Rund zwei Drittel der Einwohner der Schweiz sind Mieter. Sie zahlten im letzten Jahr insgesamt Mietzinse in der Höhe von 32 Milliarden Franken. Dies geht aus den Erhebungen des Bundesamts für Statistik hervor. Die Tendenz ist von Jahr zu Jahr steigend. In den letzten vier Jahren stieg der Mietpreisindex um 5 Prozent (siehe Grafik rechts unten). In der gleichen Periode betrug die Teuerung bloss 0,4 Prozent.
Diese Entwicklung erstaunt: Denn eigentlich sind die Kosten für die Wohnungen so tief wie noch nie – dank der sehr tiefen Hypothekarzinsen. Davon profitieren die Hauseigentümer, denn die Darlehenszinsen sind mit Abstand die grössten Ausgaben jedes Hausbesitzer.
Von den sinkenden Kosten der Eigentümer sollten auch die Mieter profitieren. So sieht es das Gesetz vor. Konkret: Die Mietzinse steigen und sinken laut dem Mietrecht gestützt auf den sogenannten Referenzzinssatz. Er entspricht dem durchschnittlichen Hypozinssatz der Banken.
Per 1. Juni dieses Jahres sank der Referenzzinssatz auf 2,25 Prozent. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren lagen die kantonalen Hypothekarzinssätze noch bei 4 Prozent (siehe Grafik links oben). Daraus folgt: Die Kosten der Hausbesitzer für die Hypotheken sanken praktisch auf die Hälfte.
Die Mietzinsreduktion kann einen stolzen Betrag ausmachen
Das bedeutet konkret: Die Mieter hätten einen rechtlichen Anspruch auf Reduktion des Mietzinses, weil ihr bestehender Vertrag von höheren Hypozinskosten ausging. Sind seit der letzten Mietzinsänderung mehrere Jahre vergangen, kann das einen schönen Betrag ausmachen (siehe Tabelle auf 11). Wer zum Beispiel im Jahr 2008 einen Mietvertrag abschloss, als der Referenzzinssatz bei 3,5 Prozent lag, hätte heute Anspruch auf eine Mietreduktion von rund 13 Prozent. Das ist je Tausend Franken Miete ein Betrag von 130 Franken – und das jeden Monat.
Bei der Berechnung des tatsächlichen Senkungsanspruchs kann der Vermieter die Teuerung, allfällig gestiegende Unterhaltskosten und Renovationen entgegenhalten (siehe Kasten auf Seite 11).
saldo machte die Probe aufs Exempel und berechnete aus zwanzig zufällig ausgewählten Mietverträgen, ob der aktuelle Mietzins noch stimmt. Resultat: Egal ob der Vertrag aus dem Jahr 1998, 2005 oder 2010 stammt – es ergab sich in jedem Fall ein Senkungsanspruch zwischen 80 und rund 200 Franken pro Monat. Das zeigt: Die Mieter haben heute praktisch durchwegs einen Senkungsanspruch – sofern der Vermieter nicht in die Liegenschaft investierte und für die Mieter daraus ein Mehrwert entstand.
Mieter machen ihre Ansprüche viel zu selten geltend
Die Vermieter senken den Mietzins nicht von sich aus. Und die Mieter machen diesen Anspruch gemäss dem Schweizerischen Mieterverband nicht häufig geltend. Beispiel: Als der Referenzsatz im Jahr 2011 von 2,75 auf 2,5 Prozent sank, profitierte nur jeder sechste Mieter von einem tieferen Mietzins. Michael Töngi vom Mieterverband weiss, dass viele Mieter zögern, die ihnen zustehende Reduktion einzufordern: «Sie haben Angst vor einer Auseinandersetzung mit dem Vermieter. Oder sie fürchten, dass die Miete am Schluss steigt, statt sinkt.» Zudem wüssten viele gar nicht, wie sie eine Mietzinsreduktion einfordern können.
