Michel Huissoud hat einen der einflussreichsten Jobs in der Schweiz. Er ist Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Er selber hat keinen Chef – er ist einzig dem Gesetz verpflichtet. Er und sein Team sind die Wirtschaftsprüfer des Bundes. Sie kontrollieren, ob das Geld der Steuerzahler sparsam und wirksam verwendet wird.
Die Finanzkontrolle verfügt über 110 Vollzeitstellen. Sie prüft die Finanzen der Bundesverwaltung der Bundesbetriebe oder der grossen Beteiligungen des Bundes, etwa der Swisscom. Die Finanzkontrolle ist selbständig und unabhängig. Administrativ ist sie dem Finanzdepartement beigeordnet. Michel Huissoud ist seit 1998 für die Finanzkontrolle tätig, seit 2014 als deren Direktor. Er wurde vom Bundesrat für eine Amtsdauer von sechs Jahren gewählt.
saldo: Die Finanzkontrolle kostete den Bund letztes Jahr 24,3 Millionen Franken. Herr Huissoud, was holen Sie mit diesem Geld für die Steuerzahler heraus?
Michel Huissoud: Wir haben in den letzten zehn Jahren ein paar Hundert Millionen Franken zurückgeholt. Zwei grosse Posten: 210 Millionen im Steuerdossier einer brasilianischen Gesellschaft, die im Kanton Waadt von ungerechtfertigten Steuererleichterungen profitierte. Und 229 Millionen in der Abschlusskontrolle der Darlehensabrechnung an die liquidierte Swissair. Unsere Berichte liefern immer auch Argumente, wenn das Departement des Innern mit Krankenkassen und Kantonen verhandelt, um die Kosten im -Gesundheitswesen zu senken. Die Finanzkontrolle wies schon auf Mängel beim Tarif für ambulante ärztliche Leistungen (Tarmed) hin. Nun haben sich immerhin zwischen 2017 und 2018 die Volumen, die mit Tarmed abgerechnet werden, um 100 Millionen reduziert – auch dank der Finanzkontrolle. Wir betreiben also auch Konsumentenschutz.
Auch ausserhalb des Gesundheitswesens?
Huissoud: Ja, etwa bei der Abgaswartung. Unsere Prüfer stellten fest, dass nicht nur ältere Wagen, sondern auch alle modernen Autos mit Bordcomputer alle zwei Jahre eine amtliche Abgaskontrolle vornehmen mussten. Die Analyse der Finanzkontrolle zeigte aber, dass die On-Board-Diagnose der Autos fast zu 100 Prozent exakt arbeitet. Wir schlugen deshalb vor, die erste obligatorische Wartung nach Inbetriebnahme ein Jahr später als bisher zu machen. Inzwischen wurde das Gesetz in diesem Sinn geändert. Folge: Die Automobilisten sparen so jedes Jahr 22 Millionen Franken.
Bei der Postauto-Tochter Car Postal in Frankreich stellten Sie fest, dass die Post von einem viel zu hohen Unternehmenswert ausging. Beim kürzlichen Verkauf resultierte ein Verlust von 19 Millionen Franken. Auch kritisierten Sie die viel zu optimistische Einschätzung bei der Post-Tochter Publibike. Diese Gesellschaften werden doch schon von Revisionsgesellschaften unter die Lupe genommen. Weshalb genügt das nicht?
Huissoud: Die Bundesunternehmen werden tatsächlich Jahr für Jahr von renommierten Revisionsgesellschaften geprüft. Doch dabei geht es nur um die Ordnungsmässigkeit und die Frage: Ist die Buchhaltung sauber gehalten? Im Fall von Postauto wurde publik, dass die Revisoren diesen Job nicht gut gemacht hatten. Deshalb wurden sie durch die Revisionsaufsichtsbehörde gerügt. Bei unseren Prüfungen geht es um Fragen, die für den Bundesrat und das Parlament wichtig sind. Zum Beispiel: Welche Risiken verursachen diese Unternehmen für den Bund? Sind diese Risiken unter Kontrolle? Und liefern diese Firmen zuverlässige Informationen?
