AKW-Stilllegung: Die Betreiber machen mit der Finanzierung nicht vorwärts
Den Stromkonzernen geht es finanziell blendend. Trotzdem reichen die Rückstellungen für den Abriss ihrer AKW bei weitem nicht aus.
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saldo 09/2012
09.05.2012
Stefan Schuppli
Laut dem Bundesverwaltungsgericht soll das Atomkraftwerk Mühleberg im Jahr 2013 abgeschaltet werden. Anschliessend muss es abgerissen werden. Doch wie viel dies kostet, weiss niemand so genau.
Swissnuclear, eine Fachgruppe des Verbandes der Stromkonzerne Alpiq, Axpo, CKW, BKW und der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg, schätzt die Abbruchkosten für das Atomkraftwerk Mühleberg heute auf gut 800 Millionen Franken. Die letzte Schätzung vor sechs J...
Laut dem Bundesverwaltungsgericht soll das Atomkraftwerk Mühleberg im Jahr 2013 abgeschaltet werden. Anschliessend muss es abgerissen werden. Doch wie viel dies kostet, weiss niemand so genau.
Swissnuclear, eine Fachgruppe des Verbandes der Stromkonzerne Alpiq, Axpo, CKW, BKW und der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg, schätzt die Abbruchkosten für das Atomkraftwerk Mühleberg heute auf gut 800 Millionen Franken. Die letzte Schätzung vor sechs Jahren lautete noch auf 725 Millionen Franken.
Der eigentliche Abriss schlägt laut Swissnuclear mit 487 Millionen Franken zu Buche. Die wegen der Auskühlung und Strahlungsreduktion nötige fünfjährige Nachbetriebsphase mit 319 Millionen Franken.
Die Berechnungen basieren nach Angaben von Swissnuclear «auf einem detaillierten technisch-wissenschaftlichen Konzept». Dabei stützen sich die AKW-Betreiber auf Erfahrungen, die bei den laufenden Abrissen in Deutschland gemacht werden.
Doch die Zahlen und Erfahrungen aus Deutschland sind alles andere als eindeutig. Das Unternehmen Arthur D. Little kommt in einer Kalkulation vom letzten Herbst auf Abbruchkosten von umgerechnet mindestens 1,35 Milliarden Franken für ein deutsches AKW. Zu noch höheren Summen kommt das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Berechnung: umgerechnet 3,9 Milliarden Franken pro AKW.
Mehr als 4,7 Milliarden Franken für den Abriss der fünf AKW
Für die Schweiz korrigierte Swissnuclear nicht nur die Zahlen für Mühleberg nach oben. Das Gleiche gilt für die Atomkraftwerke Beznau I und II. Die geschätzten Abrisskosten für beide Kraftwerke belaufen sich auf 1,28 Milliarden Franken. Die Zahlen für Gösgen lauten auf 1,12 und für Leibstadt auf 1,38 Milliarden Franken. Zusammen sind das mehr als 4,7 Milliarden Franken für die fünf Atomkraftwerke – 10 Prozent mehr als bei der Schätzung von 2006.
Wie weit diese aktuellen Schätzungen verlässlich sind, ist unklar: Die Angaben von Swissnuclear werden zurzeit vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi geprüft.
Das Kernenergiegesetz verlangt von den Atomkraftwerkbetreibern die Äufnung eines Stilllegungsfonds, mit dem der Abriss der Atomkraftwerke bezahlt werden soll. Für alle fünf AKW in der Schweiz liegen heute gerade mal 1,3 Milliarden Franken in diesem Topf.
Die Rückstellungen reichen bei weitem nicht aus
Beznau I und II gingen in den Jahren 1969 und 1972 ans Netz. Nach gut 40 Betriebsjahren sind gemäss Jahresbericht 2010 für beide AKW 450 Millionen
Franken im Fonds.
Stimmt die Berechnung der Abbruchkosten von Swissnuclear mit 1,28 Milliarden Franken für Beznau I und II, reicht das Geld des Fonds bei weitem nicht. Es würden heute über 750 Millionen Franken fehlen.
Für den Abriss des AKW Mühleberg sind bisher erst rund 240 Millionen Franken im Fonds zurückgestellt worden. Auch das ist nur knapp ein Drittel der geschätzten Kosten.
Die AKW-Betreiber rechnen mit einer Mindestbetriebsdauer von 50 Jahren. Wenn die AKW schneller vom Netz müssen, verschärfen sich die Finanzierungsprobleme: Der Beitragszeitraum für Einzahlungen in den Fonds wird kürzer.
Sabine von Stokar von der Schweizerischen Energiestiftung kritisiert die Kalkulation der Stromproduzenten: «50 Jahre Betriebsbewilligung sind ein Hohn. Das bedeutet nichts anderes als eine betriebswirtschaftliche Optimierung für die AKW-Betreiber.»
Im Notfall wird auch der Steuerzahler zur Kasse gebeten
Wer aber stopft die Lücken, wenn der Stilllegungsfonds nicht ausreicht? Gemäss Gesetz sind das die AKW-Betreiber. Das finanzielle Restrisiko liegt jedoch letztlich beim Steuerzahler. Denn im Kernenergiegesetz heisst es: Ist der Fehlbetrag für den AKW-Betreiber «wirtschaftlich nicht tragbar, beschliesst die Bundesversammlung, ob und in welchem Ausmass sich der Bund an den nicht gedeckten Kosten beteiligt».
Der Basler Energiespezialist Rudolf Rechsteiner kritisiert: «Wie bei der fehlenden Haftpflicht der Betreiber schiebt man auch beim Abbruch und den Atomabfällen einen Grossteil der Kosten auf die Allgemeinheit ab. Der Bundesrat müsste die Zahlungspflicht in den Fonds unbedingt beschleunigen, um die Bundeskasse vor solchen Kosten zu schützen.»
Die Forderung scheint berechtigt, denn den Stromkonzernen geht es finanziell blendend. Alpiq, Axpo und BKW schrieben in den letzten acht Jahren insgesamt 10 Milliarden Franken Gewinn. Sie weisen in ihren Bilanzen happige Gewinnreserven aus: Axpo 6,9 Milliarden, BKW 2,8 Milliarden und Alpiq 1,3 Milliarden. Nur: Die Axpo gibt auf Anfrage von saldo an, dass sie diese Gewinnreserve nicht für den Abriss der AKW verwenden wolle. Dafür hätten die beiden AKW Leibstadt und Gösgen, an denen Axpo beteiligt ist, spezielle Rückstellungen gebildet. Keine Auskunft gibt Alpiq – ausser, dass man sich selbstverständlich an die gesetzlichen Regeln halte.
Immerhin: Die BKW haben für Mühleberg Rückstellungen von 660 Millionen Franken in ihrer Bilanz stehen. Zusammen mit den Beträgen im Stilllegungsfonds in der Höhe von 240 Millionen würde das für den Abriss reichen.