Renata Bernasconi (Name geändert) betreibt im Kanton Aargau eine Modeboutique. Und sie mag es gar nicht, wenn man ihr vorwirft, sie zocke Kunden ab. «Ich begreife, dass die Leute sich über die hohen Schweizer Preise ärgern», sagt die 50-Jährige. Doch machen könne sie dagegen nichts. Immer wieder muss Renata Bernasconi ihren Kunden erklären, wie das aufwendige Zollverfahren die Kleider enorm verteuert. Dazu beschert es ihr und anderen Detailhändlern einen grossen Mehraufwand.
Bernasconi importiert alle Textilien für ihre Boutique selbst. Zwei Mal pro Monat fahren sie und ihr Partner deshalb für zwei Tage mit dem Lieferwagen nach Mailand.
Jedes Kleidungsstück muss gewogen werden
Im Juni kaufte die beiden bei fünf Lieferanten Kleider mit einem Gesamtgewicht von 221 Kilogramm. Noch bei den Lieferanten beginnt die mühselige Aufbereitung für den Zoll: Sie wiegen jedes Kleidungsstück auf einer mitgebrachten Waage. Bei der Verzollung zählt aber nicht nur das Gewicht. Die Tarife sind auch je nach Produkt und Materialzusammensetzung unterschiedlich. Die zwei schauen also auf jedem Etikett nach, wie viel Baumwolle, Viskose oder anderes Material in einem Kleidungsstück verwendet wurde, und notieren das. Die erfassten Kleidungsstücke füllen sie dann in Säcke ab. Dieses Mal sind es am Ende 29 Stück.
Das beiden bringen ihre Waren mit Hilfe eines Spediteurs über die italienische Grenze ins Tessin. Dazu müssen sie im Hotelzimmer ihre Notizen kontrollieren und für ihn überarbeiten. Aufgrund dieser Angaben teilt der Spediteur dann die entsprechenden Zollnummern zu. Beispiel: «Blusen und Hemdblusen für Frauen und Mädchen» aus «synthetischen oder künstlichen Fasern» haben die Tarifnummer 6106.2000. Pro 100 Kilo werden dafür 406 Franken Zollgebühren fällig. Günstiger sind «T-Shirts und Unterleibchen (Unterhemden)» aus Baumwolle. Sie kosten 152 Franken pro 100 Kilo. Insgesamt umfasst die Liste der Tarifnummern für Bekleidung sage und schreibe 132 verschiedene Positionen. Kein Wunder, kann die Abfertigung am Zoll mehrere Stunden dauern.
Bei der letzten Fahrt nach Italien zahlte Bernasconi den Lieferanten für die Kleider insgesamt Fr. 6833.50. Dazu kamen an der Grenze Zoll, Importgebühren, Taxen und Spesen in Höhe von Fr. 1381.25 (ohne Mehrwertsteuer). Die Kleider verteuerten sich also auf einen Schlag um mehr als 20 Prozent. Bei besonders günstigen Produkten, etwa Slips, kann es sogar vorkommen, dass die Zollgebühren höher sind als der Einkaufspreis.
Eine Studie des Forschungsinstituts BAK Basel zeigt: Verantwortlich für die im Vergleich zu den Nachbarländern deutlich höheren Preise im Schweizer Detailhandel sind vor allem hohe Beschaffungskosten (saldo 12/2017).
Und was bleibt am Ende für Renata Bernasconi? Nach Abzug aller Warenkosten, der Ladenmiete und den Löhnen für drei Teilzeitangestellte verdient sie mit ihrem Geschäft monatlich rund 2000 Franken.