Das Keramikkochfeld Daglig kostet in der Ikea in Dietlikon ZH beinahe doppelt so viel wie in der Ikea-Filiale im deutschen Freiburg: 599 Franken statt Fr. 306.60. Beim Modehaus Ulla Popken in Bern ist dasselbe Dreiviertelarm-Shirt 81 Prozent teurer als in Konstanz. Und für die Socken von Falke verlangt Coop City 62 Prozent mehr als das Modehaus May in Waldshut: nämlich 20 Franken statt umgerechnet Fr. 12.30.
Schweizer Generalimporteure diktieren Mindestpreise
Der «K-Tipp» hat vor einem Monat 450 von Leserinnen und Lesern gemeldete Preise aus der Schweiz und aus Deutschland ausgewertet. Resultat: Am grössten sind die Differenzen bei Knopfzellenbatterien, wie sie etwa Hörgeräte benötigen. Sie sind in der Schweiz sechsmal teurer als ennet der Grenze. Für Kosmetika zahlt man zwei- bis dreimal so viel, für Tierfutter und Heimwerkerartikel das Doppelte. Auch Reinigungs- und Waschmittel ist hier 1,5-mal so teuer wie in Deutschland (siehe «K-Tipp» 13/2012).
Wie kommen die hohen Schweizer Preise zustande? Etwa, indem der Schweizer Generalimporteur den Läden Mindestpreise vorschreibt und so tiefere Preise verhindert. Dies zeigt beispielhaft das jüngste Urteil der Wettbewerbskommission (Weko), das letzte Woche veröffentlicht wurde: Die Altimum AG, Importeurin von Bergsportartikeln der Marke Petzl, hatte den Sportgeschäften Mindestpreise diktiert. Deshalb wurde das Unternehmen mit einer Busse von 470 000 Franken bestraft. Altimum habe mit seiner Preisbindung gegen Schweizer Wettbewerbsrecht verstossen und «zur Hochpreisinsel Schweiz beigetragen», so die Weko. «Die Schweiz ist und bleibt eine Hochpreisinsel», bestätigt auch Preisüberwacher Stefan Meierhans in seinem neuen Bericht über die «Frankenstärke und Preise».
Die Folge: Laut einer repräsentativen Befragung der Universität St. Gallen im Sommer kaufen 42 Prozent der Schweizer auch im Ausland ein. In Grenznähe sind es sogar 60 Prozent. 33 Prozent der Befragten decken sich mit bis zu einem Drittel ihres Lebensmittelbedarfs im Ausland ein, 9 Prozent liegen darüber.
«Eine gewisse Preistoleranz ist vorhanden»
Maximilian Weber vom Institut für Detailhandelsmanagement an der Universität St. Gallen kennt das Einkaufsverhalten genau: «Die Schweizer Konsumenten haben zwar eine gewisse Preistoleranz und sind bereit, etwas mehr zu bezahlen. Bei zu grossen Preisunterschieden aber weicht eine hohe Anzahl ins Ausland aus.» Und wer einmal im grenznahen Ausland eingekauft habe, tue es meist wieder.
Die hohen Schweizer Preise belasten nicht nur die Budgets der Konsumenten, sondern schaden auch der Schweizer Wirtschaft. Laut einer Einkaufstourismus-Studie der Credit Suisse flossen letztes Jahr zwischen 4 und 5 Milliarden Franken ins Ausland. Laut Studienautor Damian Künzi hat der Einkaufstourismus im laufenden Jahr weiter zugenommen. Das belegen unter anderem die Zahlen der Hauptzollämter Lörrach und Singen, wo Schweizer zwischen Januar und Juni 6,43 Millionen Ausfuhrscheine abstempeln liessen, um die deutsche Mehrwertsteuer zurückzuerhalten. Das entspricht einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber dem Vorjahres-Halbjahr. Die Interessengemeinschaft Detailhandel Schweiz rechnet mit bis zu 8 Milliarden Franken, die dieses Jahr auf der anderen Seite der Grenze ausgegeben werden, wie Migros-Sprecher Urs Peter Naef gegenüber saldo erklärte. Das sind fast 9 Prozent des Umsatzes der Schweizer Grossverteiler.
Negative Folgen hat der Einkaufstourismus auch für die Bundeskasse. Studienautor Künzi schätzt, dass dem Staat ein dreistelliger Millionenbetrag bei den Mehrwertsteuern entgeht.
