Der Bundesrat soll die Zahl der Plastikverpackungen «erheblich» reduzieren. Das fordert die ständerätliche Umweltkommission. Einstimmig nahm sie Anfang April einen Vorstoss für «weniger Plastikmüll» an.
Alle Grossverteiler versprechen, künftig weniger Kunststoffverpackungen zu verwenden. Aldi verzichtet in deutschen Supermärkten neu darauf, Gurken in Plastikfolie einzuschweissen. In der Schweiz verkauft heute die Migros viele Bio-Produkte wie Nektarinen oder Avocados ohne Plastikverpackungen. Coop hat laut eigenen Angaben seit 2012 19 000 Tonnen Verpackungsmaterial eingespart oder «ökologisch optimiert». Yves Zenger von Greenpeace will alle Einwegverpackungen aus Plastik abschaffen: «Nur Mehrwegsysteme sind ökologisch sinnvoll.»
Abfallexperte Rainer Bunge ärgern «undifferenzierte» Vorstösse. Der Professor für Umwelttechnik der Hochschule Rapperswil warnt davor, «Plastikverpackungen generell zu verteufeln». Für saldo hat die Hochschule die Umweltfolgen von Plastikverpackungen an drei Beispielen berechnet. Daraus ergibt sich ihre Ökobilanz.
Ergebnis: Eine dünne Folie aus Polyethylen verbessert die Ökobilanz einer Salatgurke gegenüber dem unverpackten Lebensmittel um 5 Prozent, die von Bündnerfleisch um 8 Prozent und die von Schnittkäse um über 5 Prozent. Grund: Die Verpackung macht den Inhalt haltbarer. So hält sich Bündnerfleisch gemäss Bunge vakuumverpackt 16 statt 7 Tage.
Die Folgen der längeren Haltbarkeit: Händler werfen laut zwei Studien nur 4,6 Prozent verpackte Gurken weg statt 9,4 Prozent unverpackte. Bei Bündnerfleisch sinke der Abfall von 12 auf 3 Prozent, bei Schnittkäse von 5 auf 0,1 Prozent. Diese Abfallquoten basieren auf zwei Studien aus Österreich von 2015 und 2017. Forscher prüften bei rund 1200 Lieferungen, wie viele Lebensmittel Supermärkte aus dem Verkehr zogen. Laut Bunge verringern Folien den Lebensmittelabfall auch in Privathaushalten. Dazu fehlen allerdings noch genaue Daten.
Für die Ökobilanz ist gemäss dem Forscher entscheidend, dass die Herstellung und Beseitigung von Plastikverpackungen viel weniger Umweltschäden verursacht als die Lebensmittelproduktion, die durch den geringeren Lebensmittelabfall verhindert wird. Zum Beispiel schädigt die Herstellung einer 480 Gramm schweren Salatgurke die Umwelt unter dem Strich so stark wie eine Autofahrt über 4,8 Kilometer. Die Herstellung einer ein Gramm schweren Plastikfolie für die Gurke entspricht nur einer Autofahrt von drei Metern. Die Beseitigung der Folie hat sogar einen kleinen positiven Umwelteffekt. Denn die Plastikverpackungen landen im gut funktionierenden Schweizer Entsorgungssystem fast immer in der Kehrichtverbrennungsanlage – und nicht in Gewässern, Böden oder im Meer. Beim Verbrennen liefert das Plastik Fernwärme und Strom und reduziert so den Bedarf aus anderen Quellen.
Yves Zenger von Greenpeace kritisiert Einwegverpackungen aus Plastik dennoch als «Scheinlösung». Grossverteiler könnten ihren Lebensmittelabfall nachhaltiger reduzieren, indem sie unverpacktes regionales Obst und Gemüse anbieten würden. Es verderbe weniger leicht als weitgereiste Importware.
Der Schaffhauser Umweltingenieur und Experte für Ökobilanzen Niels Jungbluth von der Firma ESU-Services hält diese Kritik für überzogen: «Eine Versorgung mit ausschliesslich regionalen Produkten ist unrealistisch.» Die Hälfte der in der Schweiz konsumierten Lebensmittel stamme aus dem Ausland. Für ihn ist wichtig, dass «vernünftige Verpackungen etwa Fleisch vor dem Verderben schützen». Andererseits ärgern ihn unnötige Marketingverpackungen – etwa mehrfach verpackte Schokolade oder eingeschweisste geschälte Orangen. Den Streit um die Verpackung hält er für ein Scheingefecht. Der Umwelt bringe es mehr, aufs Fliegen zu verzichten, weniger Fleisch zu essen oder weniger Auto zu fahren.