Eine neue Studie des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich zeigt: Privat oder halbprivat versicherte Patienten haben ein 20 Prozent höheres Risiko als Allgemeinversicherte, dass bei einer Arthrose am Knie eine Gelenkspiegelung vorgenommen wird. Mit der sogenannten Arthroskopie untersucht der Arzt den Zustand des Gelenks mit einer Minikamera. Für die Autoren der Studie steht fest: Bei einer Arthrose sind die meisten Gelenkspiegelungen überflüssig. Physiotherapien würden ähnlich gut helfen.
Spitäler verdienen mehr an Zusatzversicherten
Wer gegen Krankheit eine zusätzliche Spitalversicherung abgeschlossen hat, kommt auch sonst öfter unters Messer als Allgemeinversicherte. Das hat auch finanzielle Gründe. Die Spitäler dürfen diesen Patienten besonders hohe Rechnungen stellen. Sie verdienen mit ihnen also mehr Geld.
Das belegen Zahlen der Krankenversicherung Helsana (siehe Grafik im PDF). Für eine einfache Blinddarmoperation dürfen die Spitäler bei Allgemeinversicherten eine Pauschale von 6278 Franken verlangen. Bei Privatversicherten berechnen sie im Durchschnitt pro Fall 12 585 Franken – das ist rund das Doppelte.
Die Patienten haben auch gesundheitliche Nachteile: Nutzlose Eingriffe bergen das Risiko von Fehlbehandlungen und unerwünschten Nebenwirkungen.
Beispiele zeigen, wo und wie viel häufiger an Zusatzversicherten herumgedoktert wird:
Orthopädische Eingriffe: Halbprivat- und Privatversicherte werden mehr als doppelt so oft am Knie operiert wie Grundversicherte. Das zeigen Zahlen, die das Bundesamt für Gesundheit letztes Jahr veröffentlichte. Operationen an der Wirbelsäule sind bei ihnen anderthalbmal häufiger. Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit 17 Prozent höher, dass sie ein künstliches Hüftgelenk erhalten. Das Bundesamt für Gesundheit schätzt, dass die unnötige Mehrbehandlung die Kantone und Krankenkassen über 200 Millionen Franken pro Jahr kostet.
Herzkatheter: Privatpatienten werden überdurchschnittlich oft Herzkatheter eingesetzt. Die neusten Fallzahlen von 33 Spitälern stammen von 2013. Sie zeigen, dass Privatspitäler mehr unnötige Herzkatheteroperationen verordnen als andere Spitäler. Unnötig heisst: Nach dem Eingriff wurden den Patienten keine Gefässstützen aus Metall oder Kunststoff (Stents) eingesetzt. In der Hirslandenklinik in Aarau oder der Zürcher Klinik im Park war das bei bis zu 70 Prozent der Patienten der Fall – in den meisten öffentlichen Spitälern nur bei rund 50 Prozent.
Das liesse sich leicht ändern. Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Uni Zürich, sagt: Vor dem Griff zum Skalpell «müssten die Ärzte ihre Patienten auf ein Velo setzen und Belastungstests durchführen». Bei 40 Prozent der rund 50 000 Kathetereingriffe pro Jahr unterbleiben solche Tests.
Geburten: Schwangere mit Zusatzversicherung gebären mehr als doppelt so oft per Kaiserschnitt wie Allgemeinversicherte. Das zeigt ein Bericht des Bundesamts für Gesundheit aus dem Jahr 2013.
«Fehlanreize bei den Vergütungen»
Conrad Engler vom Spitalverband H+ räumt ein: Wegen der «Fehlanreize bei Vergütungen» sei es möglich, dass «finanzielle Überlegungen» die Behandlung im Spital beeinflussen. Es könnten aber auch demografische oder klinische Unterschiede bei den Versicherten und die Patientenwünsche eine Rolle spielen. Guido Schommer vom Verband Privatkliniken Schweiz sagt: «Man muss zuerst klären, ob Privatversicherte andere gesundheitliche Voraussetzungen haben.» Zudem liege die Verantwortung für medizinische Behandlungen bei den Ärzten.