Sie wohne bereits seit Jahrzehnten im kleinen Block mit fünf Wohnungen, sagt die Mieterin vor dem Einzelrichter am Regionalgericht Bern-Mittelland. Der Mietzins für die Dreizimmerwohnung ist günstig: Sie kostet 650 Franken pro Monat. Die anderen Mieterinnen und Mieter sind noch nicht lange im Haus und zahlen deutlich mehr.
Dem Vermieter gehe es nur um den Profit, sagt die Frau: Er wolle sie loswerden, um die Wohnung nachher teurer zu vermieten. Die Kündigung sei missbräuchlich – das Gericht müsse sie aufheben.
Der Vermieter habe sich von missgünstigen Nachbarn beeinflussen lassen. Dann habe er Bagatellen aufgebauscht, um einen Vorwand für die Kündigung zu haben. Falls das Gericht anderer Meinung sei und die Kündigung als gültig einstufe, brauche sie auf jeden Fall mehr Zeit, um auszuziehen. Die drei Monate Kündigungsfrist seien zwar eingehalten. Aber in ihrem Alter sei das viel zu kurz, um alle Sachen zu ordnen, zu packen und zu zügeln.
Mitmieter «mit allen möglichen Bezeichnungen beschimpft»
Der Vermieter ist mit einem Anwalt erschienen. Dieser wirft der Mieterin vor, sich gegenüber den anderen Mietern rücksichtslos zu verhalten. Das sei für die Mitbewohner nicht mehr länger zumutbar.
Wenn die Frau in der Nacht Lust auf Gartenarbeiten habe, so hätten die anderen das hinzunehmen. Sie habe auch schon nachts den Rasen gemäht. Oder sie verschiebe mitten in der Nacht die Möbel ihrer Wohnung, was die Mitmieter aus dem Schlaf reisse.
Manchmal beschimpfe sie die Nachbarn auch «mit allen möglichen Bezeichnungen». Hauptproblem sei aber, dass sie den anderen Hausbewohnern mit Schachteln, Koffern, Hausrat und anderen Gegenständen im Treppenhaus den Durchgang verstelle. «Die anderen Mieter kommen nicht mehr zum Estrich», sagt der Anwalt. Auch sei es stets sehr aufwendig, sich Zugang zum Ablesen der Strom- und Wasserzähler im Keller zu verschaffen.
Der Anwalt macht geltend, die Kündigung sei keinesfalls missbräuchlich, sondern zum Schutz der anderen Mieter nötig. Als Beweis legt er Reklamationen anderer Bewohner vor und zeigt dem Richter Fotos des verstellten Treppenhauses.
Schlichtung vor Gericht «immer wieder verzögert»
Gemäss dem Anwalt hat der Vermieter nichts gegen eine Erstreckung des Mietverhältnisses einzuwenden. Zu lange dürfe diese aber nicht angesetzt werden: Vom Zeitpunkt der Kündigung bis zur Gerichtsverhandlung seien schon 16 Monate verstrichen.
Die Mieterin habe die Klärung vor Gericht immer wieder verzögert. Den Termin der Schlichtungsverhandlung etwa habe sie platzen lassen. Ebenso habe sie den Kostenvorschuss erst im letzten Moment eingezahlt, nachdem das Gericht gedroht hatte, nicht auf ihre Klage einzutreten.
Das Mietverhältnis wird um drei Jahre erstreckt
Der Einzelrichter schlägt eine gütliche Einigung vor. Aus den Akten geht hervor, dass sich das Gericht bereits vor acht Jahren mit demselben Mietverhältnis befasste.
Es ging schon damals um dasselbe Problem, und der Vermieter kündigte aus denselben Gründen. Das Gericht erstreckte das Mietverhältnis damals um zwei Jahre. In dieser Zeit verbesserte sich die Situation. Die Frau räumte auf und hielt sich an die Hausordnung. Daraufhin gab der Vermieter nach und zog die Kündigung zurück.
Nach einigen Verhandlungsrunden kommt es endlich zu einer einvernehmlichen Lösung: Die Mieterin anerkennt die Kündigung per Ende April 2022 und das Mietverhältnis verlängert sich einmalig um drei Jahre. Das heisst: In knapp zwei Jahren muss die Frau ausgezogen sein. Die Gerichtskosten von 1500 Franken übernehmen die Mieterin und der Vermieter je zur Hälfte.
Gericht kann Mietverhältnis verlängern
Mieter können die Kündigung ihrer Wohnung innert 30 Tagen anfechten. Gleichzeitig können sie verlangen, dass das Mietverhältnis verlängert wird.
Voraussetzung für eine Erstreckung ist, dass die Kündigung für die Betroffenen einen Härtefall bedeutet. Das kann zum Beispiel ein knappes Haushaltsbudget sein.
Auch die Ortsgebundenheit kann beim Entscheid eine Rolle spielen – etwa wenn im Fall einer Familienwohnung mit der Erstreckung ein Schulwechsel der Kinder vermieden werden kann.
Bei einer Erstreckung berücksichtigt das Gericht auch Pflichtverletzungen des Mieters: Es spielt eine Rolle, ob er die Hausordnung missachtete oder sein Verhalten zu Klagen von Nachbarn führte.