Vor zwei Jahren publizierte saldo erstmals Messwerte zu den Emissionen der Schweizer Zementwerke. Sie zeigten: Die Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung werden häufig nicht eingehalten (saldo 11/2018). Die Betreiber versprachen Besserung, die Behörden beschwichtigten.
Jetzt liegen saldo neue Zahlen vor. Daraus geht hervor: Im Jahr 2018 pustete die Holcim-Zementfabrik in Untervaz GR bei einer Messung rund
40 Prozent mehr hochgiftiges Dioxin in die Luft als erlaubt. Drei Jahre zuvor hatte die Fabrik schon einmal 60 Prozent mehr Dioxin abgegeben, als in der EU erlaubt wäre. Dioxin kann laut der Weltgesundheitsorganisation unter anderem Hormone stören und Krebs auslösen.
Zementexperte Josef Waltisberg hält den neuesten Fall für «sehr besorgniserregend». Er weiss, wovon er spricht: Der ETH-Ingenieur aus Holderbank AG war 26 Jahre lang bei Holcim für den Umweltschutz mitverantwortlich, unter anderem für die Risikoabklärungen für Abfälle.
Zementriese Holcim macht für den Vorfall im Jahr 2018 eine «Störung im Betriebsablauf» verantwortlich. Im Übrigen beruhe der Dioxinwert auf einer «Einzelmessung» und läge in «der Messtoleranz des Grenzwertes». Waltisberg widerspricht: Die Luftreinhalteverordnung schreibt vor, dass gerade bei Dioxineinzelmessungen kein Grenzwert überschritten werden darf.
Drei der sechs Zementwerke der Schweiz blasen zudem massiv zu viel Benzol in die Luft. Das zeigen tägliche Messungen in den Fabriken. Auch Benzol gilt laut der Weltgesundheitsorganisation als «krebserregend». Die Benzol-Emissionen im Holcim-Werk in Siggenthal AG überschritten im Jahr 2018 acht Mal den erlaubten Tagesmittelwert. Im Jura-Cement-Werk in Wildegg AG lagen sie im gleichen Jahr 21-mal über dem zulässigen Limit. In Ciment Vigier in Péry BE waren 23 Tageswerte zu hoch. Hinzu kommt: Vigier emittierte 2018 an sechs Tagen zu viele sonstige organische Gase ab. Diese können wie der Klimakiller Methan Umwelt und Menschen schädigen. Das Werk in Untervaz GR übertrat 2018 sieben Mal die Staub-Grenzwerte.
Zementwerke wollten Daten nicht herausgeben
Anwohner erfahren meist nicht, wenn sie einer hohen Luftverschmutzung ausgesetzt sind. Zementwerke halten die Emissionsdaten unter Verschluss. So wollte Holcim neuere Daten nur herausgeben, wenn saldo keine Zahlen für einzelne Werke publiziert. saldo erhielt die Daten von den Behörden unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz.
Bereits vor zwei Jahren deckte saldo auf, dass die Fabriken oft auch zu viel Schwefeldioxide, Staub oder Stickstoffoxide ausstossen. Dabei sind viele Grenzwerte in der Schweiz deutlich höher als in Deutschland und der EU. So dürfen hiesige Zementwerke sieben Mal mehr organische Gase (TOC) oder doppelt so viel Staub emittieren wie deutsche Werke.
Ciment Vigier erklärt, das Benzolmessgerät habe bis Herbst 2018 nicht einwandfrei funktioniert und überhöhte Werte angezeigt. Die Verantwortlichen in Wildegg sagen, dass sie die Anlage umgebaut und die Verbrennung verbessert hätten. Seit April 2018 halte das Werk den Grenzwert weitgehend ein. Das bestätigt das kantonale Umweltamt. Holcim verweist auf «Mess- und Steuerungsprobleme sowie vereinzelte Prozessstörungen» in Siggenthal AG.
Nur drei von sechs Werken messen Benzolwert regelmässig
Für Waltisberg ist das eine «lächerliche Begründung». Denn Benzol und organische Gase entstünden, wenn die Fabrik zu viele oder unsachgemäss Abfälle wie Reifen verbrenne. Die Betreiber sparen so die Ausgaben für Brennstoffe wie Steinkohle. Dazu kassieren sie Geld für die Abfallentsorgung.
Bisher messen nur drei der sechs Schweizer Werke regelmässig den Benzolausstoss. Dabei verpflichtet die Luftreinhalteverordnung seit Anfang 2016 alle Werke dazu, die Abfall verbrennen. Doch einzelne Kantone gewährten längere Übergangsfristen. Untervaz muss Benzolwerte erst seit 2019 dem Kanton rapportieren. Und der Kanton Aargau lässt Wildegg bis Ende 2020 Zeit, Benzol und TOC-Werte in den Griff zu kriegen.
Martin Forter von den Ärztinnen und Ärzten für die Umwelt kritisiert die Nachlässigkeit von Behörden und Zementwerken. Er stellt klar: «Krebserregende Stoffe gehören nicht in die Umgebung.»