Jeder dritte Versicherte zahlt zu viel Verwaltungskosten
Krankenversicherte zahlen jährlich für Verwaltung und Werbung inklusive nervende Telefonanrufe insgesamt 1,2 Milliarden Franken. Das allein in der obligatorischen Grundversicherung.
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saldo 19/2013
20.11.2013
Yves Demuth
Krankenkassen versuchen jedes Jahr im Herbst, neue Kunden zu gewinnen. Denn bis Ende November kann man die Grundversicherung wechseln. Ein grosser Teil dieser Kundenakquisition erfolgt via Telefon.
Auch bekannte Politikerinnen werden davon nicht verschont. Christine Egerszegi, Aargauer FDP-Ständerätin und Präsidentin der gesundheitspolitischen Kommission: «Vor ein paar Wochen rief mich ein Versicherungsmakler an, um mich mit einem sehr verlockend...
Krankenkassen versuchen jedes Jahr im Herbst, neue Kunden zu gewinnen. Denn bis Ende November kann man die Grundversicherung wechseln. Ein grosser Teil dieser Kundenakquisition erfolgt via Telefon.
Auch bekannte Politikerinnen werden davon nicht verschont. Christine Egerszegi, Aargauer FDP-Ständerätin und Präsidentin der gesundheitspolitischen Kommission: «Vor ein paar Wochen rief mich ein Versicherungsmakler an, um mich mit einem sehr verlockenden Angebot zu einem Krankenkassenwechsel zu motivieren. Doch als ich ihm vorschwindelte, ich hätte soeben eine schwere Krankheit überstanden, winkte er ab und empfahl mir, bei meiner jetzigen Krankenkasse zu bleiben.»
Für die Jagd nach Kunden zahlen alle Versicherten
Diese Anekdote findet sich im Vorwort einer Publikation, die Ende November von der Schweizer Gesellschaft für Gesundheitspolitik herausgegeben wird.
Autorin ist die Gesundheitsökonomin Anna Sax. Sie hat berechnet, dass die Krankenkassen im letzten Jahr für die Kundenwerbung per Telefon sowie für sonstige Werbung und Provisionen 224 Millionen Franken ausgaben. Dabei hat die Autorin nur die Ausgaben für die obligatorische Grundversicherung berücksichtigt.
Der Krankenkassenverband Santésuisse bezeichnet diese Zahl als zu hoch. Doch selbst der zuständige SP-Bundesrat Alain Berset hat im Frühling im Ständerat von 130 bis 200 Millionen Franken «für nichts als Werbung» gesprochen.
In der Grundversicherung dienen Telefonanrufe und Werbung vor allem dazu, sogenannte gute Risiken zu gewinnen. Also Kunden, die jung und gesund sind und kaum je zum Arzt gehen. Von ihnen kassieren die Versicherungen Prämiengelder, müssen aber kaum je etwas vergüten. Das ist ein gutes Geschäft.
Diese Jagd nach guten Risiken zahlen alle Versicherten. Die Ausgaben von 224 Millionen Franken für Werbung sind nur ein Teil der Verwaltungskosten. Diese lagen in der Grundversicherung im letzten Jahr bei 1,2 Milliarden Franken, wie das Bundesamt für Gesundheit angibt.
Verwaltungskosten in zehn Jahren um 24 Prozent angestiegen
Im Durchschnitt zahlte jeder Grundversicherte pro Jahr 156 Franken Verwaltungskosten. Die Tendenz ist stark steigend: Die Verwaltungskosten stiegen in den letzten zehn Jahren um 24 Prozent. Zum Vergleich: Die Reallöhne erhöhten sich im gleichen Zeitraum nur um 6 Prozent. Die Teuerung stieg um 7 Prozent.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Krankenkassen sind riesig. Die 139 627 Grundversicherten von Vivao Sympany mussten letztes Jahr 349 Franken pro Kopf für die Verwaltung zahlen. Bei einer vierköpfigen Familie macht das 1369 Franken aus. Die Verwaltungskosten der Klug Krankenversicherung in Zug lagen hingegen bei gerade einmal 64 Franken pro Person.
Wenn alle Krankenkassen ihren Verwaltungsaufwand auf das Niveau von Klug senken würden, könnten laut Sax pro Jahr 739 Millionen Franken gespart werden. Mit diesem Betrag könnten die Prämien sämtlicher Grundversicherten um 3 Prozent gesenkt werden.
Überdurchschnittlich hohe Verwaltungskosten bezahlten im letzten Jahr insgesamt 3,1 Millionen Versicherte von zehn grossen Krankenkassen (siehe Tabelle).
Verwaltungskosten unter dem Durchschnitt verlangen etwa Assura, Swica, Concordia und Visana. Diese Kassen belasten den Kunden für die Verwaltung zwischen 118 und 153 Franken pro Jahr.
Die Gesundheitsökonomin Sax kritisiert die grossen Unterschiede. In der Grundversicherung sind die Kassen von Gesetzes wegen verpflichtet, die Verwaltungskosten «auf das für eine wirtschaftliche Geschäftsführung erforderliche Mass zu beschränken». Sax kommt zum Schluss, «dass zumindest ein Teil der Krankenversicherer ihrer gesetzlichen Pflicht einer wirtschaftlichen Geschäftsführung nicht nachgekommen ist».
Laut Gesetz kann der Bundesrat in der Grundversicherung «Bestimmungen über eine Begrenzung der Verwaltungskosten erlassen». Der Gesetzesartikel blieb bisher jedoch toter Buchstabe.
Laut Bundesamt werden Kassen mit auffällig hohen Kosten überprüft
Das Bundesamt für Gesundheit prüft zurzeit keine entsprechenden Massnahmen, wie es auf Anfrage sagt. Immerhin: «Auffällig hohe Verwaltungskosten einzelner Kassen lassen wir intern oder durch externe Prüfer kontrollieren», sagt Helga Portmann, Leiterin Versicherungsaufsicht im Bundesamt für Gesundheit.
Sympany erklärt, ihre hohen Verwaltungskosten hätten mit dem überdurchschnittlichen Anteil von Versicherten mit einer Franchise von 300 Franken zu tun. Diese würden einen höheren administrativen Aufwand verursachen.
Der Krankenkassenverband Santésuisse relativiert ebenfalls. Die Ausgaben für Werbung und Kundenakquisition würden sinken, weil eine freiwillige Branchenvereinbarung zu tieferen Provisionszahlungen in der Grundversicherung geführt habe. Zahlen, die dies belegen, hat der Verband nicht.
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