Bisher warb der Verband der Schweizer Milchproduzenten mit seiner Kuh «Lovely». Neu dürfen Forscher in Medien die frohe Botschaft von Swissmilk verkünden: «Skifahren und Wandern sind ohne Kühe nicht denkbar», lautet etwa die Überschrift über einem Interview mit Urs Niggli in der «Sonntagszeitung» vom 23. April.
Niggli ist laut seiner eigenen Internetseite «einer der weltweit führenden Agrarwissenschaftler». Er war bis 2020 Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in Frick AG. Die Werbung von Swissmilk war wie ein redaktioneller Artikel aufgemacht, darüber stand klein der Vermerk «Anzeige von Swissmilk» und «Sponsored».
Sponsoring-Beiträge im Wert von 90 000 Franken
In den auflagestarken Magazinen von Migros und Coop liess sich Wilhelm Windisch, pensionierter Agrarwissenschafter der Technischen Universität München, von Swissmilk befragen. Die Überschrift des Interviews im «Migros-Magazin vom 17. April lautete: «Kühe als wichtiger Bestandteil der Kreislaufwirtschaft». Gemäss den aktuellen Anzeigetarifen der betreffenden Verlage kosteten die drei Anzeigen zusammen mehr als 90 000 Franken.
Laut einem Sprecher von Swissmilk sollen solche Interviews «Fakten transportieren». saldo hat die Aussagen in den Beiträgen überprüft:
- Aussage Urs Niggli:Die Schweiz habe «eine grosse Tradition, Kühe mit Gras und nur wenig Getreide zu füttern».
- Fakt ist: Hochleistungskühe fressen viel Getreide, Mais und Soja. Laut Bauernverband macht dieses Kraftfutter rund einen Fünftel der Nahrung oder total knapp 400 000 Tonnen pro Jahr aus. Über die Hälfte des Kraftfutters wird importiert – zum Beispiel aus Deutschland, Osteuropa und Brasilien.
- Aussage Urs Niggli:Die Schweiz habe «einen guten Weg entwickelt, das Grasland nachhaltig zu bewirtschaften».
- Fakt ist: Die Kühe fressen viel Kraftfutter und scheiden deshalb über die Gülle viel Stickstoff aus. Die Umwelt kann nicht so viel aufnehmen, die Gülle trägt zum Artensterben bei und schädigt die Wasserqualität. Das Milchvieh ist gemäss Bundesamt für Landwirtschaft für 60 Prozent der Emissionen des gasförmigen Stickstoffs Ammoniak verantwortlich.
- Aussage Urs Niggli: Die Politik «fördert extensive Wiesen stark». Die Insektenvielfalt sei enorm, man finde «Zehntausende Arten».
- Fakt ist: Nur gerade ein Fünftel der Schweizer Landwirtschaftsfläche ist gemäss dem Bundesamt eine extensive Biodiversitätsförderfläche. Auf solchen Wiesen kommt nur wenig oder kein Dünger zum Einsatz. Sie sind deshalb ein wichtiger Lebensraum für verschiedene Pflanzen- und Tierarten und fördern somit die Biodiversität. Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist gefährdet.
- Aussage Wilhelm Windisch:Die Kühe verwerten die Reste einer «strikt pflanzlichen» Landwirtschaft – zum Beispiel aus der Herstellung von Haferdrinks. Kühe seien deshalb wichtig für die «Kreislaufwirtschaft».
- Fakt ist: Auf rund sechzig Prozent der Schweizer Ackerfläche wird gemäss dem Bundesamt für Landwirtschaft nicht Nahrung für Menschen, sondern Tierfutter angebaut– ein Viertel davon für Kühe.
Die Schweiz besteht zu einem Drittel aus Ackerland und zu zwei Dritteln aus oft hügeligen Wiesen, auf denen sich Getreide oder Gemüse kaum anbauen lassen. Die Wiesen mit Wiederkäuern zu beweiden, ergibt Sinn. Doch die Milchviehhaltung verursacht erhebliche Umweltschäden.
Interviews nicht frei von den «Interessen von Lobbyisten»
Im Jahr 2020 kritisierte Urs Niggli in einem Interview mit der Umweltschutzorganisation WWF noch die «Überdüngung durch Viehmist». Er erklärte: «Wir haben zu viele Nutztiere. Deshalb nimmt die Artenvielfalt ab.» Für Niggli ist es kein «Sinneswandel», dass er sich nun von Swissmilk einspannen lässt, wie er zu saldo sagt. Doch das Umfeld des Interviews sei «nicht ideal» gewesen, da es nicht frei «von den Interessen von Lobbyisten» sei. Er bezeichnet den Beitrag als «Fehler». Das sei sein «letztes Interview für Swissmilk» gewesen.
Wilhelm Windisch dagegen findet, seine Aussagen seien «keine Werbebotschaften». Er gebe «Interviews an alle». Beide Wissenschafter sagen, sie hätten für die Werbung kein Geld bekommen.