Eine von vielen Schlagzeilen auf der Internetseite der Zeitung «Finanz und Wirtschaft» lautet: «Die Verschuldung wächst im Grossteil der Industrieländer.» Der dazugehörige Artikel ist gelayoutet wie ein journalistischer Beitrag. Er ist im Stil verfasst, den die Redaktion pflegt. Er wird verlinkt, per Newsletter verschickt und archiviert, als ob ihn ein Journalist von «Finanz und Wirtschaft» geschrieben hätte.
Nur: Der Artikel stammt von der US-Bank J.P. Morgan. Sie bezahlt dafür an «Finanz und Wirtschaft» 1800 Franken pro Tag. «Werbung durch Inhalt» nennt dies der Zürcher Medienkonzern Tamedia, der die Zeitung herausgibt. Im Branchenjargon heisst diese Werbeform «Native Advertising».
«Nicht auf den ersten Blick als Werbung zu erkennen»
Tamedia schreibt in einem Werbeprospekt dazu: «Diese Anzeigen – einer Publireportage nicht unähnlich – sind nicht auf den ersten Blick als Werbung zu erkennen.» Die Leser sollen also nicht bemerken, dass sie einen Werbetext lesen statt einen Text einer unabhängigen Redaktion.
Sogenannte Publireportagen simulieren die journalistische Form der Reportage. In Wahrheit handelt es sich dabei ebenfalls um bezahlte Werbung.
Zwar steht über dem Artikel ganz dezent «Presented by J.P. Morgan». Doch das deutet höchstens auf Sponsoring hin – nicht auf einen Werbetext. Suchmaschinen und die meisten Internet-Werbeblocker erkennen den journalistisch aufgemachten Artikel ebenfalls nicht als Werbung.
Tamedia verkauft diese Werbeform auch für die Internetseite von «20 Minuten». Dort tragen solche Artikel Titel wie «Abenteuer mit Pornostars» und kosten 15 000 Franken pro Woche. Der pseudojournalistische Beitrag stammt von einem Erotik-Internetshop. Der aufmerksame Leser bemerkt dies wegen des kleinen Hinweises «Sponsored Content».
Beim Internetportal Watson.ch sind die Hinweise auf Native-Advertising-Artikel etwas grösser und zweifach vorhanden. Das Portal gehört zum Aargauer Medienkonzern AZ Medien. Auf der Internetseite von «Blick am Abend» aus dem Hause Ringier sind solche Werbeartikel grau unterlegt. Das erleichtert es dem Leser zumindest ein wenig, zwischen Werbung und Journalismus zu unterscheiden.
Der Medienwissenschafter Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur stellt fest: «Die Medien werden angesichts der einbrechenden Werbeerlöse immer erfinderischer, um an Geld zu kommen.» Ein Teil der Medien prostituiere sich und untergrabe damit die Glaubwürdigkeit aller Medien. Vinzenz Wyss weist darauf hin, dass intransparentes Native Advertising dem Journalistenkodex des Presserats widerspricht. Nina Scheu von der Mediengewerkschaft Syndicom rät Journalisten davon ab, solche Texte zu schreiben.
Weder bei Tamedia noch bei Ringier und Watson wollen die Verantwortlichen an dieser Werbeform etwas Problematisches erkennen. Alle sagen, es sei klar ersichtlich, dass es sich bei solchen Artikeln um Werbung handle. Weder werde der Leser für dumm verkauft, noch leide die Glaubwürdigkeit der Medientitel.
Deutsche Unternehmer gegen «schleichende Vermischung»
Also alles kein Problem? Doch, und wie, finden ausgerechnet namhafte deutsche Unternehmen. Sie wehren sich gegen die Vermischung von journalistischen und kommerziellen Inhalten. «Unternehmen können sich heute redaktionelle Berichterstattung in einem Ausmass kaufen, wie das vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen war. Und sie machen Gebrauch davon», sagt Jürgen Gramke.
Der Jurist leitet den deutschen Arbeitskreis «Corporate Compliance», der sich mit der Gesetzestreue in der deutschen Wirtschaft befasst. Die rund 40 Mitglieder treffen sich zweimal pro Jahr zur Diskussion – auch über den Umgang mit neuen Werbeformen. Dem Kreis gehören Rechtswissenschafter, ein Bundesrichter, ein Generalstaatsanwalt sowie hochrangige Kadermitarbeiter von dreissig deutschen Unternehmen an – darunter zwölf Grosskonzerne wie Volkswagen, die Deutsche Telekom und Lufthansa.
«In den vergangenen zwei Jahren diskutierten wir auf Wunsch der Unternehmensvertreter intensiv über die schleichende Vermischung von Werbung und Journalismus», sagt Gramke. Um dieser Einhalt zu gebieten, verabschiedete der Arbeitskreis Ende Januar einen «Kodex für die Medienarbeit von Unternehmen». Die Firmen wehren sich aus Furcht vor Reputationsschäden. Sie schreiben im Kodex: «Unternehmen und Medien schulden dem Verbraucher Transparenz, ob ein Beitrag werblich oder redaktionell ist. Der Verbraucher sieht sich bei erkannter Vermischung von Werbung und Redaktion getäuscht und wendet sich von dem Produkt oder dem Unternehmen ab.»