Der kleinste Fehler beim Deklarieren von Vermögenserträgen genügt, und das Steueramt verweigert die Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Dies selbst in Fällen, wo die Falschdeklaration nicht nur unbeabsichtigt, sondern sogar zum Nachteil des Steuerpflichtigen erfolgt (K-Geld 3/2017). So zum Beispiel, wenn Firmeneigentümer ihre Aktien zwar korrekt deklarieren, die Einnahmen aus Dividenden in der Steuererklärung aber versehentlich nicht aufführen. Die Verrechnungssteuer von 35 Prozent ist in der Regel viel höher als die Einkommenssteuer, die auf die erhaltene Dividende zu entrichten wäre. Die Steuerpflichtigen würden sich also mit einer absichtlichen Nichtdeklaration selbst bestrafen.
Das ging auch dem Bundesrat und dem Parlament zu weit. Im vergangenen September beschlossen sie deshalb, das Gesetz über die Verrechnungssteuer so zu entschärfen, dass unbeabsichtigte Fehler nicht mehr bestraft werden. Die neue Regelung ist seit 1. Januar 2019 in Kraft.
«Auch viele Steuerbehörden fanden die bisherige Praxis stossend», sagt Bernhard Madörin, Senior Partner bei Artax Fide Consult in Basel. In vielen Kantonen hätten sich die Steuerämter und die Gerichte darum zurückgehalten und mit definitiven Entscheiden zugewartet, bis die neue Regelung in Kraft trat.
Anders in Zürich. Noch am 28. September 2018 – am gleichen Tag, an dem das Parlament das entsprechende Gesetz lockerte − verfügte das Steueramt Zürich, dass die Einschätzung in der Steuererklärung von Ruth Gisler nach altem, härterem Recht zu erfolgen habe.
Ruth Gisler, Eigentümerin einer kleinen Privatschule in Zürich, hatte ihre Aktien korrekt deklariert. Und auf die 75000 Franken Dividende hatte sie ebenso korrekt die Verrechnungssteuer von 26250 Franken abgeführt. In der Folge vergass sie jedoch, die Dividende in ihrer Steuererklärung aufzulisten. Durchaus zu ihrem eigenen Nachteil: Da Dividenden bei Firmeninhabern zu einem tieferen Satz besteuert werden, hätte Gisler bei korrekter Deklaration mit Rückerstattung der Verrechnungssteuer rund 19000 Franken Steuern gespart.
«Wer würde sich schon absichtlich benachteiligen»
Das VZ Vermögenszentrum nahm sich Ruth Gislers Problem an. Für den zuständigen VZ-Steuerexperten Markus Stoll handelt es sich hier «ganz klar um einen Fall, bei dem bloss fahrlässig ein Fehler passierte». Stoll: «Wer würde sich schon absichtlich selbst benachteiligen.»
Doch die Folgen für Ruth Gisler waren gravierend: Das Zürcher Steueramt verweigerte ihr die Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Und zusätzlich sollte Gisler die ordentliche Steuer auf die Dividende zahlen, total also rund 31000 Franken.
Firmeninhaberin Gisler wollte das nicht auf sich sitzen lassen: Sie reichte beim Steuerrekursgericht Zürich Beschwerde ein. Denn das seit Jahresbeginn 2019 geltende neue Gesetz muss auch rückwirkend angewendet werden – und zwar für alle hängigen Fälle bis zurück ins Jahr 2014. Nun hat der Kanton die gleiche Rechtsauffassung wie Ruth Gisler und beantragte, das Verfahren einzustellen.