Chlorpyrifos sei «das gefährlichste Pestizid, von dem man noch nie gehört hat», titelte jüngst das Internetportal EU-Observer. Auch die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa kam zum Schluss, dass das Insektenvernichtungsmittel mit dem komplizierten Namen der Gesundheit schadet und die Kriterien für eine Genehmigung in der EU nicht erfüllt. Laut Efsa belegen Studien mögliche Folgen für Kinder: etwa «Schädigungen des Erbguts» und Auswirkungen auf die Entwicklung des Hirns.
Deutschland, Irland und weitere sechs EU-Länder haben das Gift verboten – nicht aber Spanien, Italien, Holland und Frankreich. In der Schweiz entzog das Bundesamt für Landwirtschaft im Mai zwölf Produkten mit Chlorpyrifos die Bewilligung. Drei davon dürfen die Bauern aber noch bis Mai 2021 einsetzen, zum Beispiel bei Kartoffeln und Bohnen. Darunter ist das umstrittene Mittel Ephosin, das Kartoffeln gegen Drahtwürmer schützen soll. Ein weiteres Produkt ist bis September 2020 erlaubt. Philippe Schenkel von Greenpeace fordert, dass der Bund «einen Stoff nicht länger erlaubt, der das Hirn von Kindern oder Tieren schädigen kann». Bauern könnten den Drahtwurm durch die richtige Fruchtfolge und Wahl der Parzellen eindämmen.
Agrochemie gibt sich trotz Vorwarnung «überrascht»
Bauern dürfen seit August die restlichen acht Chlorpyrifos-Produkte nicht mehr auf den Äckern verwenden. Offen ist, wie lange das Verbot gilt. Sieben Hersteller und Händler reichten beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot Beschwerde ein: Syngenta, Dow Agro und Sintagro wollen grundsätzlich den Verkaufsstopp für ihre Produkte verhindern. Jürg Burkhard von Sintagro sagt, sie hätten «20 bis 30 Jahre lang nie Anlass zu Beanstandungen» gegeben. Syngenta zeigt sich «überrascht» von dem Verbot. Es sei weder durch «Zwischenfälle» noch «neue Erkenntnisse» gerechtfertigt. Vier Firmen fordern längere Übergangsfristen.
Laut Philippe Schenkel von Greenpeace informierte das Bundesamt für Landwirtschaft die Branche bereits im Oktober 2018 über die Verbotspläne. «Überraschend kam das nicht.» Für ihn ist klar: «Die Branche will noch möglichst lange mit hochgiftigen Pestiziden Geld verdienen. Sie versucht zudem, das Bundesamt einzuschüchtern.» Die Firmen verzeichneten am 21. August einen Erfolg: Eine Richterin des Bundesverwaltungsgerichts entschied, dass sie das Präparat Pyrinex vorläufig weiterhin verkaufen dürfen für den Einsatz bei Beeren, Trauben, Rüebli, Spargeln und Raps.
Das Beschwerdeverfahren verhindert, dass das Gift schnell aus Lebensmitteln verschwindet. Bei Tests fand sich das Insektizid zum Beispiel in Schweizer Äpfeln (saldo 16/2018). Das Zürcher Kantonslabor entdeckte im vergangenen Jahr «gesundheitsschädliche» Mengen des Gifts in fünf Lebensmitteln, etwa in Pfirsichen aus Italien und Cherrytomaten aus der Türkei. Auch die Qualiservice GmbH in Bern wies in den vergangenen zwei Jahren in 62 von 4429 Proben Chlorpyrifos-Rückstände nach. Das Labor analysiert Lebensmittel im Auftrag der Händler.
Chlorpyrifos im Urin von Kindern nachgewiesen
In Dänemark wurde 2016 in 9 von 10 Urinproben von Kindern und ihren Müttern Chlorpyrifos gefunden. Die Tests fanden im Auftrag des dänischen Umweltministeriums statt. Im französisch sprechenden Teil von Belgien wies das staatliche Forschungsinstitut im vergangenen Jahr in allen 258 Urinproben von 9- bis 12-jährigen Kindern Chlorpyrifos nach. In der Schweiz gab es bisher noch keine Urintests.
Konsumenten können nicht damit rechnen, dass Grossverteiler freiwillig auf Chlorpyrifos verzichten. Coop, Denner, Globus, Lidl, Manor, Migros und Spar erklären saldo lediglich, dass sie die gesetzlichen Vorschriften einhalten – mehr nicht. Nur Aldi verbietet Schweizer Lieferanten, im Obst- und Gemüseanbau Chlorpyrifos einzusetzen.
Mittel gegen Blattläuse
Landi- und Jumbo-Filialen verkaufen ein Insektizid mit Chlorpyrifos zum Hausgebrauch. Der Aerofleur-Spray der Firma Maag soll gegen Blattläuse und andere Schädlinge an Zimmerpflanzen helfen. Laut einem Landi-Sprecher bestehe bei korrekter Anwendung «keine Gefahr für Mensch und Umwelt». Auch Jumbo sieht «keine Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt». Ein «sofortiges Verkaufs- und Anwendungsverbot» dränge sich nicht auf. Der Verkauf sei bis Ende Mai 2020 erlaubt.