Muss also ein schlechtes Gewissen haben, wer im Ausland einkauft? Nein, sagen der Fribourger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger und Preisüberwacher Stefan Meierhans. Erst auf Druck der Konsumenten und der Öffentlichkeit seien Währungsvorteile überhaupt weitergegeben worden, schreibt der Preisüberwacher.
Markenhersteller und Detailhändler betonen immer wieder, die höheren Schweizer Preise seien eine Folge von höheren Löhnen, Mieten und Transportkosten, des kleinen Marktes sowie Handelseinschränkungen. Das BAK Basel, ein aus der Universität Basel hervorgegangenes unabhängiges Forschungsinstitut, hat vor zwei Jahren im Auftrag der grossen Schweizer Detailhändler die Preisunterschiede analysiert.
Das Ergebnis: Der Schweizer Detailhandel muss die gleichen Waren viel teurer einkaufen als seine Konkurrenten in den umliegenden Ländern Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien. Das heisst: Die hohen Konsumentenpreise in der Schweiz sind primär auf die höheren Beschaffungskosten im In- und Ausland zurückzuführen. Nur minim höher ist in der Schweiz der Kostenanteil von Mieten, Transport, Energie und Werbung.
Hohe Produktivität der Schweizer Angestellten reduziert Personalkosten
Die Basler Studie räumt auch auf mit der Behauptung, die Lohnkosten der Unternehmen seien in der Schweiz höher. Gemäss Projektleiter Michael Grass sind die Bruttolöhne der Angestellten im Detailhandel durchschnittlich zwar um 30 Prozent höher als in den umliegenden EU-Ländern. Berücksichtige man aber auch die Lohnnebenkosten, also die Sozialleistungen und Versicherungen, reduziert sich diese Differenz auf 20 Prozent.
Das ist nicht alles: Denn die Schweizer Angestellten sind auch produktiver. Laut der BAK-Studie bringt etwa ein Mitarbeiter in Deutschland seinem Arbeitgeber pro Stunde 37 Franken ein, die Angestellten im Schweizer Detailhandel leisten pro Stunde Arbeit im Wert von Fr. 48.70. Unter Einbezug all dieser Faktoren sind die Kosten der Unternehmen für ihre Angestellten in der Schweiz sogar leicht tiefer als in den vier Nachbarländern.
Im Übrigen wird der Anteil der Personalkosten am Produktpreis meist überschätzt: Er beträgt durchschnittlich nur 14 Prozent. Mit 61 Prozent ist die Warenbeschaffung im In- und Ausland der grösste Kostenblock für den Schweizer Detailhandel (siehe Grafik).
Anastasia Li, Direktorin des Schweizerischen Markenartikelverbandes Promarca, rechtfertigt die höheren Schweizer Preise denn auch nicht mit den Löhnen. Die Preisunterschiede würden durch die teure Bearbeitung des kleinen Marktes und die Dreisprachigkeit verursacht. Für die Differenzen wesentlich verantwortlich seien auch schweizerische Eigenheiten wie Qualitäts- und Umweltstandards, Sicherheitsvorschriften oder spezielle Etikettierung.
Zudem wirft Promarca dem Schweizer Handel vor, bei Markenartikeln maximale Gewinne zu erzielen. Coop und Migros würden ihre Marktmacht gegenüber den Lieferanten spielen lassen und den grössten Teil des Kuchens für sich beanspruchen.
Grossverteiler klagen über hohe Einkaufspreise bei Markenartikeln
Die Migros hält dem entgegen, dass der Detailhandel Markenartikel zu deutlich höheren Preisen gegenüber dem Ausland einkaufen muss. Laut Denner können die Einstandspreise für Schweizer Händler sogar höher sein als die Ladenpreise in Deutschland. Die speziellen Schweizer Ausstattungen und Deklarationen, auf welche sich die Hersteller berufen, sind laut Denner nur «Scheinargumente». Coop beklagt Importbeschränkungen: Weiterhin könnten nur wenige Produkte des Standardsortiments günstig parallel importiert werden.
Schweiz: Konsumenten sind bereit, mehr zu bezahlen
Tatsache ist: Der Preis eines Produktes im Laden hat meist nichts mit den Kosten und der Qualität zu tun (saldo 13/12). Der Preis hängt im Wesentlichen von der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten ab. Und die Zahlungsbereitschaft in der reichen Schweiz ist im Vergleich zum Ausland hoch. Der Preisüberwacher bestätigt, dass sich «die Preise nicht alleine nach den Kosten richten und die Unternehmen hohe Gewinne zu Lasten der Haushaltsbudgets machen».
