Pferd statt Rind in Europa, falsch deklarierte Fische in den USA, deutsche Eier von Hühnern aus Quälhaltung statt Bio – die Lebensmittelskandale der letzten Tage haben eines gemeinsam: Billigere Produkte wurden durch falsche Angaben auf Begleitpapieren und der Verpackung kostbarer. Die Verkäufer machten auf einfache Weise locker einen Zusatzgewinn.
Dass die Lebensmittelbetrüger leichtes Spiel haben, hat mehrere Ursachen.
Lange Wege: Der Handel ist globalisiert. Lebensmittel legen oft Tausende von Kilometern zurück. Zurzeit verkauft zum Beispiel die Migros bereits wieder grüne Spargeln aus Mexiko.
Viele Zwischenhändler: Immer häufiger läuft der Verkauf über diverse Zwischenhändler. Wie lange und intransparent heute etwa Lieferketten von Fleisch sein können, zeigt sich beim deutschen Convenience-Food-Hersteller Copack. Er hat Lidl Schweiz mit dem Dosenfertiggericht Combino Penne Bolognese beliefert, worin sich auch Anteile von Pferdefleisch befinden. Erhalten hat Copack in Bremerhaven das angebliche Rinderhackfleisch als gegarte, gefrorene Rohware aus dem belgischen Gent. Zuvor war das Fleisch bei Zulieferern im deutschen Steinfeld und in Nieuw-Vennep in Holland. Von dort führt die Spur zu einem Schlachtbetrieb im italienischen Montanera. Otmar Deflorin, Präsident des Verbandes der Kantonschemiker: «Die Grossverteiler müssen die Lebensmittel nur einen Schritt zurück und nach vorne verfolgen können. Deshalb kennen sie nicht die ganze Lieferkette.»
Fragwürdige Zertifikate: Behörden und private Organisationen stellen Betrieben Zertifikate aus – etwa über die Einhaltung von Bio-Richtlinien. Diese Zertifizierung beruht vor allem auf dem Prüfen von Papieren. Werden Kontrollen vor Ort durchgeführt, sind sie meist angekündigt. Auch Bio-Suisse prüft ausländische Bio-Produkte in der Regel durch die Kontrolle von Zertifkaten staatlich akkreditierter privater Stellen. Dieses System basiert auf Vertrauen und schützt zu wenig vor Betrügern (saldo 1/12).
Mangelnde Kontrollen: Die Lebensmittelverkäufer in der Schweiz prüfen nicht in erster Linie die Qualität der gelieferten Lebensmittel, sondern kontrollieren die Lieferpapiere. Das Gesetz verpflichtet Lebensmittelhändler zwar, ihre Produkte danach zu testen, ob Deklaration und Qualität stimmen. Doch es macht keine Vorgaben über Umfang und Häufigkeit solcher Tests.
Kantonslabors: Für Grosskontrollen zu wenig Kapazität und Geld
Die staatlichen Kantonslabors testen die Qualität der Lebensmittel nur stichprobenweise. Ihnen fehlen das Personal und die finanziellen Mittel für breit angelegte Tests. Das Hauptaugenmerk liegt auf Waren, bei denen das Risiko einer Falschdeklaration, fehlender Hygiene oder Verunreinigungen durch Pestizide gross ist: «Man muss wissen, wonach man sucht», sagt Deflorin. Bei unverdächtigen Produkten sind die Schlupflöcher am grössten. «Eine Garantie, dass der Konsument das isst, was auf der Packung versprochen wird, gibt es nicht.»
In die Schlagzeilen kamen in den letzten Wochen vor allem Fälle, bei denen importiertes Rindfleisch mit Pferdefleisch gestreckt wurde. 2011 haben die Schweizer pro Kopf 53,74 Kilogramm Fleisch verspeist. Das ist deutlich mehr, als die Schweizer Landwirtschaft produziert. Deshalb wird rund ein Fünftel des konsumierten Fleisches aus dem Ausland eingeführt.
Die grösste Fleischimporteurin der Schweiz ist die GVFI International AG (Genossenschaft für Vieh- und Fleischimport) in Basel. 2012 hat sie 29 800 Tonnen Fleisch von rund 80 Lieferanten aus 15 Ländern eingekauft. Sie beliefert rund 150 Schweizer Grossmetzgereien, Verarbeiter und die Gastronomie.