Hausbesitzer schlagen bei Mieterwechsel häufig happig auf
Dass die Mieten trotz Tiefzinsperiode und Nullteuerung steigen, hat einen weiteren Grund: Der Zürcher Mieterverband macht die Erfahrung, dass Vermieter oft aufschlagen, wenn eine Wohnung neu vermietet wird. Das Immobilienbewertungsunternehmen Iazi belegt diese Erfahrung mit Zahlen: Danach steigen die Mieten im Schnitt nach einem Wechsel um 4,3 Prozent. In der Stadt Zürich beträgt der Aufschlag beim Mieterwechsel sogar durchschnittlich 12,6 Prozent, in der Stadt Genf 13,6 Prozent.
Theoretisch besteht auch hier bei missbräuchlichen Aufschlägen eine rechtliche Handhabe. Den Anfangsmietzins kann man unter bestimmten Umständen innert 30 Tagen seit Einzug anfechten. Das kann sich durchaus lohnen: So zahlte ein Zürcher Mieter laut Zürcher Mieterverband für seine neue Wohnung 2525 Franken, der Vormieter bloss 2200 Franken. Bevor es zu einem Verfahren bei der Schlichtungsbehörde kam, konnte er sich mit dem Vermieter auf einen Vergleich einigen. Sein Mietzins wurde um 200 Franken auf 2325 Franken gesenkt.
Trotz den hohen Mieten wehren sich die Mieter kaum. Laut dem Halbjahresbericht der Schlichtungsstellen verzeichneten sie in der ganzen Schweiz im ersten Halbjahr nur 275 Beschwerden gegen überhöhte Anfangsmietzinse. Viele Mieter akzeptieren die steigenden Mietzinse wohl, weil sie einfach froh sind, eine Wohnung gefunden zu haben.
Denn die Leerwohnungsquote in der Schweiz beträgt bloss 0,94 Prozent. In der Stadt Zürich liegt die Quote bei 0,03 Prozent, in Genf bei 0,02 Prozent. In Bern, Basel und Lausanne liegt sie ebenfalls unter 0,5 Prozent. Bei einer Leerwohnungsquote unter 1 Prozent spricht man von Wohnungsmangel, unter 0,5 Prozent von Wohnungsnot. Das heisst: Auf 10 000 Wohnungen müssten bei einem funktionierenden Wohnungsmarkt 100 leere Wohnungen kommen. In Zürich sind es aber nur 3.
Den Grund für den Wohnungsmangel sehen Experten im Bevölkerungswachstum. Die Immobilienberatungsfirma Wüest & Partner schreibt in ihrem aktuellen Quartalsbericht, dass die Nettozuwanderung zu weiteren Preissteigerungen führen wird.
Mit andern Worten: Nicht der Buchstabe des Gesetzes bestimmt den Mietzins, sondern die Nachfrage und der Bestand an freien Wohnungen. Das sieht auch der Schweizerische Hauseigentümerverband so. Er schlägt unter anderem vor, dass die Bauzonenordnungen in den Städten und Agglomerationsgemeinden höhere Gebäude und höhere Ausnützungsziffern zulassen. So könnte verdichteter gebaut werden. Der Schweizerische Mieterverband schlägt zusätzlich vor, dass die Vermieter beim Mieterwechsel höchstens 5 Prozent aufschlagen dürften.
Wichtig ist in den Augen des Mieterverbandes auch die vermehrte Subventionierung der Bauten von Wohnbaugenossenschaften, damit mehr günstige Wohnungen auf den Markt kommen.
Tatsächlich verzeichnet der Dachverband der schweizerischen Wohnbaugenossenschaften zwischen 2010 und 2011 nur eine Zunahme von rund 700 Wohnungen. Zum Vergleich: Total wurden in diesen zwei Jahren insgesamt 50 000 neue Miet- und Eigentumswohnungen erstellt.
Immobilienbesitzer: Investitionen mit traumhaften Renditen
Hauseigentümer haben in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren von starken Preissteigerungen profitiert. Grosse Immobilienbesitzer in der Schweiz sind zum Beispiel die SBB und der Versicherungskonzern Swiss Life.
