Wer hätte das gedacht? «Multivitamine machen munter und fit: Das glauben offenbar auch WEF-Teilnehmer. Sie sind am drittmeisten gefragt.» Damit sind die Multivitamine in den Davoser Apotheken gemeint, nicht die WEF-Teilnehmer. So lautet das Ergebnis einer Umfrage der Nachrichtenplattform von Schweizer Radio und Fernsehen SRF unter den lokalen Apotheken. Die WEF-Teilnehmer schlucken laut dieser Umfrage auch Schmerzmittel gegen Kopfweh und kaufen bei Bedarf eine neue Zahnbürste.
Unsinnig oder nicht – das ist eine typische Recherche von Medienleuten am WEF in Davos. Sie müssen von einem Ort berichten, von dem es nichts zu berichten gibt. Leser und Zuschauer werden mit einer Flut von Banalitäten eingedeckt.
Nicht einmal die Globalisierungsgegner nehmen das WEF ernst
Die «Bilanz» etwa vermeldet ihren Lesern, dass die Gäste im Hotel Belvédère nur 1350 Erdbeeren mit Schokoladeüberzug verzehrten, dafür aber 8000 Pralinés. Das Blatt schreibt auch, dass 1000 Mitarbeiter von Medienunternehmen über das WEF berichten. Fragt sich nur, was die dort tun.
Zum Beispiel warten, etwa auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Kommt ein Treffen zustande? Die Frage durchzieht den viertätigen Informationsfluss sämtlicher Medien. Die zwei Politiker trafen sich nicht, was der «NZZ am Sonntag» einen Artikel wert ist unter dem Titel «High Noon im Kongresszentrum». High Noon für ein Nicht-Ereignis?
Offenbar. Denn auch die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens berichtete ausführlich darüber. Die Hotels der beiden Politiker seien nur 200 Meter voneinander entfernt – als ob Diplomatie eine Frage von geografischen Distanzen wäre. Immerhin dokumentiert der «Tagesschau»-Beitrag die versöhnlichen Worte Rohanis und als Reaktion darauf deren schroffe Zurückweisung durch Netanjahu.
Die «Tagesschau» leistete damit mehr als die Redaktion der «Rundschau». Das TV-Magazin kritisierte zwei Tage zuvor in einem langen Beitrag allen Ernstes, dass die Schweizer Armee am WEF keine Helikopter mit Scharfschützen einsetzt, um allfällige «Terrordrohnen» über Davos abzuwehren.
Das Nachrichtenmagazin «10 vor 10» verschaukelt die Zuschauer noch mehr als die «Rundschau»: Die Reporter berichten ausführlich darüber, dass die Manager und Politiker in Davos mit ihren Mobiltelefonen kommunizieren – unglaublich, aber wahr! Noch schlimmer: Ein Präventivmediziner sagte in der Sendung, dass die armen WEF-Teilnehmer Schaden nehmen, wenn sie zu lange an ihren Blackberrys hängen.
Selbst die wackeren Globalisierungsgegner liessen die Medienleute dieses Jahr im Stich – durch Nichterscheinen. Nur die «Schweiz am Sonntag» würdigt einen sogenannten «Zombie Walk» mit 30 Personen. Der Artikel dürfte den Lesern jedoch kaum Schrecken eingejagt haben: «Die gestrige Demo in Davos gegen das WEF war ein Flop.»
PR-Auftritte für die Prominenz statt kritischer Fragen
Zum Pflichtstoff der WEF-Berichterstattung gehören lange Interviews, mit möglichst prominenten Besuchern. Die Leserschaft hat wenig davon, weil man sich in Davos gegenseitig diplomatisch schont. Typisch ist ein Gespräch von «Cash Online» mit dem Chef von Crescent Petroleum. Es enthält keine einzige kritische Frage. Crescent Petroleum ist eine Ölfirma mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Manager darf ausführlich darlegen, warum Öl für die Welt unentbehrlich ist: «Derzeit sind Technologie und Infrastruktur noch nicht so weit, dass das Gas dem Öl den Rang ablaufen könnte.»
Auch der schwedische Saab-Aktionär Jacob Wallenberg kommt zu einem PR-Auftritt in der Schweizer Presse. Er erzählt den Lesern des «Sonntagsblick» auf zwei Seiten, warum die Schweiz die Gripen-Kampfflugzeuge braucht und wie sich im Reichtum gut leben lässt. Er hat eine einzige kritische Frage zu beantworten: «Den Luftraum über Davos macht der Gripen nicht sicherer», konstatiert der Journalist. Im Weiteren stellt er nur noch Gefälligkeitsfragen: «Ist es hart, viel Geld zu haben und es nicht ausgeben zu können?» Wallenberg beruhigt die Leserschaft. Um ihn muss sie sich keine Sorgen machen.
Ins gleiche Wohlfühlkapitel gehört ein Porträt des abtretenden Lufthansa-Chefs Christoph Franz in der «Sonntags-Zeitung». Man spürt förmlich, wie nahe sich Wirtschaftsführer und Journalist gekommen sind: «Davos ist seine Vorstellung zum Abschied von der Lufthansa – ein Abschied von der Luftfahrtindustrie, vom Leben als operativer Chef eines grossen Unternehmens und von Deutschland.» Hofberichterstattung pur.
Immerhin ist im gleichen Blatt ein spannendes Interview mit Martin Schulz zu lesen, dem Präsidenten des EU-Parlaments. Der deutsche Politiker machte klar, auf wie wenig Verständnis die Schweiz bei einer Beschränkung der Personenfreizügigkeit bei der EU stossen würde. Und Schulz zeigte auf, wie privilegiert die Schweiz dank der Zuwanderung ist. Er blieb trotz kritischer Gegenfragen in seiner Haltung hart.
Die Sucht nach grossen Namen erzeugt Sprechblasen
Dieses Interview ist wohl deshalb eine Ausnahme, weil Schulz in der Schweiz nicht zur Prominenz gehört. Die WEF-Berichterstattung ist durchzogen von der Sucht der Journalisten nach grossen Namen. Ein typisches Beispiel dafür lieferte die «Aargauer Zeitung». Das Blatt sammelte auf einer Seite einzelne Sätze von Prominenten und stellte sie als Sprechblasen zu den Fotos: «Bringt Frauen an den Tisch und feiert sie!», sagte Christine Lagarde vom Internationalen Währungsfonds. Und der Schauspieler Matt Damon erkannte: «Die armen Menschen sind die Lösung. Wir müssen an ihre Fähigkeit glauben, die Welt zu verbessern.»
Da hat er möglicherweise nicht unrecht. Wenn die Reichen die Welt nicht verbessern können, werden sich die Armen darum kümmern müssen.