Drei Viertel von der Ausrottung bedroht
Die Fischerei plündert die Weltmeere. Wissenschafter und Umweltorganisationen schlagen Alarm. Eine Alternative sind Fischzuchten.
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saldo 1/2003
22.01.2003
Daniel Mennig
Steinbutte und Goldbrassen sind Delikatessen. Wer einen solchen Fisch im Restaurant bestellt, geht davon aus, dass das Tier ein freies Leben im Meer genossen hat. Ein Irrtum. Tatsächlich stammen heute neun von zehn Goldbrassen aus Fischzuchtbetrieben, bei den Steinbutten sind es drei von fünf. Die meisten Wirte jedoch verschweigen ihren Gästen, dass sie ihnen Zuchtfische servieren. Dazu Brigitte Meier-Schmid, Pressesprecherin von Gastro Suisse: «Es existiert kein Gesetz, das verlangt, dass W...
Steinbutte und Goldbrassen sind Delikatessen. Wer einen solchen Fisch im Restaurant bestellt, geht davon aus, dass das Tier ein freies Leben im Meer genossen hat. Ein Irrtum. Tatsächlich stammen heute neun von zehn Goldbrassen aus Fischzuchtbetrieben, bei den Steinbutten sind es drei von fünf. Die meisten Wirte jedoch verschweigen ihren Gästen, dass sie ihnen Zuchtfische servieren. Dazu Brigitte Meier-Schmid, Pressesprecherin von Gastro Suisse: «Es existiert kein Gesetz, das verlangt, dass Wirte deklarieren müssen, ob ihr Fisch aus einer Zucht oder aus dem Wildfang stammt.»
Ganz anders die Grossverteiler Migros und Coop: Im gesamten Angebot ist klar ersichtlich, welche Fische aus Zucht und welche aus Wildfang stammen. Bei der Migros, grösste Schweizer Fischverkäuferin im Detailhandel, ist bereits jeder zweite Fisch ein Zuchtfisch. Das hat verschiedene Gründe: Wild gefangen kosten beliebte Speisefische ein Vermögen. Zum Beispiel der Steinbutt: Aus dem Wildfang kostet er 60 Franken pro Kilogramm, aus der Zucht 30 Franken.
Unterschiede zwischen Zucht- und Wildfisch gibt es auch im Geschmack. Markus Fehr, Fischverantwortlicher beim Migros-Genossenschaftsbund: «Zuchtfische haben nicht diesen intensiven und typischen Fischgeschmack. Viele Konsumentinnen und Konsumenten essen zwar sehr wohl gerne Fisch, mögen aber gerade den starken Fischgeschmack nicht.»
Beängstigende Überfischung der Weltmeere
Noch ein ganz anderes Argument spricht für Zuchtfisch. Die Plünderung der Meere hat ein beängstigendes Ausmass angenommen, und die Hochseefischerei steckt in einer tiefen Krise. 75 Prozent der wichtigsten Fischbestände sind überfischt (siehe Kasten unten). Das stellt die Welternährungsorganisation FAO fest.
Vor einem Monat haben Wissenschafter erneut Alarm geschlagen: In der Nordsee plünderten Hochseeflotten die Kabeljau-Bestände gnadenlos. In den 70er-Jahren gab es in diesen Gewässern noch 200 000 Tonnen geschlechtsreifen Kabeljau. Inzwischen ist der Bestand auf 30 000 Tonnen zusammengebrochen. Den jungen Kabeljau, den Dorsch, verwendet die Industrie für Fischstäbchen. Weil er so rar geworden ist, weichen die Fischstäbchenproduzenten auf Seelachs aus. Folge: Auch die Seelachs-Bestände schrumpfen.
Garantierter Fischertrag und hohe Profite
Nur ein sofortiger Fangstopp könnte verhindern, dass der Kabeljau ausstirbt. Trotz Warnrufen konnten sich die EU-Fischereinationen nicht einmal auf einen zeitlich befristeten Fangstopp einigen. Die Folgen sind absehbar: Der Kabeljau wird in der Nordsee bald ausgerottet sein, wie bereits vor über zehn Jahren an der kanadischen Küste Neufundlands. Dort hat sich der Kabeljau-Bestand bis heute nicht erholt.