Die SBB besitzen laut eigenen Angaben 3500 Gebäude und 4000 Grundstücke. Dazu gehören nicht nur Bahnhöfe und Schienen, sondern auch rund 7500 Mietwohnungen und Einfamilienhäuser als Anlageobjekte oder für SBB-Angestellte. Der Gesamtwert gemäss SBB-Geschäftsbericht: 7,1 Milliarden Franken.
Der Versicherungskonzern Swiss Life wiederum setzt für seine Liegenschaften in der Bilanz eine Summe von 13,7 Milliarden Franken ein.
Insgesamt gehören fast ein Drittel aller Schweizer Mietwohnungen Liegenschaftenunternehmen, Versicherungen und Pensionskassen. Für sie sind Immobilien reine Anlageobjekte.
Investitionen in Immobilien zahlen sich aus: Die Bruttorendite auf den Mietwohnungen betrugen 2011 laut dem Zürcher Beratungsunternehmen Wüest & Partner rund 8 Prozent. Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren: Zwischen 2000 und 2006 lag die Rendite bei rund 5,5 Prozent. Zum Vergleich: Zehnjährige Bundesobligationen warfen 2011 rund 1 Prozent Rendite ab.
Vor allem nach den beiden Börsencrashs 2000 und 2007 setzen institutionelle Anleger vermehrt auf Immobilien.
Von den hohen Renditen der letzten Jahre profitieren auch Privatpersonen: Ihnen gehören 56,3 Prozent der Schweizer Wohnungen.
Die Genossenschaften besitzen hingegen nur 9 Prozent aller Schweizer Mietwohnungen. Im Schnitt bezahlen ihre Mieter 10 Prozent weniger für vergleichbare Wohnungen. Dies zeigt die letzte Mietpreis-Strukturerhebung des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2003.
Tipps: So machen Sie eine Mietzinsreduktion geltend
Prüfen Sie auf www.mietrecht.ch/51.0.html, ob Sie eine Reduktion zugut haben. Im Formular geben Sie ein, wann der Mietzins zuletzt geändert wurde. War das noch nie der Fall, setzen Sie den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein. Der Rechner berücksichtigt die seitherigen Änderungen des Hypozinssatzes und die aufgelaufene Teuerung. Die Teuerung darf zu 40 Prozent mitgerechnet werden. Mit dem Rechner erfahren Sie, ob Sie trotz Teuerung, gesteigerter Unterhaltskosten und allfälliger Investitionen für Renovationen unter dem Strich mehr Miete bezahlen, als das Gesetz vorsieht.
Ist dies der Fall, können Sie vom Vermieter per Einschreiben eine Herabsetzung verlangen. Lehnt er ab, können Sie innerhalb von 30 Tagen bei der Schlichtungsbehörde in Mietsachen ein Begehren um Reduktion einreichen. Reagiert der Vermieter überhaupt nicht, ist das Begehren innert 60 Tagen seit Versand des Briefes bei der Schlichtungsbehörde einzureichen. Entsprechende Formulare gibt es auf den Websites der regionalen Schlichtungsbehörden (zu finden unter www.mietrecht.ch/71.0.html).
Manche Vermieter erhöhen den Mietzins bei Mieterwechsel massiv. Dann haben die Neumieter die Möglichkeit, innerhalb von 30 Tagen ab Wohnungsübernahme bei der Schlichtungsbehörde den Mietzins anzufechten. Folgende Bedingungen müssen gegeben sein:
- Der Mietzins ist mindestens 10 Prozent höher als beim Vormieter.
- Mangels freier Wohnungen und einer persönlichen Notlage waren Sie faktisch zum Abschluss des Mietvertrages gezwungen.
Schlichtungsverfahren sind kostenlos. Meist kommt es zu einem Vergleich. Dann geniessen Mieter einen dreijährigen Kündigungsschutz.
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