Zwei Meter Abstand zwischen den Tischen, und alle am Verfahren Beteiligten sitzen am eigenen Pult: Die Coronaregeln bestimmen auch den Alltag am Bezirksgericht Horgen ZH. Vor dem Einzelrichter verhandelt wird die Klage einer Künstlerin, die seit 2004 in einer Zweizimmerwohnung in Thalwil lebt. Über ihr wohnt die Vermieterin, unter ihr befindet sich eine Autogarage.
Der Anwalt der Künstlerin begründet die Klage: Seine Klientin habe die Geräuschimmissionen aus der Garage lange kaum wahrgenommen. Seit Februar 2019 sei dies anders: «Meine Klientin fühlt sich durch die Geräusche des Kompressors stark gestört: Sie leidet unter Kopfschmerzen und psychosomatischen Beschwerden, die vom Lärm verursacht wurden.» Die Klägerin ergänzt: «Es rattert sehr laut, teilweise alle zehn Minuten.»
Laut dem Anwalt hat ein Fachmann die Wohnung besichtigt. «Er stellte fest, dass der Kompressorlärm das tolerierbare Mass bei weitem überschreitet.» Seine Mandantin habe sich daraufhin an die Vermieterin gewandt und diese gebeten, etwas gegen die störenden Geräusche zu unternehmen. «Es geschah aber nichts.»
Der Anwalt fordert deshalb, dass die Vermieterin die Lärmimmissionen sofort eindämmt. Zudem beantragt er eine Mietzinsreduktion von zehn Prozent seit Mitte Mai 2019 bis zur Behebung des Mangels. Das entspricht monatlich 72 Franken.
Der Anwalt der Vermieterin verlangt hingegen, die Klage abzuweisen. Lärmimmissionen seien nur dann einklagbar, wenn sie übermässig sind. «Das ist aber nicht der Fall.» Der Kompressor sei heute noch gleich laut wie vor Jahren, die Lärmimmissionen seien aber im tolerierbaren Rahmen. «Grenzwerte werden keine überschritten.» Die Autogarage habe zudem bereits existiert, als die Künstlerin in ihre Wohnung einzog. Die Vermieterin habe ihr die Situation mehrmals erläutert. Nach der Wohnungsbesichtigung sei die Künstlerin mit allem einverstanden gewesen. «Die Mieterin wusste um die Immissionen», schliesst der Anwalt sein Plädoyer.
Der Richter rät zu einer gütlichen Lösung
Der Einzelrichter unterbricht die Verhandlung kurz, dann schildert er den Parteien seine Sicht der Dinge. Die Klägerin behaupte, der Kompressor sei seit Februar 2019 viel lauter als in den Jahren zuvor. Sie könne diese «übermässigen Immissionen» jedoch nur umschreiben, nicht aber «mit Zahlen oder Ähnlichem» belegen. Daher schätze er die Chancen der Künstlerin, mit ihrer Klage Erfolg zu haben, als gering ein. Er rät zu einer gütlichen Lösung, da die Künstlerin mit der Vermieterin im gleichen Haus wohnt.
Nach einigem Hin und Her einigen sich die beiden Frauen. Die Vermieterin verspricht, gemeinsam mit dem Betreiber der Autogarage zu prüfen, ob über dem Kompressor eine Schalldämmung montiert werden könne. Sie ist zudem bereit, den Nettomietzins ab Mai 2020 um rund zehn Prozent zu reduzieren. Jede Partei übernimmt die Hälfte der Gerichtskosten von insgesamt 1000 Franken.
Lärm ist nicht gleich Lärm
Mieter von Mehrfamilienhäusern müssen aufeinander Rücksicht nehmen. Aber nicht jeder Lärm, den jemand als störend empfindet, ist rechtlich von Bedeutung. Einklagbar sind nur übermässige Lärmimmissionen. Das sind etwa solche, die gesundheitsschädlich sind, leicht vermieden werden können oder Grenzwerte überschreiten. Die Gerichte berücksichtigen dabei nicht nur das persönliche Empfinden der Betroffenen. Entscheidend ist, ob sich auch andere Leute durch den gleichen Lärm gestört fühlen würden. Wer mit einer Klage wegen Lärmbelästigung am Gericht Erfolg haben will, sollte die Immissionen vorher messen. Von Bedeutung sind Dauer, Uhrzeit und Lautstärke der Geräusche. Ein Spezialist sollte diese Daten in einem Bericht zuhanden des Gerichts festhalten.