Enrique de Llano, Direktor der modernsten Steinbutt-Zucht Pescanova im galizischen Vigo, ist überzeugt, dass die Zukunft den Fischzuchten gehört: «Bereits heute machen die Zuchtfische 40 Prozent unseres gesamten Umsatzes aus. Bald wird der Ertrag aus den Zuchten höher sein als der aus dem Wildfang.» Dieser Trend gilt für ganz Spanien, eine der weltweit grössten Fischereinationen. In den letzten fünf Jahren ist hier die Fischzucht jährlich um 30 Prozent gewachsen.
Diese moderne Art der Fischerei kommt ganz ohne Netz und Boot aus. Sie wirft einen garantierten Fischertrag und satte Profite ab. Umgerechnet rund 6 Franken Reingewinn springen für den Fischzüchter bei jedem verkauften Steinbutt heraus.
Antibiotika in der Zucht: Immer wieder Anlass zur Kritik
Während die Wildfangfischer die letzten Bestände von gefährdeten Fischarten wie etwa Rotbarsch, Kabeljau oder Seelachs plündern, richten sich Betriebe wie jene von Enrique de Llano neu aus. Sie setzen auf die Zucht von teuren Speisefischen wie Wolfsbarsch, Goldbrasse, Steinbutt und Seezunge.
Optimistisch bleibt de Llano auch, nachdem vor zwei Monaten der lecke Öltanker Prestige die spanische Nordküste verpestete: «Wir saugen unser Wasser aus der Tiefe des Meeres ab, wo es unverschmutzt ist.» Doch der Preis von Fisch aus dieser Region ist massiv eingebrochen.
Belastend für den Zuchtfisch ist sein schlechtes Image. Insbesondere Antibiotika-Rückstände in Zuchtfischen geben immer wieder Anlass zur Kritik. Intensiv-Lachszuchten in Norwegen und Schottland sorgten lange Zeit wegen ihrer hohen Einsätze von Antibiotika für negative Schlagzeilen.
In der Schweiz gibt es rund 50 Fischzuchten, vorwiegend Forellenzuchten. Und auch hier fanden die Kantonschemiker vor einem Jahr in einer breit angelegten Untersuchung in jeder sechsten Zuchtforelle zu hohe Mengen an Antibiotika.
Zuchtbetriebe: Klare Richtlinien dringend nötig
Moderne Fischzüchter sind bestrebt, den Medikamenteneinsatz so tief wie möglich zu halten. Sie halten weniger Fische im Becken, geben ihnen mehr Platz und senken damit den Stress der Tiere. Als Folge davon sind diese weniger krankheitsanfällig. Konsumenten, die auf Nummer sicher gehen wollen, können sich am Bio-Knospen-Label orientieren. Dieses Label gilt für Zuchtfische und garantiert, dass der Fisch weder Antibiotika-Rückstände noch Wachstumsförderer enthält (siehe Kasten).
Trotz verbesserter Zuchtbedingungen rät Claude Martin, Generaldirektor von WWF International, ein wachsames Auge auf die Fischzuchten zu richten: «Die Fischzucht wächst enorm schnell, es entstehen sogar Anlagen in Naturschutzgebieten, welche die Küste mit Kot und Chemikalien verschmutzen.» Es brauche dringend verbindliche Richtlinien, was erlaubt sei und was nicht. Grundsätzlich jedoch sieht Martin in der Fischzucht durchaus eine sinnvolle und ernst zu nehmende Alternative zur Überfischung der Weltmeere.
Greenpeace fordert, folgende Fischarten vom Speisezettel zu streichen. Die Fangmethoden bedrohen deren Bestand akut und haben katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt.
Die komplette Liste kann bei Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, Postfach, 8031 Zürich oder im Internet unter www.greenpeace.ch bestellt werden.
Bio-Knospe: Das Label bezieht sich auf Zuchtfische, die aus artgerechter Haltung stammen. Der Einsatz von Hormonen und Wachstumsförderern sowie gentechnische Methoden sind verboten.
MSC: Dieses Label tragen nur Fische aus dem Wildfang. Es wird an Unternehmen vergeben, die garantieren können, dass sie das Ökosystem erhalten und die Bestände nicht überfischen. Wo ein Bestand bereits bedroht ist, müssen die Unternehmer die Erholung des Bestandes ermöglichen.