«Wir kontrollieren normalerweise nicht unangemeldet»
Rund 300 Frauen in der Schweiz tragen Brustimplantate des Herstellers Poly Implants Prothèses (PIP). Das minderwertige Silikon steht im Verdacht, Krebs zu erregen. Handelt die Aufsichtsbehörde Swissmedic?
Inhalt
saldo 02/2012
28.01.2012
Letzte Aktualisierung:
31.01.2012
Eric Breitinger
saldo: Wie kommt es, dass PIP jahrelang diese Produkte auch in der Schweiz verkaufen konnte?
Studer: Laut den französischen Behörden hat der Hersteller die Kontrollorgane bewusst getäuscht. Das ist 2010 zufällig entdeckt worden. PIP legte dem Prüfinstitut TÜV Rheinland laut Berichten sichere Produkte vor, verkaufte aber minderwertige. Grundsätzlich müssen Hersteller die Sicherheit von komplexeren Medizinprodukten bei ein...
saldo: Wie kommt es, dass PIP jahrelang diese Produkte auch in der Schweiz verkaufen konnte?
Studer: Laut den französischen Behörden hat der Hersteller die Kontrollorgane bewusst getäuscht. Das ist 2010 zufällig entdeckt worden. PIP legte dem Prüfinstitut TÜV Rheinland laut Berichten sichere Produkte vor, verkaufte aber minderwertige. Grundsätzlich müssen Hersteller die Sicherheit von komplexeren Medizinprodukten bei einem in der EU zugelassenen Prüfinstitut prüfen lassen, um die europäische CE-Kennzeichnung zu erhalten. Damit dürfen sie das Produkt seit 1996 auch in der Schweiz in Verkehr bringen.
Hersteller können Produkte also bei Prüfinstituten in einem korruptionsanfälligen EU-Land wie Rumänien prüfen lassen – und sie in der Schweiz verkaufen. Ist das nicht ein leicht manipulierbares System?
Hier besteht Handlungsbedarf. Es ist ein Problem, dass die Prüfinstitute die Qualität sehr unterschiedlich definieren. Die EU-Behörden haben vor kurzem unter massgeblicher Mitwirkung der Schweiz entschieden, dass alle Prüfstellen minimale Qualitätsstandards haben müssen. Die EU-Kommission will das überprüfen. Wir begrüssen das.
Wie oft kontrolliert Swissmedic Hersteller unangemeldet vor Ort?
Wir kontrollieren normalerweise nicht unangemeldet. Wir werden aktiv, wenn wir Hinweise auf Herstellerfehler oder ein unerwünschtes Vorkommnis gemeldet bekommen. Dann prüfen wir Dokumente, befragen Hersteller und schauen, ob die Angaben plausibel sind. Je nach Gefährdung veranlassen wir Massnahmen wie Rückrufe oder Sicherheitsempfehlungen. Wir haben auch die Möglichkeit einer Inspektion. Bei bestimmten Fragen kommt man so schneller zu Antworten. 2011 machten wir fünf Inspektionen. Die EU diskutiert derzeit, ob Prüfinstitute verpflichtet werden, unangemeldet Hersteller zu besuchen.
Warum prüft Swissmedic nicht selbst aktiv heikle Medizinprodukte?
Seit zwei Jahren gibt es hier Ansätze. Unsere Experten kontrollieren in Spitälern etwa, wie regelkonform Wiederaufbereitungsgeräte oder Sterilisierungsverfahren sind. In der Regel machen wir acht Überprüfungen pro Jahr. Mit Kantonsapothekern machen wir Stichproben bei Produkten, die in Selbstbedienung angeboten werden, etwa bei Rollatoren oder Nasensprays bei Grossverteilern. Wir schauen zum Beispiel, ob das Personal genug Fachwissen hat.
Wären mehr Stichproben hilfreich?
Die Erfolgsrate von Stichproben ist sehr gering. Unsere Maxime ist, die Kapazitäten da zu binden, wo das Risiko ist. Unsere Abteilung hat 17 Vollzeitstellen. Geschätzte 400 000 Medizinalprodukte sind in Europa auf dem Markt.
Swissmedic zählte 2010 über 1750 unerwünschte Vorkommnisse bei Medizinalprodukten, 40 Prozent mehr als 2009. Sind heute mehr Produkte unausgereift?
Es gibt vereinzelt Versuche, Innovationen ohne ausreichende Sicherheitsprüfung auf den Markt zu bringen. Wir haben dies bei medikamentenbeschichteten Stents festgestellt. Wir gehen aber davon aus, dass das Gros der Produkte nicht schlechter wird. Dafür spricht die eher geringe Schwere der meisten Vorkommnisse.
Weiss Swissmedic, wie viele Patienten in der Schweiz durch fehlerhafte Medizinalprodukte zu Schaden kommen?
Unsere primäre Aufgabe ist es, einzuschreiten, wenn von einzelnen Produkten ein erhöhtes Risiko für Patienten, Ärzte und Pflegende ausgeht. Daher prüfen wir alle Vorkommnisse auf Auffälligkeiten. Systematisches Zahlenmaterial zu gesundheitlichen Schäden von Patienten liegt uns nicht vor.
Zur Person
Peter Studer ist stellvertretender Leiter der Abteilung Medizinprodukte beim Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic.