Die Zementindustrie zählt mit 2,5 Millionen Tonnen C02-Emissionen pro Jahr zu den grössten Klimasündern des Landes. Auf sie entfällt laut Bundesamt für Umwelt ein Viertel des Ausstosses der Schweizer Industrie. Und die Zementwerke stiessen oft auch mehr Schadstoffe aus als erlaubt – teilweise auch krebserregende. Ihr Verband, die Cemsuisse, schreibt dennoch auf der Website: Die Branche «legt Wert auf eine möglichst umweltfreundliche Produktion und ist führend in Sachen Nachhaltigkeit». Und sie investiere laufend «in die Reduktion von Emissionen».
Umweltbeamte und Lobbyisten duzen sich in E-Mails
Hinter den Kulissen kämpft Cemsuisse aber für das Gegenteil. Das zeigen vertrauliche E-Mails des Verbands an das Bundesamt für Umwelt vom August 2020 bis Februar 2021. saldo erhielt gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in 125 Seiten des Mailverkehrs. Pikant: Beat Müller, Sektionschef beim Bundesamt für Umwelt, und Cemsuisse-Direktor Stefan Vannoni duzen sich in den Mails.
Worum geht es? Der Bund will strengere Bestimmungen zum Schadstoffausstoss der Zementindustrie. Cemsuisse schlägt dem Amt am 19. November 2020 eine neue Branchenvereinbarung vor. Die Zementindustrie verspricht darin, die Emissionen von Staub, Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ammoniak und organischen Gasen bis 2026 jedes Jahr freiwillig, aber unverbindlich zu senken. Die Vereinbarung sieht keine Sanktionen vor. Im Gegenzug soll der Bund auf schärfere Bestimmungen verzichten. Die Zementlobby schreibt in ihren Mails: «Eine Branchenvereinbarung führt zu ökologisch besseren und wirtschaftlich tragbareren Lösungen als einseitige Verschärfungen im Umweltrecht.» Das verhindere auch die «Abwanderung» von Firmen.
Weiter behauptet Cemsuisse: Mit der Branchenvereinbarung sei die Schweiz bei Staub, Stickoxiden, Benzol und Ammoniak «progressiver als Europa». Das ist falsch: Die Grenzwerte für Stickoxide waren 2021 in der EU gleich hoch. In Deutschland waren die Grenzwerte für Staub und Stickoxide jedoch erheblich tiefer oder – wie bei Ammoniak und Benzol – gleich hoch. Der Verband verschweigt zudem, dass die Schweizer Grenzwerte für Schwefeldioxide zehnmal höher und die für anorganische Verbindungen achtmal höher sind als in der EU.
Der «K-Tipp» deckte auf, dass das Holcim-Werk Untervaz GR 2015, 2018 und 2019 zu viele krebserregende Dioxine ausstiess («K-Tipp» 20/2021). Das ist kein Einzelfall, wie kantonale Messungen zeigen: Zum Beispiel stiess Vigier in Péry BE 2020 an fünf Tagen zu viele toxische Gase aus. Jura Cement Wildegg AG pustete seit 2014 jedes Jahr an mehreren Tagen mehr krebserregendes Benzol aus, als erlaubt ist. Und beim Werk in Siggenthal AG war der Ammoniak-Wert 2014, 2015 und 2016 zu hoch (saldo 11/2018).
Cemsuisse bezeichnet solche Überschreitungen in den E-Mails als «nicht aussagekräftig». Der Verband behauptet weiter, die Schweizer Grenzwerte seien bereits heute «nachteilig» und «sehr herausfordernd» für die Werke. Dann forderte er vom Bund: «Die Problematik der Stunden- und Tagesmittelwerte muss gelöst werden.»
Das heisst: Die Zementwerke stören sich daran, dass sie nicht tageweise unbegrenzt Giftstoffe in die Luft blasen dürfen. Ihre Lösung: Der Bund solle Jahresmittelwerte einführen. Die Emissionen einzelner Werke oder der Branche müssten nur noch jährlichen Durchschnittswerten genügen. Alle Überschreitungen an einzelnen Stunden oder Tagen wären dann zulässig.
Experte spricht von «Vertuschung von zu hohen Emissionen»
Eine solche Regelung dient gemäss dem Zementexperten Josef Waltisberg aus Holderbank AG der «Vertuschung von zu hohen Emissionen». Zementwerke in den USA, Kanada und der EU müssten Tagesmittelwerte einhalten – teilweise sogar Stunden- oder Halbstundenmittelwerte. So könnten die Zementfabriken nicht unbemerkt Giftmengen ausstossen, welche die Gesundheit gefährden.
Der Bundesrat erliess im Oktober 2021 eine neue Luftreinhalteverordnung. Auf dem Papier schloss die Schweiz bei vielen Grenzwerten zu Deutschland auf. Der Bundesrat bewilligte aber, wie oft in solchen Fällen, eine zehnjährige Übergangsfrist.
Cemsuisse-Chef Vannoni sagt, Umwelt- und Gesundheitsschutz hätten «hohe Priorität». Und: Branchenvereinbarungen seien eine «bindende Verpflichtung» zur Emissionsreduktion, berücksichtigten aber die «konkreten Gegebenheiten» der Industrie. Zwei frühere Vereinbarungen zu C02 und Stickoxiden hätten die Emissionen der Industrie «deutlich» reduziert.