Neue Medikamente: Gleiche Wirkung, höhere Preise
Neue Medikamente wirken nicht unbedingt besser als bewährte Arzneimittel. Aber sie kosten oft mehr. Das Bundesamt für Gesundheit segnet diese Praxis der Pharmabranche ab.
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saldo 15/2013
25.09.2013
Eric Breitinger
Schweizer Ärzte haben im vergangenen Jahr 18 angeblich innovative Medikamente verordnet. Kosten: rund 30 Millionen Franken. Die meisten Präparate brachten den Patienten keine Vorteile, aber den Herstellern zusätzliche Millionengewinne.
Forscher der Universität Bremen analysierten im «Innovationsreport 2013» die Studien zu Nutzen und Risiken von 23 Medikamenten, die 2010 und Anfang 2011 neu auf den deutschen Markt kamen. In der Schweiz verg&...
Schweizer Ärzte haben im vergangenen Jahr 18 angeblich innovative Medikamente verordnet. Kosten: rund 30 Millionen Franken. Die meisten Präparate brachten den Patienten keine Vorteile, aber den Herstellern zusätzliche Millionengewinne.
Forscher der Universität Bremen analysierten im «Innovationsreport 2013» die Studien zu Nutzen und Risiken von 23 Medikamenten, die 2010 und Anfang 2011 neu auf den deutschen Markt kamen. In der Schweiz vergüten die Krankenkassen inzwischen 18 dieser 23 neuen Arzneien. Resultat: Wer ein neues Medikament verschrieben erhält, bekommt nicht unbedingt ein Präparat, das besser wirkt als bewährte Mittel.
Nur zwei Medikamente bringen laut der Studie einen nennenswerten Nutzen: Das Präparat Brilique reduziert das Risiko von Herzpatienten, an einem Infarkt zu sterben. Das Medikament Revolade hilft Leuten, die zu wenig rote Blutkörperchen haben. Schweizer Ärzte verordneten 2012 beide Mittel für total 1,6 Millionen Franken.
Forscher bezeichnen viele Mittel als «Scheininnovationen»
Die meisten Verschreibungen der neuen Medikamente sind jedoch unbegründet. Die Bremer Forscher bezeichneten 14 der 23 Medikamente als «Scheininnovationen». Das heisst: Sie sind nicht besser als erprobte Arzneimittel, auch wenn ihre Hersteller das Gegenteil behaupten. Beispiele:
- Schweizer Ärzte verordneten 2012 für 4 Millionen Franken Onbrez. Der enthaltene Wirkstoff soll zur Therapie der chronischen Lungenerkrankung COPD helfen. Laut dem Report stellt das Mittel keine «wesentliche therapeutische Innovation» dar.
Für 3 Millionen Franken verschrieben Ärzte Multaq zur Behandlung von Herz-Vorhofflimmern. Die Forscher halten dessen «Nutzen-Risiko-Relation» für fragwürdig. Andere Verschreibungen für neue Medikamente können für die Gesundheit der Patienten sogar nachteilig sein:
- Ärzte verschrieben Prolia zur Behandlung von Osteoporose für 9,2 Millionen Franken – sowie Xgeva bei Knochenmetastasen für 5 Millionen Franken. Beide Präparate enthalten Denosumab. Die Bremer Experten empfehlen, diesen Wirkstoff nur zurückhaltend zu verschreiben, etwa an Patienten, bei denen die Standardtherapien versagten. Denosumab enthalte Hemmstoffe, die das Risiko schwerer Infektionen erhöhen. Es gebe zudem keine Studien zur Sicherheit bei einer längeren Einnahme.
Die Forscher warnen zudem vor den Risiken des Medikaments Daxas zur Behandlung der chronischen Lungenerkrankung COPD. Schwer erkrankte Patienten, die Daxas einnehmen, verlören oft an Gewicht. Zudem gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko. Schweizer Ärzte verschrieben das Medikament für total 180 000 Franken. Obwohl sie nicht mehr taugen, sind drei Viertel der neuen Medikamente teurer als bewährte Mittel. Hintergrund: Das Gesetz fordert zwar, dass neue Medikamente «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sein müssen, damit die Krankenkassen sie vergüten. Die Beispiele zeigen aber, dass das Bundesamt für Gesundheit Gesuche für eine Kassenzulassung auch dann durchwinkt, wenn der Hersteller für ein Präparat einen hohen Preis verlangt, ohne einen Zusatznutzen beweisen zu können. Das Bundesamt erklärt, dass bei der Preissetzung Auslandspreise sowie Wirkungsstudien berücksichtigt würden.
Wirksamkeit: Vergleiche finden häufig nur mit Plazebos statt
Der Präsident der Eidgenössischen Arzneimittelkommission, Max Giger, kritisierte jüngst, dass aus den eingereichten Wirksamkeitsstudien für viele neue Präparate «der klinische Nutzen für die Patienten» nicht ersichtlich sei. Denn viele Hersteller vergleichen ihre Präparate in Tests nicht mit bewährten Medikamenten, sondern nur mit wirkstofffreien Präparaten, sogenannten Plazebos. So lässt sich aber höchstens nachweisen, dass die neuen Medikamente eine gewisse Wirkung haben, nicht aber dass sie besser sind als bewährte Arzneimittel.