Laut Cornelia Gassner, Leiterin Qualitätsmanagement, importiert die GVFI fast ausschliesslich unverarbeitete Teilstücke. Beim Eingang der Ware werde jede einzelne Charge von Auge und mit Hilfe der Etiketten überprüft. Auf Letzteren ist Fleischart, Schlachtbetrieb sowie Schlacht-, Verarbeitungs- und Verbrauchsdatum angegeben.
«Bei ganzen Stücken erkennen wir, wenn Fleisch einer anderen Tierart geliefert wird», behauptet Gassner. Die GVFI kauft im Ausland aber auch Fleischerzeugnisse und Schlachtnebenprodukte ein, bei denen nicht immer klar ersichtlich ist, ob wirklich das drinsteckt, was auf der Etikette steht. Wenn Zweifel bestehen, könnten DNA-Analysen Gewissheit verschaffen. Solche Tierartbestimmungen sind bis anhin aber nur bei Wildfleisch veranlasst worden.
Falsche Inhaltsangaben vor allem bei Fertigprodukten
Auch andere Fleischimporteure wie die VB Food in Wallisellen ZH oder die Ernst Sutter AG im sanktgallischen Gossau führen nach eigenen Angaben hauptsächlich Tierhälften und Edelstücke in die Schweiz ein.
Und wie stellt die Ernst Sutter AG sicher, dass das ausländisches Fleisch nicht falsch etikettiert ist? Im «Sinne von Treu und Glauben» gehe man davon aus, dass sich die Lieferanten «strikte an ihre strengen Beschaffungsbedingungen halten», sagt Marketingleiter Daniel Härter. Zudem werde die Einhaltung der Bedingungen regelmässig überprüft, beispielsweise mittels DNA-Analysen.
Bisher tauchte alles in der Schweiz entdeckte, falsch deklarierte Rindfleisch in Fertigprodukten auf. Dieses gelangte entweder als Import-Hackfleisch oder bereits als Fertigprodukt in die Schweiz.
Der Liechtensteiner Fertig-Food-Hersteller Hilcona musste Mitte Februar sieben Produkte mit Rindfleisch zurückrufen, da sie Anteile von Pferdefleisch enthielten. Verkauft wurden die Produkte in den Läden von Coop, Manor, Volg, Top Shop und Avec. Hilcona gehört zu 49 Prozent der Coop-Metzgerei Bell. Das falsch deklarierte Fleisch bezog Hilcona offenbar von der deutschen Firma Vossko und diese wiederum von einem Lieferanten in Polen.
Weshalb hat die Hilcona, die mit der «Besseresser-Garantie» wirbt, bisher billiges Rindfleisch aus dem Ausland importiert und nicht auf Schweizer Fleisch gesetzt? Und weshalb hat die interne Kontrolle nicht schon früher gemerkt, dass das Rindfleisch falsch deklariert ist? Führt die Hilcona keine eigenen Analysen durch und vertraut blind den Lieferpapieren? Auf diese Fragen von saldo wollte Hilcona keine Antwort geben. Ihre Weigerung begründet sie damit, dass sie ihren «absoluten Fokus auf die schnelle Umstellung auf 100 Prozent Schweizer Rindfleisch» lege.
Fertigprodukte: Fleischherkunft muss nicht deklariert sein
Auf vielen Fertigprodukten wie Lasagne, Tortellini oder einem kompletten Menü findet sich der Vermerk «Hergestellt in der Schweiz». Doch das Fleisch stammt häufig – aus Kostengründen – aus dem Ausland. Das wird den Konsumenten verschwiegen.
Schweizer Hersteller müssen die Herkunft des Fleisches erst angeben, wenn der Anteil am Fertigprodukt über 50 Prozent des Gewichtes ausmacht. Das ist selten der Fall. Deshalb wird die Herkunft des Fleisches nicht deklariert.
Nun soll die Deklarationspflicht bei Fertigprodukten noch weiter verwässert werden. Im Rahmen der Revision des Lebensmittelgesetzes schlägt die nationalrätliche Gesundheitskommission vor, dass bei bestimmten verarbeiteten Lebensmitteln nicht einmal mehr das Herstellungsland angegeben werden muss. Voraussichtlich diesen Monat wird der Nationalrat die Revision des Lebensmittelgesetzes behandeln. Dann wird man sehen, wie ernst es den Parlamentariern mit der Information der Konsumenten ist.