer Stärke von +1,0 Dioptrien halte er nach wie vor für richtig. Dominik Meyer, Geschäftsführer von Visilab Zürich, betont, eine Brille könne sehr wohl Kopfweh oder «müde Augen» bekämpfen.
Augenärztin Anna Fierz aus Zürich, die der Testkundin eine einwandfreie Sehschärfe attestiert hatte, beurteilt dies anders: «Eine beginnende Altersweitsichtigkeit ist möglich, weshalb eine Entlastungsbrille nicht völlig falsch ist. Aber man darf nicht versprechen, dass diese mit Sicherheit gegen das Kopfweh helfen wird, denn Kopfschmerzen haben in 90 Prozent aller Fälle nichts mit den Augen zu tun.»
Thomas Eiselt, Geschäftsführer bei McOptik in Basel, bestätigt das. «Mit einer Sehhilfe können wir Ihre Kopfschmerzen bei der Bildschirmarbeit kaum beheben», sagte er der Kundin. Stattdessen empfahl er ihr, zwischendurch in die Ferne zu blicken und regelmässig kräftig zu lüften. «Hilft das nichts, sollten Sie einen Augenarzt aufsuchen.»
Optikerverbände zeigen sich nicht beeindruckt
Dass die Optiker auch dann eine Brille verkaufen wollen, wenn der Kunde sie nicht braucht, beunruhigt Markus Jäggi, Geschäftsführer des Schweizer Optikerverbandes (SOV), überhaupt nicht. Er findet es im Gegenteil erfreulich, dass keine Standardlösungen verordnet wurden. Es gehöre zu einer «äusserst korrekten Berufsauffassung», dass angesichts der Komplexität des menschlichen Auges unterschiedliche Lösungsansätze empfohlen würden. Praktisch gleich tönt es vom Berufsverband der Augenoptiker.
Mehr als jeder zweite Schweizer trägt eine Brille oder Kontaktlinsen; der Jahresumsatz beträgt rund 750 Millionen Franken - Tendenz steigend. Trotzdem ist der Konkurrenzkampf härter geworden. Seit ein paar Jahren drängen grosse Ketten in den Markt. Diese sind keineswegs schlechter als alteingesessene Fachhändler. McOptik und Fielmann, mit 35 respektive 20 Filialen zwei der grossen Anbieter in der Schweiz, erhielten beide ein «sehr gut», weil sie die Kundin kompetent berieten - und der Sehtest erst noch gratis war. Die Schweizer Marktführerin Visilab sowie Optic 2000 hingegen kamen nicht über ein «mangelhaft» hinaus.
Kochoptik: Klare Diagnose schon vor dem Sehtest
Nirgends wurde der Kampf um die Kundschaft so deutlich wie bei Kochoptik im Zürcher Warenhaus Jelmoli: Das angebliche Kopfweh der Kundin sei «höchstwahrscheinlich auf Ihre Weitsichtigkeit zurückzuführen», wusste der Optiker schon vor dem Sehtest und erwähnte, nachdem die Kundin ein O von einem C zu unterscheiden versuchte: «Brillenfassungen gibts übrigens im Moment mit 70 Prozent Spezialrabatt.» Kochoptik nahm bis Redaktionsschluss zu dieser Geschäftspraxis keine Stellung.
Entwaffnend ehrlich war auch Jürg Gasser, Chef der Zürcher Optic-2000-Filiale. Auf die Frage der Testkundin, ob sie denn wirklich eine Brille brauche, sagte er: «Weshalb sind Sie dann zu mir gekommen, wenn Sie keine Brille wollen?»
Wann zahlt die Krankenkasse?
Aus der obligatorischen Grundversicherung bezahlt die Krankenkasse alle fünf Jahre einen Beitrag von 200 Franken an eine neue Brille oder an neue Kontaktlinsen. Das erste Mal ist dazu allerdings eine ärztliche Verordnung nötig, erst ab dem zweiten Mal reicht ein Augenoptikerrezept. Von den grössten Krankenkassen halten sich Helsana, CSS und Groupe Mutuel an das Gesetz. Einzig Visana begnügt sich mit einer Optikerrechnung.
Nur sieben von zwölf getesteten Optikern informierten die Kundin diesbezüglich korrekt. Bei Kochoptik Zürich hiess es, «in 99 Prozent der Fälle» genüge das Optikerrezept. Bei Augenwerk (Bern), Visilab (Zürich), Optic 2000 (Zürich) und Bärtschi (Bern) erklärten die Berater, die Krankenkasse werde einen Beitrag bezahlen. Bei Augenwerk spielte dies indes keine Rolle, weil die Optikerin gar keine Brille verkaufen wollte. Visilab gibt an, man hätte die Kundin informiert, sobald sie tatsächlich eine Brille hätte kaufen wollen.