Handy am Steuer: So gefährlich wie 0,8 Promille Alkohol
Die Autofahrer telefonieren laut einer neuen Studie im Durchschnitt einmal pro Stunde. Sie erhöhen damit die Unfallgefahr massiv. Experten fordern jetzt ein Telefonierverbot am Steuer.
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saldo 02/2012
28.01.2012
Letzte Aktualisierung:
31.01.2012
Eric Breitinger
Das Handy ist laut einer noch unveröffentlichten Studie des Bundesamtes für Strassen (Astra) der mit Abstand wichtigste Ablenkungsfaktor beim Autofahren. Für die Studie, deren Ergebnisse saldo vorliegen, haben Forscher der Universität Zürich in 149 Privatautos je drei Minikameras installiert. Diese zeichneten eine Woche lang das Verhalten der Wagenlenker beim Fahren auf.
Die Hauptrisiken: telefonieren, tippen, essen und trinken
Das Handy ist laut einer noch unveröffentlichten Studie des Bundesamtes für Strassen (Astra) der mit Abstand wichtigste Ablenkungsfaktor beim Autofahren. Für die Studie, deren Ergebnisse saldo vorliegen, haben Forscher der Universität Zürich in 149 Privatautos je drei Minikameras installiert. Diese zeichneten eine Woche lang das Verhalten der Wagenlenker beim Fahren auf.
Die Hauptrisiken: telefonieren, tippen, essen und trinken
Die Forscher erhoben die Häufigkeit und Zeitdauer von 53 Ablenkungsfaktoren. Ergebnis: Jeder Testfahrer telefonierte beim Fahren im Durchschnitt etwa einmal pro Stunde mit dem Handy in der Hand. Ein durchschnittlicher Anruf dauerte 60 Sekunden. Der zweitwichtigste Ablenkungsfaktor ist das Tippen auf dem Handy oder dem Smartphone. Jede Testperson drückte im Durchschnitt alle 75 Minuten auf der Tastatur ihres Geräts herum. Durchschnittliche Dauer: 24,5 Sekunden. Die Forscher unterschieden nicht, ob die Fahrer SMS, E-Mails, Telefonnummern oder Webadressen eingaben. Der drittwichtigste Ablenkungsfaktor beanspruchte die Fahrer weniger: Im Durchschnitt assen und tranken sie alle 65 Minuten etwas. Dafür brauchten sie 23 Sekunden. Studienleiter Jürg Artho, Sozialpsychologe an der Universität Zürich, sieht «bei der Nutzung der Handys am Steuer den grössten Handlungsbedarf».
Der Handygebrauch ist für viele Unfälle mitverantwortlich. Für wie viele genau, ist unklar. Aber fast jeder vierte tödliche Unfall auf Schweizer Strassen ist laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) eine Folge von «Ablenkung und Unaufmerksamkeit» eines oder mehrerer Unfallbeteiligter. Gemäss BFU starben aus diesem Grund von 1992 bis 2010 fast 2300 Menschen.
Die Polizei entzieht wegen «Unaufmerksamkeit und Ablenkung» zudem immer mehr Wagenlenkern den Fahrausweis. 9700 Fahrer verloren 2010 laut der Unfallstatistik so ihr Billett, 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Gebrauch mobiler Geräte war laut Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen sehr oft der Grund für den Entzug.
Die meisten Autofahrer wissen, dass die Handynutzung am Steuer verboten ist, ausser wenn sie ein Freisprechset verwenden. Laut einer neuen Studie der Allianz-Versicherung telefonieren in der Schweiz dennoch 41 Prozent der Lenker durchschnittlich einmal am Tag ohne Freisprechset beim Fahren. Fast jeder Dritte liest SMS, jeder Fünfte schreibt welche. Nur jedem Fünften ist bewusst, dass sein Verhalten eine gefährliche Ablenkung bedeutet.
Die meisten Fahrer glauben laut BFU-Experte Uwe Ewert, «dass Autofahren nicht immer die volle Aufmerksamkeit erfordert». Studien zeigen aber: Geraten sie plötzlich in heikle Situationen und sind abgelenkt, reagieren sie langsamer oder unangemessen.
Freichsprechsets senken Ablenkung nur unwesentlich
Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) will Telefonieren beim Fahren ganz verbieten – die erlaubte Freisprechbenutzung inklusive. VCS-Sprecher Gerhard Tubandt sagt: «Es ist inkonsequent, Telefonieren per Freisprechset zu erlauben, es aber ohne das Set zu untersagen: Beides lenkt den Fahrer ab.»
Telefonieren mit dem Handy in der Hand steigert das Unfallrisiko laut BFU um «fast das Fünffache», Telefonate mit dem Freisprechset um das Vierfache. Ewert betont, dass «das Unfallrisiko damit bei beiden Formen fast gleich hoch ist». Die Beeinträchtigung durch Telefonieren entspreche jener von 0,8 Promille Alkohol im Blut. SMS und Mails erhöhen laut einer US-Studie das Unfallrisiko um das 23-Fache.
Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB forderte vor kurzem die Einführung eines generellen Telefonierverbots am Steuer. Ein Experte wertete für die US-Behörde 300 Studien aus, fand aber in keiner einzigen einen Beleg, dass Freisprechsets das Risiko merklich verringern.
Zu ähnlichen Befunden kamen die schwedische Regierung und zwei grossangelegte Studien in Kanada und Australien.
Auch der Verkehrssicherheitsexperte des Touring-Club Schweiz, Jean-Marc Thévenaz, hält «das Telefonieren mit oder ohne Freisprechanlage für sehr gefährlich». Er lehnt ein generelles Verbot am Steuer jedoch ab: «Das ist nicht durchsetzbar: Die Fahrer werden sich nicht daran halten und die Polizei kann das nicht kontrollieren.» Dagegen spricht, dass sich das Gros der Fahrer an neue Gesetze, wie die 0,5 Promille-Alkohol-Grenze, hält.
BFU-Experte Uwe Ewert rät Fahrern, erst zurückzurufen, wenn ihr Auto sicher am Strassenrand oder auf dem Rastplatz steht. Oder das Handy beim Losfahren auszuschalten.