Das Baby lag mehrere Wochen auf der Intensivstation. Es hatte Gewicht und Flüssigkeit verloren. Laut den Ärzten war der Salzhaushalt des sieben Monate alten Säuglings entgleist und seine Nieren waren verkalkt. Grund: Die Eltern hatten ihm fünf Monate lang täglich ein hochdosiertes Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmittel gegeben. Die Tagesdosis war 80-mal höher als die ärztlich empfohlene Menge zum Schutz vor der Knochenkrankheit Rachitis.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft machte den Fall Ende letzten Jahres öffentlich. Das ist kein Einzelfall. Vitamin-D-Vergiftungen von Kindern kommen auch in der Schweiz vor.
Die Beratungsstelle Tox Info Suisse der Universität Zürich erhielt in den ersten elf Monaten des letzten Jahres 500 entsprechende Anfragen. In 23 Fällen handelte es sich um chronische Überdosierungen. Die Universitätskliniken Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf registrierten in den letzten Jahren jedoch keine Spitaleinlieferungen.
Von Übelkeit über Nierensteine bis zu Herzproblemen
Zur Vorbeugung gegen Rachitis empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit Eltern, ihren Säuglingen im ersten Lebensjahr höchstens 0,01 Milligramm Vitamin D pro Tag zu geben. Im zweiten und dritten Lebensjahr sollten es maximal 0,015 Milligramm sein. Bekommt ein Kleinkind zusätzlich Vitamin-D-Präparate, steigt das Risiko einer Überdosierung. Mögliche Folgen sind Übelkeit, Erbrechen, Nierensteine und Herzrhythmusstörungen (saldo 11/2022).
Der Bund tut bisher wenig, um Kinder vor hochdosierten Vitamin-D-Präparaten aus dem Ausland zu schützen. Niedrig dosierte Nahrungsergänzungsmittel mit maximal 0,07 Milligramm Vitamin D kann man in Schweizer Apotheken oder im Internet kaufen, hochdosierte Präparate im Ausland. Der Schweizer Zoll kontrolliert laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit jedoch keine «zum Eigengebrauch» importierten Vitamin-D-Nahrungsergänzungsmittel.
So kann zum Beispiel der US-Internethändler Prohealth.com «Vitamin D3 50.000» in die Schweiz liefern: 50 Kapseln für rund 30 Franken. Eine Kapsel enthält 1,25 Milligramm Vitamin D. Das ist rund 124-mal mehr, als einjährige Säuglinge vertragen, und 17-mal mehr, als Erwachsene am Tag maximal zu sich nehmen sollten.
Tox-Info-Oberärztin Colette Degrandi rät beim Verdacht auf eine Überdosis, einen Arzt aufzusuchen und das Blut des Kindes überprüfen zu lassen. Gemäss Christa E. Flück, leitende Ärztin der Kinderklinik am Inselspital Bern, sollte man zudem auf jede weitere Vitamin-D-Gabe verzichten.