Weshalb dürfen Sie die Nationalbank nicht prüfen?
Huissoud: Bei der Nationalbank will man eine klare Trennung zwischen Währungspolitik und Politik. Dieser Punkt ist meines Erachtens unbestritten. Die Nationalbank ist aber auch ein Glied in der ganzen Zahlungskette. Wenn man sich Überlegungen über Krisen in unseren kritischen nationalen Infrastrukturen macht, dann ist die Nationalbank ein Teil davon. Deshalb sollte auch die Nationalbank unter die Aufsicht von Bundesrat und Parlament fallen.
Auch bei der Suva dürfen Sie die Bücher nicht sehen. Und bei der SRG. Weshalb nicht?
Huissoud: Die Krankenkassen und alle Sozialversicherungen sind unter parlamentarischer Aufsicht und werden somit auch durch die Finanzkontrolle geprüft, nur die Suva nicht. Die Gründe dafür sind für mich nicht nachvollziehbar. Bei der SRG hat das Bundesgericht entschieden: Die Radio- und TV-Abgabe ist eine Steuer, weil es einen Zwang zum Zahlen gibt. Das bedeutet, dass die Gelder für SRG und all die privaten Radio- und TV-Stationen Subventionen sind. Wir als Finanzkontrolle haben den Auftrag, 40 Milliarden Franken Subventionen des Bundes zu prüfen – etwa in der Kultur, der Energie und der Landwirtschaft. Nur diese 1,3 Milliarden für die SRG nicht. Warum? Ich kann es nicht erklären.
Was geschieht, wenn Sie Unregelmässig-keiten feststellen? Können Sie Bussen verteilen?
Huissoud: Nein. Wir können nur Empfehlungen aussprechen.
Ist die Finanzkontrolle somit ein zahnloser Tiger?
Huissoud: Keineswegs. Wir kontrollieren regelmässig und intervenieren bei den betroffenen Stellen. Im Moment sind rund 600 Empfehlungen offen.
Die Initiative «Pro Service public» von saldo und «K-Tipp» setzte sich für mehr Service und weniger Gewinnstreben der Bundesbetriebe ein. In einem Interview in der NZZ kritisierten auch Sie, dass Bundesbetriebe wie Swisscom, Post und SBB vom Bundesrat auf Gewinn getrimmt wurden. Sehen also auch Sie darin ein Problem?
Huissoud: Ja, wir haben festgestellt, dass die Gewinnziele des Bundesrats bei Post und Ruag zu problematischen Zielkonflikten führen können.
In den Verwaltungsräten der Bundesbetriebe sitzen viele Politiker. Halten Sie es für richtig, dass solche Posten von den Parteien verteilt werden?
Huissoud: Massgebend sollte die fachliche Qualifikation und nicht die Parteizugehörigkeit sein. Und ganz wichtig: Die Person sollte überzeugt davon sein, etwas für den Staat, für die Allgemeinheit zu leisten. Die ethische Motivation sollte ähnlich sein wie bei jemandem, der ein öffentliches Amt ausübt. Wer nur wegen des hohen Lohns kommt, hat für mich nicht die richtige Motivation.
Bald wird ein neuer SBB-Chef gewählt. Der Lohn soll etwa um 200 000 Franken reduziert werden. Reicht das?
Huissoud: Es wäre interessant, in der Ausschreibung den Lohn auf die Höhe eines Bundesratssalärs zu beschränken und zu testen, ob die SBB wirklich keinen guten Kandidaten finden, wie sie immer behaupten.
Meldestelle für Whistleblower
Die Finanzkontrolle profitiert auch von Meldungen von Whistleblowern. Diese nehmen zu: Letztes Jahr waren es 164, im Vorjahr 122. Die Hälfte der Meldungen stammt von Bundesangestellten. Über 60 Prozent der Meldungen tragen zu einer Verbesserung der Verwaltung bei. Wer eine Anregung oder einen Missstand melden möchte, kann das – auch anonym – auf der ge-sicherten externen Plattform www.whistleblowing.admin.ch machen.