Die Fakten sind klar: Die Prämienzahler in den Kantonen AI, FR, GE, TG, NE, TI, VD, ZG und ZH haben in den letzten 15 Jahren rund 1,7 Milliarden Franken zu viel an Krankenkassenprämien bezahlt. Die Versicherungen stellten absichtlich zu hohe Rechnungen (saldo 16/12).
Der Bundesrat wollte das ausgleichen. Sein Vorschlag: Künftig sollten die Versicherten in Kantonen mit bisher zu tiefen Prämien 50 Franken mehr zahlen, dafür sollten die Prämien in den anderen Kantonen um 50 Franken sinken.
Doch die Chancen auf eine Rückzahlung stehen schlecht. Denn die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats beantragt die Ablehnung. Nur gerade 3 von 13 Ständeräten in der zuständigen Kommission stimmten für die Rückzahlung der Gelder: Felix Gutzwiller (FDP), Verena Diener (GLP) und Roland Eberle (SVP). Alle zehn anderen Kommissionsmitglieder stimmten dagegen (siehe Kasten rechts oben). Sie argumentieren, die Rückzahlung würde neue «Ungerechtigkeiten» schaffen. Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht meint damit etwa die Zuzüger und Wegzüger im Kanton. «Viele Leute würden so doppelt bestraft oder doppelt belohnt.»
Der Berner SP-Ständerat Hans Stöckli stösst ins selbe Horn: «Viele Menschen sind gestorben oder haben den Kanton gewechselt, eine Rückzahlung darf deshalb höchstens die letzten drei bis fünf Jahre umfassen.»
Allein rund 900 000 Zürcher haben zu viel Prämien gezahlt
Das Argument mit den Zu- und Wegzügern sticht jedoch nicht, wie die Statistiken der betroffenen Kantone zeigen.
Beispiel Kanton Zürich: Er verzeichnet die meisten Zu- und Wegzüge im Jahr. Aber rund die Hälfte aller Einwohner leben gemäss statistischem Amt des Kantons Zürich seit 15 Jahren oder länger in der gleichen Gemeinde. Dazu kommen 380 000 Einwohner, die zwar weniger als 15 Jahre in der gleichen Zürcher Gemeinde leben, jedoch in dieser Zeit aus einer anderen Zürcher Gemeinde zugezogen sind. Von den restlichen Zuzügern kommt jeder Zehnte aus einem Kanton, in dem die Prämien ebenfalls zu hoch waren. Total kommt man so auf 80 Prozent der Zürcher Bevölkerung, die über längere Zeit zu viel Prämien bezahlt haben – das sind rund 900 000 Personen.
Die Ständeratskommission hat die Rückzahlung nicht zum ersten Mal verworfen: Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren hatte einst vorgeschlagen, dass die Krankenkassen den Versicherten das zu viel kassierte Geld aus den Reserven zurückzahlen. Denn dort wäre das Geld vorhanden, und die Krankenkassen sind die Verantwortlichen für die zu hohen Rechnungen. Doch die Kassen wehrten sich erfolgreich. Ihre scheinheilige Argumentation damals: «Wir haben keine kantonalen Reserven. Sie gehören allen Versicherten einer Kasse», so der Krankenkassenverband Santésuisse.
EU-Kommissarin bezeichnete Roaming-Tarife als Abzockerei
Auf Verzögerung setzen die Politiker auch bei den überhöhten Roaming-Tarifen – auch hier auf Kosten der Bürger. Wenn Schweizer im Ausland ihr Handy brauchen, zahlen sie bis zu 15 Mal so viel wie EU-Bürger.
Für diese hohen Gebühren gibt es keinen Grund. Die zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding spricht in diesem Zusammenhang wörtlich von «Abzockerei». Und davon, dass auch in der EU die Telekomkonzerne viel zu hohe Tarife verlangen würden, wenn die EU keine Höchstgrenze festgelegt hätte.
In der Schweiz profitieren die Telekomfirmen Swisscom, Sunrise und Orange mit jährlich rund 400 Millionen Franken Zusatzgewinn aufgrund der überrissenen Roaming-Tarife.
Gegen diese Abzockerei wollte der Nationalrat vorgehen. In seltener Einmütigkeit überwies er 2011 mit 181 zu 5 Stimmen einen Vorstoss der SP-Nationalrätin Ursula Wyss. Sie verlangte, dass der Bundesrat beim Roaming die tieferen EU-Preisobergrenzen auch für die Schweiz als anwendbar erklärt.
Im Ständerat zögerte die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen das Geschäft hinaus. Sie lud Vertreter der drei Mobilfunkbetreiber ein, ihre Argumente vorzutragen. Resultat: Am 28. Januar lehnte die Kommission das Anliegen mit 9 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung ab (siehe Kasten rechts unten).
saldo hat die Neinsager nach den Gründen gefragt. Sie sagen alle dasselbe: Klar seien die Roaming-Tarife zu hoch. Aber staatlich verordnete Höchstpreise seien das falsche Mittel dagegen. Die Diskussion in der EU hat jedoch gezeigt, dass dies nicht stimmt.
Erst Ende 2014 sollen neue Vorschläge aufs Tapet kommen
Die Verzögerungstaktik der Ständeratskommission geht weiter: Sie schlägt nun vor, der Bundesrat solle bis Ende 2014 aufzeigen, wie die Roaming-Gebühren gesenkt werden können.
Dies freut die Telekomkonzerne: Jede Woche ohne Tarifhöchstgrenze spült weiter Millionen von Franken in ihre Kasse. Und die Bundeskasse kassiert faktisch Steuern: Als Hauptaktionär mit rund 60 Prozent der Swisscom-Aktien streicht der Bund jedes Jahr einige Hundert Millionen Franken an Dividenden ein.
Konkret: Laut Jahresbericht 2011 hat die Swisscom seit dem Börsengang 1998 insgesamt 23,9 Milliarden Franken an ihre Aktionäre ausgezahlt. Rund 18 Milliarden Franken gingen gemäss Swisscom-Mediensprecherin Annina Merk an die Bundeskasse.
Für die Rückzahlung zu viel kassierter Prämien stimmten:
Gegen die Rückzahlung stimmten:
Ivo Bischofberger (CVP, AI)
Pascale Bruderer (SP, AG)
Christine Egerszegi-Obrist (FDP, AG)
Konrad Graber (CVP, LU)
Karin Keller-Sutter (FDP, SG)
Alex Kuprecht (SVP, SZ)
Liliane Maury Pasquier (SP, GE)
Paul Rechsteiner (SP, SG)
Urs Schwaller (CVP, FR)
Hans Stöckli (SP, BE)
Abstimmung vom 21.1.2013 in der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit
Für Höchstgrenzen bei Roaming-Tarifen stimmten:
Gegen Höchstgrenzen stimmten:
Peter Bieri (CVP, ZG)
Konrad Graber (CVP, LU)
Hans Hess (FDP, OW)
René Imoberdorf (CVP, VS)
This Jenny (SVP, GL)
Filippo Lombardi (CVP, TI)
Markus Stadler (GLP, UR)
Georges Theiler (FDP, LU)
Abstimmung vom 28.1.2013 in der ständerätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen