Vegetarier-Food aus dem Labor
Die Hersteller verkaufen vegetarische Fleischersatzprodukte als natürlich und gesund, obwohl sie in den Labors der Lebensmittelindustrie entwickelt wurden.
Inhalt
saldo 6/2006
29.03.2006
Jeannette Büchel
Ob Geschnetzeltes, Gehacktes, Wienerli, Bratwurst, Aufschnitt oder Nuggets: Wer auf Fleisch verzichten will, hat die Wahl zwischen den unterschiedlichsten Ersatzprodukten, die in Aussehen, Geschmack und Konsistenz möglichst dem Original ähneln sollen. Migros ist schon seit über zehn Jahren mit der Produktlinie Cornatur im Vegi-Geschäft, angeboten werden derzeit 32 Produkte. Nun will auch Coop im grossen Stil mitmischen: 25 Produkte umfasst die neu eingeführte Linie Délicorn.
...
Ob Geschnetzeltes, Gehacktes, Wienerli, Bratwurst, Aufschnitt oder Nuggets: Wer auf Fleisch verzichten will, hat die Wahl zwischen den unterschiedlichsten Ersatzprodukten, die in Aussehen, Geschmack und Konsistenz möglichst dem Original ähneln sollen. Migros ist schon seit über zehn Jahren mit der Produktlinie Cornatur im Vegi-Geschäft, angeboten werden derzeit 32 Produkte. Nun will auch Coop im grossen Stil mitmischen: 25 Produkte umfasst die neu eingeführte Linie Délicorn.
Quorn: Pilz-Eiweiss aus englischer Produktionsanlage
Glaubt man der Werbekampagne, sollen dank Délicorn selbst Löwen die fleischlose Kost bevorzugen. Laut Coop entsprechen die Produkte zudem der «eigenen Philosophie der möglichst hohen Natürlichkeit». Und Migros führt das Wort «Natur» sogar im Namen der Produktlinie. Doch mit natürlichem Genuss haben die vegetarischen Fleischersatzprodukte herzlich wenig zu tun. Denn sie sind nicht etwa natürlich gewachsen, sondern stammen aus den Laborküchen der Lebensmittelproduzenten.
Beispiel 1: Quorn. Das Produkt wird in der Schweiz exklusiv von Migros verkauft. Als Basis dient nicht ein Lebensmittel, sondern ein Schimmelpilz. «Gefüttert» wird der Schimmelpilz mit Traubenzucker, Sauerstoff, Stickstoff und Mineralien. Nach einigen Tagen im Bio-Reaktor sondert der Pilz Eiweiss ab, das abgeschnitten wird. Je nachdem, welche Fleischart imitiert werden soll, darf der Pilz länger oder weniger lang wachsen. So kann man die Länge der Fasern und die Textur beeinflussen.
Produziert wird Quorn von der Firma Marlow Foods in England. In die Schweiz gelangt das Pilz-Eiweiss per Lastwagen. Einige Produkte werden sogar erst nach Holland gekarrt, dort verarbeitet und danach in die Schweiz transportiert, wo sie abgepackt und an die Migros ausgeliefert werden. Das ist offenbar billiger als eine Produktion in der Schweiz. Andrea Miolo, Sprecherin von Marlow Foods: «Die Grossinvestition für eine zweite Produktionsanlage einzig für den Schweizer Markt zu tätigen, wäre unverhältnismässig und würde sich auf den Preis der Produkte auswirken.»
«Die Deutschen wollen keine Kunstprodukte»
Quorn-Produkte werden ausser in der Schweiz nur in Grossbritannien, Belgien, den Niederlanden, Schweden und in den USA verkauft. In Deutschland sucht man sie vergebens. Laut Andrea Miolo soll das vorerst auch so bleiben: «Die Einführung eines neuen Produkts in einen solch grossen Markt ist mit enormen Kosten verbunden.» Udo Pollmer, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel-und Ernährungswissenschaften in München, vermutet andere Ursachen: «Dass es in Deutschland nicht verkauft wird, hat wohl eher mit der Stimmungslage der Bevölkerung zu tun. Die will kein Kunstprodukt.»
Auch der Geschmack kommt aus dem Labor
Beispiel 2: Produkte auf Soja-und Weizenbasis. Sowohl Coop als auch Migros führen solches «Sojafleisch» im Sortiment. Die Herstellung ist kompliziert und hochtechnisiert. Aus dem Sojamehl wird zuerst das Eiweiss herausgelöst. Dieses wird zusammen mit Weizenprotein erhitzt und durch eine feine Hochdruckdüse gespritzt, wobei sich die Fasern zu einer schaumähnlichen Konsistenz aufblähen. «Textured Vegetable Protein» nennen die Fachleute die faserartige Masse, die zusammen mit Hühnereiweiss zu Nuggets, Schnitzeln und Ähnlichem verarbeitet werden kann.
Ob Quorn oder «Sojafleisch», im Rohzustand sind beide praktisch geruchs- und geschmacklos. Damit sie wie Fleisch schmecken und aussehen, müssen die Lebensmittelingenieure nachhelfen: Erst dank Aromen, Geschmacksverstärkern, Farbstoffen und anderen Hilfsmitteln wird aus der faden Masse Pseudofleisch.