Gesundheitsbehörden geben immer vor zu wissen, was für die Bürger gesund ist. So auch beim Alkohol. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt Männern, nicht mehr als drei Stangen Bier oder 3 Deziliter Wein pro Tag zu trinken. Das entspricht rund 35 Gramm reinem Alkohol. Bei Frauen empfiehlt es etwas weniger: etwa 2 Deziliter Wein.
Eigenartig: In Deutschland sollten Männer höchstens zwei Stangen Bier trinken, damit sie ihre Gesundheit nicht gefährden. Anders in Griechenland. Dort dürften Männer richtig bechern: vier Stangen Bier oder fast 5 Deziliter Wein.
Der Grund für die Unterschiede: Die Empfehlungen haben wenig mit Fakten, aber viel mit Politik zu tun.
Würden die Behörden vermehrt die Wissenschaft beiziehen, wäre die Sache einfacher: Alkohol kann vom ersten Schluck an schädigen. Bereits mit dem ersten Glas Wein kann er den Schlaf stören, wie verschiedene Studien aufzeigten. Man schläft zwar schneller ein, wacht aber in der zweiten Nachthälfte häufiger auf. Zudem ist der Schlaf weniger erholsam, weil die Schlafphasen gestört sind.
Gefahren sind nicht für alle gleich gross
Mit dem ersten Cüpli pro Tag begünstigt Alkohol gemäss etlichen Studien Krebs, vor allem in Mund und Rachen, am Kehlkopf und in der Speiseröhre. Auch das Risiko für Brustkrebs bei Frauen steigt.
Die Fachzeitschrift «Swiss Medical Weekly» fasste die Studienresultate vor wenigen Jahren zusammen (siehe Grafik im PDF). Das Risiko für Leberkrankheiten ist bei Frauen bei einem konstanten Konsum von einem halben Liter Bier oder 2 Dezilitern Wein pro Tag mehr als viermal so hoch gegenüber Abstinenten. Bei dieser Menge handelt es sich gemäss Behörden noch um einen «moderaten» Konsum.
Allerdings sind die Risiken nicht für alle Bier- und Weinliebhaber gleich. So haben Raucher ein erhöhtes Krebsrisiko gegenüber solchen, die nicht rauchen, wie die Weltgesundheitsorganisation sagt. Der Grund: Der Alkohol macht die Schleimhaut in Mund und Rachen anfälliger auf die Tabakgifte. Zudem, so Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser, sei das Immunsystem eines Rauchers mit vielen Giftstoffen beschäftigt: «So bringt es keine Energie mehr auf, den Alkohol auch noch zu bekämpfen.»
Kaffee senkt das Risiko einer Leberzirrhose
Umgekehrt kann man sich vor Alkoholschäden schützen. Forscher fanden heraus, dass eine Tasse Kaffee am Tag die Gefahr einer Leberzirrhose um 20 Prozent senkt. Bei dieser Krankheit vernarbt Lebergewebe und stirbt ab. Auch Sport und eine gesunde Ernährung mit viel Folsäure scheinen die Risiken zu senken. Alkoholfreie Tage verhindern, dass man sich ans Trinken gewöhnt und entlasten zudem die Leber (siehe «Tipps» unten).
Kommt hinzu: Die Leber ist robust und kann sich gut erholen. Das gilt offenbar auch bei schweren Trinkern. Oliver Grehl, Leitender Arzt bei der Stiftung Berner Gesundheit: «Ich bin immer wieder überrascht, dass Personen, die bereits zum 40. Entzug kommen, noch normale Leberwerte haben.» Deshalb ist es schwierig, im Einzelfall eine Prognose zu machen.
Ein erstaunliches Beispiel ist der Aargauer F. B. Mit 18 Jahren begann er zu trinken. Zuerst am Wochenende, bald täglich. In den schlimmsten Phasen konsumierte er pro Tag je eine Flasche Wodka und Whisky – dazu noch Wein und Bier. Seit 10 Jahren trinkt er nichts mehr. Der heute 60-Jährige fühlt sich gesund. Auch geistig. Er weiss aber auch: «Das ist nicht selbstverständlich, wie ich bei anderen gesehen habe.»
Die 47-jährige S. A. aus Zürich trank während 15 Jahren jeden Tag mindestens eine Flasche Wein. In dieser Zeit litt sie an Schwindel, Magenproblemen und Depressionen. Vor sechs Jahren ging sie zu den Anonymen Alkoholikern. Seither trinkt sie keinen Schluck mehr. Auch sie hat sich wieder erholt: «Heute geht es mir viel besser.»