Er kommt in seinem Bericht deshalb zum Schluss: «Solange es die Wettbewerbssituation erlaubt, leben sowohl der Detailhandel als auch der Markenartikelanbieter relativ gut mit Preisen, welche die Zahlungsbereitschaft der Kunden abschöpfen: Beide profitieren – die Kunden bezahlen.»
«Der Konsument soll sich preisbewusst verhalten»
saldo: Worauf sind die Preisunterschiede zwischen der Schweiz und dem benachbarten Ausland zurückzuführen?
Reiner Eichenberger: Im Detailhandel gibt es zu wenig Konkurrenz. Und für ausländische Ladenketten ist es sehr schwierig, in der Schweiz Fuss zu fassen. Beides führt in der Schweiz zu höheren Preisen. Ein weiterer Preistreiber ist die Landwirtschaftspolitik: Hohe Zölle auf Importen ermöglichen es den Händlern in der Schweiz, schweizerische Produkte teuer zu verkaufen.
Grosshändler wie Migros und Coop machen vor allem die Hersteller und Importeure von Markenprodukten für die hohen Preise verantwortlich.
Klar ist: Die internationalen Konzerne verlangen für ihre Waren ganz unterschiedliche Preise – je nach Land. Die Hersteller versuchen ihre Gewinne zu erhöhen und wollen die sehr hohe Kaufkraft der Schweiz abschöpfen.
Der Schweizerische Markenartikelverband Promarca behauptet aber, die Bruttomargen der Grossverteiler Migros und Coop seien europaweit am höchsten. Deshalb seien die Preise in der Schweiz so hoch.
Tatsache ist, dass in der Schweiz der Wettbewerb im Detailhandel zu wenig spielt. Migros und Coop haben sich gut miteinander arrangiert. So ist der Preiswettbewerb eingeschlafen. Dafür sind die Kosten, beispielsweise für Werbung, Kundenbindungsprogramme, Ausstattung der Läden oder die Verwaltung explodiert. Es ist gut, dass nun dieses Duopol von Coop und Migros durch Aldi und Lidl herausgefordert wird.
Wer also ist schuld an den hohen Preisen: die Markenunternehmen oder der Detailhandel?
Man kann keinem von beiden den Schwarzen Peter zuschieben. Alle machen ihre Arbeit und erhöhen ihre Gewinne. Die hohen Preise sind ein Ergebnis der heutigen politischen und wirtschaftlichen Situation in der Schweiz.
Was muss sich ändern, damit sich die Preise in der Schweiz denjenigen der Nachbarländer annähern?
Es braucht die Öffnung der Grenzen, des Versandhandels und des Einkaufs auf der anderen Seite der Grenze. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip, also der erleichterte Import von ausländischen Artikeln, muss konsequenter als bisher umgesetzt werden. Und die Agrarpolitik muss sich ändern: Mehr Freihandel mit dem Ausland ist auch eine Chance für die Schweizer Bauern. Mittelfristig sollten die Direktzahlungen an die Landwirte reduziert werden. Und sie sollten stärker der Berglandwirtschaft zugute kommen.
Kann der einzelne Konsument etwas gegen die hohen Preise tun?
Ja, er soll sich beim Einkaufen preisbewusst verhalten. Das Feld für tiefere Preise kann er bereiten, indem er sich beim Ladenpersonal über die hohen Preise beklagt. Zudem sollten Konsumenten im Ausland einkaufen.
Dadurch fliesst aber Geld ins Ausland ab und in der Schweiz gehen Arbeitsplätze verloren.
Für Migros und Coop ist das nicht gut, für fast alle anderen aber schon. Denn das beim Auslandeinkauf gesparte Geld können wir hier anders ausgeben.
Ist es überhaupt denkbar, dass die Schweizer Preise auf das Niveau der Nachbarländer sinken?
Fast. Gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf sind die Schweizer knapp doppelt so reich wie die Deutschen. Solange das so ist und die Märkte nicht allzu offen sind, sinken die Preise nicht auf deutsches Niveau. Bei völlig offenen Grenzen halte ich 5 bis 10 Prozent höhere Preise in der Schweiz gegenüber Deutschland für realistisch. Dass das geht, zeigt das Beispiel Luxemburg: Dank offener Märkte sind die Preise im sehr reichen Grossherzogtum ähnlich tief wie in den Nachbarländern.