Wer einen entzündeten Blinddarm hat, landet schnell unter dem Messer der Chirurgen. Tief sitzt die Furcht, der Blinddarm könnte platzen und den Bauchraum mit tödlichen Bakterien infizieren.
Doch nun rüttelt eine neue Studie in der US-amerikanischen Fachzeitschrift «Journal of American Medical Association» an diesem Dogma. Sie zeigt deutlich, dass es in vielen Fällen eine Alternative gibt: Antibiotika. Finnische Mediziner der Universität Turku untersuchten 530 Patienten, die mit akuten Blinddarmbeschwerden in verschiedene finnische Spitäler kamen. Eine Röntgenmethode, die Computertomografie, bestätigt die akute Entzündung. Chirurgen operierten die eine Hälfte der Patienten sofort, die andere Hälfte kam unter Beobachtung und erhielt rund zehn Tage lang ein Antibiotikum.
Das Überraschende: Bei 186 von 256 Patienten schlug die Therapie mit Antibiotika an. Die Blinddarmentzündung verschwand und machte in den folgenden zwölf Monaten keine erneuten Beschwerden. Lediglich bei 70 Patienten sprach die Therapie nicht an, man musste sie im Laufe des folgenden Jahres doch noch operieren. Bei den sofort Operierten gab es keine Komplikationen.
Bei Erwachsenen Verzicht auf Operation meistens möglich
Der Arzt Johann Steurer vom Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer in Zürich hat die Studie genau angeschaut und zieht aus ihr den Schluss, dass man «drei Viertel aller Patienten» mit einer akuten, aber komplikationsfreien Entzündung des Blinddarms mit Antibiotika behandeln könnte.
Diese Studie ist nicht die erste, aber keine hatte bis anhin so deutliche Ergebnisse geliefert. Schon vor sechzig Jahren hatte der englische Chirurg Eric Coldrey von Erfahrungen an mehreren hundert Patienten berichtet, deren Blinddarmentzündung er erfolgreich mit Antibiotika behandelt habe.
Die ersten Fachverbände der Chirurgen reagieren zumindest im Falle von erwachsenen Patienten. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie empfiehlt bei unkomplizierten Blinddarmentzündungen nun Bettruhe, Antibiotika und Zuwarten als akzeptable Alternative zum Operieren. Die Schweizer Gesellschaft für Viszeralchirurgie äusserte sich nicht dazu.
Fachleute gehen allerdings davon aus, dass es lange dauern wird, bis die neuesten Erkenntnisse in den Spitalalltag gedrungen sind. Steurer spricht gar von «weiteren sechzig Jahren». Zusätzliche Studien müssten die Befunde bestätigen. Wenn Ärzte auf Antibiotika setzen, lassen sie in der Regel eine Computertomografie (CT) erstellen. Sie gibt nicht nur radioaktive Strahlung ab, sondern belastet wegen des Kontrastmittels auch die Niere. Das ist nicht unproblematisch, so der Wiler Internist Etzel Gysling.
Bei Kindern bricht der Blinddarm schneller durch
Bei Kindern sind die Fachleute noch vorsichtiger. Zwar wies eine Studie im Fachblatt «Journal of Pediatric Surgery» kürzlich bei jugendlichen Blinddarmpatienten ähnliche Erfolge durch Antibiotika nach wie bei Erwachsenen. Doch Kritiker zweifeln an der Aussagekraft, weil die Forscher nur wenige Kinder untersucht hatten. Wegen der Strahlenbelastung wählten sie Ultraschall anstelle der CT für die Diagnose; Ultraschall ist viel weniger genau.
Experten weisen ausserdem darauf hin, dass langes Zuwarten bei Kindern zu gefährlich sei, da bei ihnen der Blinddarm schneller durchbricht. Kinderchirurg Philipp Szavay vom Kantonsspital Luzern kann daher Antibiotika bei Kindern mit Blinddarmentzündung «noch nicht empfehlen».
Blinddarmentzündung erkennen
- Meist beginnt der Schmerz plötzlich im Nabel- und Magenbereich und wandert binnen weniger Stunden in den rechten Unterbauch
- Der Schmerz wird rasch stärker und der Bauch reagiert auf Berührungen überaus empfindlich
- Sie haben keinen Appetit
- Ihnen ist übel, Sie müssen erbrechen
- Manchmal kommt Fieber bis 39 Grad hinzu
- Die Schmerzen verstärken sich beim Gehen
- Hüpfen auf dem rechten Bein verursacht starke Schmerzen
- Hält der Schmerz drei Stunden an: Gehen Sie zum Arzt oder in ein Spital.
Achtung: Die Symptome sind oft unspezifisch, sie können auch auf eine Magen-Darm-Grippe oder einen Virusinfekt hinweisen. Bei Frauen kann es sich um einen Infekt der Eierstöcke handeln.