Wenig Wein oder Bier ist gut fürs Herz
Für Oliver Grehl ist es deshalb nie zu spät, einen hohen Alkoholkonsum zu überdenken: «Der Zustand bessert sich unweigerlich, wenn man weniger trinkt oder aufhört.» Selbst mit einer leichten Leberzirrhose könne man unter Umständen eine gute Lebensqualität haben. Doch man müsse das Trinken einstellen. Thomas Walser sagt: «Analysen zeigen, dass das Risiko für gewisse Krebsarten nach 20 Jahren Abstinenz wieder gleich tief ist wie bei Nichttrinkern.»
Mit einer Alkoholpause im Januar, wie das viele tun, könne man gar nichts falsch machen, ergänzt Grehl. So realisiere man die Vorteile eines Verzichts: «Zum Beispiel den besseren Schlaf und eine erhöhte Leistungsfähigkeit.»
Zum Schluss die gute Nachricht. In den letzten Jahren bestätigten viele Studien: In moderaten Mengen senkt Alkohol das Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfälle und Diabetes. Dies gilt vor allem für Frauen. Ein halber Liter Bier oder 2 Deziliter Wein täglich halbieren ihre Risiken nahezu, so «Swiss Medical Weekly».
Viele Forscher untersuchten deshalb, ob ein moderater Alkoholkonsum insgesamt doch mehr Vorteile haben könnte als Nachteile. Die Resultate sind bis heute unterschiedlich. Britische Wissenschafter fanden heraus: Die Häufigkeit chronischer Krankheiten und von damit verbundenen Todesfällen wäre am geringsten, wenn Erwachsene 5 Gramm Alkohol pro Tag konsumieren würden. Das entspricht einer halben Stange Bier. US-Forscher durchforsteten vor knapp zwei Jahren 87 Studien mit insgesamt 3 Millionen Teilnehmern. Ihr Fazit: Auch ein moderater Alkoholkonsum könne das Leben nicht verlängern.
Tipps: Der richtige Umgang mit Alkohol
Männer sollten nicht regelmässig mehr als zwei Stangen oder zwei Glas Wein pro Tag trinken, Frauen nicht mehr als
ein Glas.
Bevorzugen Sie Bioweine: Sie enthalten weniger Pestizide.
Machen Sie Alkoholpausen: Mindestens zwei Tage in der Woche und zwei Wochen im Januar.
Verzichten Sie längere Zeit auf Alkohol, wenn Ihr Schlaf gestört ist oder Sie Beschwerden wie Schwindel oder Bauchschmerzen verspüren.
Trinken Sie regelmässig Kaffee. Bereits eine Tasse pro Tag senkt das Risiko für Leberkrankheiten.
Essen Sie häufig Hülsenfrüchte und Blattgemüse: Sie enthalten viel Folsäure, die die Wirkung des Alkohols bremst.
Treiben Sie regelmässig Sport. Ein fitter Körper kann den Alkohol besser bekämpfen.
Strassenumfrage: Wie viel Alkohol trinken Sie?
Christian Widmer, 67, Dübendorf ZH
«Bei einem Fest kann ich schon mal ein bisschen über den Durst trinken. Das kommt etwa zwei bis drei Mal im Jahr vor. Sonst trinke ich ab und zu ein Glas Wein zum Essen.»
Moritz Unterwurzacher, 18, Zürich
«Je nach Situation trinke ich gerne mit Kollegen Wein oder Prosecco. Dann darf es auch mal mehr sein. Einen Kater hatte ich trotzdem noch nie. Ich bemühe mich aber, nicht regelmässig zu trinken. Denn ich möchte nicht, dass ich eines Tages den Alkohol brauche.»
Priscilla Berger, 32, Wil ZH
«An Geburtstagen oder an Weihnachten stosse ich mit einem Glas Sekt an. Sonst trinke ich sehr wenig Alkohol. Ich vertrage ihn einfach nicht so gut. Mir wird schon von kleinen Mengen schlecht, ich bekomme Kopfschmerzen und bin am nächsten Tag müde.»
Patrick Jäggi, 37, Zürich
«Ich trinke prinzipiell keinen Alkohol, denn er wirkt auf mich wie eine Schlaftablette. Longdrinks hätte ich vom Geschmack her gern, trotzdem...»
Simeon Krumpaszky, 25, Wädenswil ZH
«Ein Glas Wein trinke ich höchstens einmal an einem Familienfest. Ich bin Vorstandsmitglied beim Blauen Kreuz. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Alkohol, behalte aber gerne die Kontrolle über mich. Ohne Bier und Wein geht das einfacher.»
Paul Billington, 57, Zürich
«Im Laufe einer Woche trinke ich zusammen mit meiner Frau etwa eine Flasche Wein. Früher kam es gelegentlich vor, dass ich zu viel trank. Das tat mir aber nicht gut. So litt damals zum Beispiel meine Konzentration.»