Das unschöne Geschäft mit dem frühen Tod
15 Prozent aller männlichen Angestellten des Gastgewerbes sterben vor der Pensionierung. Das ist nicht nur für die AHV profitabel, sondern vor allem für die Pensionskassen. Sie können das gesparte Alterskapital behalten.
Inhalt
saldo 19/2013
20.11.2013
Yves Demuth
Von 100 Männern, die im Gastgewerbe arbeiten, werden 15 nicht älter als 64. Auf dem Bau sind es 13 von 100. Zum Vergleich: Bei vielen Männern mit einem Uniabschluss wie Ökonomen oder Physiker erreichen nur 6 von 100 das Pensionsalter nicht. Das zeigen Zahlen der Universität Genf und des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Auch bei den Frauen gibt es Unterschiede bei der Lebenserwartung je nach Beruf. Sie sind aber nicht so gross wie bei den Männern (s...
Von 100 Männern, die im Gastgewerbe arbeiten, werden 15 nicht älter als 64. Auf dem Bau sind es 13 von 100. Zum Vergleich: Bei vielen Männern mit einem Uniabschluss wie Ökonomen oder Physiker erreichen nur 6 von 100 das Pensionsalter nicht. Das zeigen Zahlen der Universität Genf und des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Auch bei den Frauen gibt es Unterschiede bei der Lebenserwartung je nach Beruf. Sie sind aber nicht so gross wie bei den Männern (siehe Tabelle).
Angestellte, die vor dem Pensionsalter sterben, sind für Pensionskassen ein gutes Geschäft. Grund: Der Lohnabzug für die Pensionskasse enthält einerseits die Prämie für eine Versicherung. Der grösste Teil des Geldes fliesst aufs Konto Alterskapital. Mit der Versicherung werden das Risiko einer Invalidität vor dem Alter 64/65 sowie die Leistungen bei einem Todesfall vor dem Pensionsalter abgedeckt. Das heisst: Stirbt ein Angestellter vor dem Pensionsalter, kommt die Versicherung zum Zug. Sterben kinderlose ledige Angestellte, muss die Versicherung keine Leistungen erbringen. Und die Pensionskasse kann das ganze angesparte Kapital behalten. Bei Verheirateten mit oder ohne Kinder zahlt die Versicherung je nach Alter des überlebenden Partners eine Rente, für die Kinder Waisenrenten. Das angesparte Alterskapital bleibt in der Pensionskasse. So die Regelung im Gesetz. Die Kassen können auf freiwilliger Basis bessere Leistungen vorsehen. Sie sind im Reglement der Kasse nachzulesen.
Früher Tod eines Erwerbstätigen bringt bis zu 250 000 Franken
Todesfälle vor Erreichen des Pensionsalters sind deshalb für die Pensionskassen ein Geschäft. Der Vorsorgeexperte Werner Hug weiss, dass Pensionskassen «im Normalfall finanziell profitieren». Je nach Höhe der einbezahlten Beträge verdient eine Kasse zwischen 50 000 und 250 000 Franken pro zu früh gestorbenem Erwerbstätigen.
Das bedeutet aber auch: Viele Angestellte zahlen zu hohe Pensionskassenprämien. Das ist mit ein Grund dafür, dass der Deckungsgrad vieler Pensionskassen heute über 100 liegt und laufend steigt. Theoretisch sollten diese Guthaben den übrigen Versicherten zugute kommen. Fakt ist: Das Geld bleibt in den Pensionskassen.
Gastrosocial rechnet mit Zahlen aus völlig anderen Branchen
Eine der Pensionskassen, die von einer hohen vorzeitigen Sterblichkeitsrate profitieren, ist die Pensionskasse Gastrosocial. Ihre Beiträge basieren auf Berechnungen, welche die Lebenserwartung ihrer Mitglieder systematisch überschätzt. Das zeigen die Prognosen, mit denen Gastrosocial laut den Angaben gegenüber saldo rechnet.
Die Basis der Prognose der Lebenserwartung der Gastroangestellten bilden 14 Pensionskassen, deren Mitglieder im Dienstleistungssektor arbeiten und laut Statistik deutlich älter werden als Köche und Kellner. Darunter sind etwa die Pensionskassen von Credit Suisse, UBS, Swiss Re, ABB, Ciba oder die Pensionskasse der Bundesangestellten Publica. Im Jahr 2011 rechnete Gastrosocial bei Frauen mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 86,9, bei Männern von 84,6 Jahren.
Gastrosocial sagt nicht, wie hoch die tatsächliche Lebenserwartung ihrer Mitglieder ist. Aufgrund der Lebenserwartungsstudie werde man nun «Überlegungen anstellen», sagt Gastrosocial-Direktor Urs-Peter Amrein. Was das konkret heisst, ist unklar.
Werner Hug, der auch als Verwaltungsrat der Pensionskassen-Rückversicherung PK-Rück amtet, gibt zu: «Bei Branchen mit hohen Sterblichkeitsraten haben wir effektiv ein Problem. Die Berechnungsgrundlagen, welche die autonomen Pensionskassen und Stiftungen verwenden, gehen bei diesen Angestellten tendenziell von einer zu langen Lebensdauer aus.»
Zu tiefe Rentenzahlungen in Risikoberufen
Die Folge: Pensionskassen von Branchen mit hohen Sterblichkeitsraten zahlen eher zu tiefe Renten aus. Denn würden diese Kassen mit der tatsächlichen Lebenserwartung ihrer Mitglieder rechnen, könnten sie vielen Versicherten pro Jahr mehr Geld überweisen.
Dies kritisiert auch Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund: «Wenn die Pensionskassenrente von Angestellten aus Tieflohnbranchen nicht so lange wie erwartet ausgerichtet werden muss, machen die Pensionskassen und Versicherungen ungerechte Profite.»
Forum
Sollen die Pensionskassenprämien nach Berufsrisiko abgestuft sein?
Schreiben Sie an: saldo, Postfach 723, 8024 Zürich, redaktion@saldo.ch. Oder diskutieren Sie im Internet unter www.saldo.ch.