Journalisten im Dienst von PR-Agenturen
Hinter der Warnung vor giftigen Solarmodulen steckt das Lobbying eines Unternehmens. Zeitungen verbreiten die Irreführungen, statt ihre Leser kritisch aufzukären.
Inhalt
saldo 02/2011
30.01.2011
Letzte Aktualisierung:
01.02.2011
Eric Breitinger
Zu Tausenden sind auf Schweizer Dächern giftige Solarmodule montiert, enthüllte die «Handelszeitung» letztes Frühjahr. Die beiden Autoren des Artikels «Umweltschützer warnen vor Giftstoffen» erklären, dass eine «Phalanx aus Umweltschützern, Wissenschaftern, EU-Politikern» ein Verbot der Dünnschicht-Solarzellen fordert.
Diese würden – anders als giftfreie Silizium-Solarzellen – die Schwermetall-...
Zu Tausenden sind auf Schweizer Dächern giftige Solarmodule montiert, enthüllte die «Handelszeitung» letztes Frühjahr. Die beiden Autoren des Artikels «Umweltschützer warnen vor Giftstoffen» erklären, dass eine «Phalanx aus Umweltschützern, Wissenschaftern, EU-Politikern» ein Verbot der Dünnschicht-Solarzellen fordert.
Diese würden – anders als giftfreie Silizium-Solarzellen – die Schwermetall-Verbindung Cadmiumtellurid enthalten. Cadmium gefährde die Gewässer ebenso wie das Erbgut des Menschen und löse Krebs aus.
Auch andere Medien greifen das Thema auf
Der Artikel sagt nicht, wer genau der angeblichen «Phalanx» von Cadmium-Gegnern angehört. Die Autoren zitieren als Kritiker ausschliesslich Stimmen aus dem Umfeld der «neu gegründeten Interessensgruppe» Non Toxic Solar Alliance (NTSA).
Weitere Medien griffen das Thema auf: Auch die «Süddeutsche Zeitung» lässt NTSA-Wissenschafter gegen das «Gift auf dem Dach» wettern. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» macht es genauso. Eine neue Studie der deutschen Initiative Lobby Control legt nun den Schluss nahe, dass diese Artikel die frisierte Botschaft einer PR-Firma verbreiteten.
Auf ihrer Homepage und in Broschüren stellte sich die NTSA als gemeinnützige Organisation dar, die von «Wissenschaftern, Forschern, Vertretern der Solarbranche und Mitgliedern der Zivilgesellschaft» getragen werde.
Gemäss Gründungsprotokoll wurde die NTSA jedoch Ende 2009 in den Berliner Büros der Lobbyagentur Bohnen Kallmorgen & Partner (BKP) gegründet. Alle offiziellen Gründer waren Angestellte der Agentur.
Die BKP steuerte laut der Studie die Lobbyarbeit der NTSA. Hinzugezogene Wissenschafter dienten dazu, dem NTSA-Anliegen in den Medien Gewicht zu verleihen. Einige Zeitungen zitierten zudem cadmium-kritische Studien.
Diese wurden nach Angaben der Lobby Control von der NTSA oder von Firmen bezahlt, die Silizium-Solarzellen produzieren. Die Lobbyagentur BKP will auf saldo-Anfrage keine Stellung nehmen. «Irreführend» äusserte sich die NTSA laut Studie auch über ihre Zielsetzung.
Auf der Homepage behauptete die Allianz, sich für «Herstellung und Gebrauch giftstofffreier Solarmodule einzusetzen, um so langfristig Konsumenten und Umwelt zu schützen». Das Gründungsprotokoll ist da ehrlicher und nennt die NTSA eine «Interessenvertretung» der Hersteller von Silizium-Solarzellen.
Deren einziges Ziel sei es, bei der Abstimmung im EU-Parlament Ende Jahr das Verbot cadmiumhaltiger Zellen zu erreichen. Ein Verbot würde vor allem Solar First schaden: Die US-Firma macht mit billigen Cadmium-Solarzellen europäischen Anbietern der viel teureren Silizium-Variante zunehmend Konkurrenz.
Das EU-Parlament lehnte inzwischen ein Verbot von Cadmiumtellurid in Solarzellen ab. Für Lobby Control bleibt jedoch offen, ob von diesen Zellen eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt ausgeht. Laut der Autorin der Lobby-Control-Studie, Nina Katzemich, «fehlen unabhängige Studien».
Ihr Urteil über die NTSA fällt dennoch eindeutig aus: Dieses «Lehrstück» zeige, dass sich die EU zu wenig vor Manipulationen durch Lobbyisten schütze. Diese müssen sich zwar im EU-Lobbyregister anmelden, aber nur freiwillig. Auch die NTSA hat sich registriert, ohne ihre Verbindung zur BKP offenzulegen. Die EU sieht keine Strafen bei Verstössen vor.
«Handelszeitung» wälzt Verantwortung auf die «Welt»-Redaktion ab
Die Posse verdeutlicht, wie leicht sich Journalisten von PR-Firmen für deren Zwecke einspannen lassen. Der Artikel in der «Handelszeitung» zitiert die Cadmium-Kritik eines gewissen Jan-Friedrich Kallmorgen, «des Vorsitzenden der NTSA in Berlin».
Die Autoren verschweigen jedoch, dass es sich bei Kallmorgen um den Partner der gleichnamigen PR-Firma handelt, den womöglich andere Interessen antreiben als das Engagement für Umweltschutz. Die «Handelszeitung» weist auf Anfrage die Verantwortung von sich: Man habe den Artikel von der «Welt» übernommen, beide Blätter gehören zum Axel-Springer-Konzern.
Die «Welt»-Redaktion erklärt auf Anfrage: «Uns war die Tatsache bekannt, dass der NTSA-Vorsitzende Kallmorgen zugleich Partner einer Public-Affairs-Agentur ist.» Ein Redaktor habe sich mit Kallmorgen getroffen; dabei kam zur Sprache, «dass die NTSA von der Agentur Kallmorgen & Partner selbst gegründet wurde».
Die Schweizer Leser des «Handelszeitungs»-Artikels erfahren davon nichts, vielmehr heben die Autoren hervor, dass der NTSA «hochkarätige internationale Wissenschafter angehören», etwa ein mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichneter Solarpionier.
Die «Welt» weist Kritik an dem Artikel zurück: Man habe die Quellen genug geprüft und auch Cadmium-Befürworter zitiert. LobbyControl-Gutachterin Nina Katzemich spricht jedoch von einer offensichtlichen «Täuschung der Leser».