Der Montag gehörte publizistisch der «Berner Zeitung». Das Blatt machte publik, dass der Gefängnisdirektor von Thorberg einzelne Insassen bevorzugt hatte. Und dass er vor seinem Amtsantritt im Bieler Milieu verkehrte. Die Recherche führte dazu, dass der Direktor zurücktreten musste. Alle Schweizer Blätter griffen diese Geschichte auf.
Die Berner Zeitungsleser konnten den süffigen Artikel am Morgen bei Kaffee und Gipfeli gemütlich lesen, sofern sie ein Abo der «Berner Zeitung» für 414 Franken im Jahr gelöst hatten. Oder die Zeitung für Fr. 3.90 am Kiosk gekauft hatten.
Sie konnten gleichzeitig die genau gleiche Geschichte aber auch auf dem Internet lesen – gratis und franko. Der Komfort beim Lesen des langen Artikels im Netz ist zwar nicht ganz so gross wie bei der Lektüre des gedruckten Blatts. Aber der Informationsgehalt der beiden Versionen ist identisch.
Nur die «Neue Zürcher Zeitung» verlangt Geld fürs Internetabo
Wie die «Berner Zeitung», so auch der «Tages-Anzeiger» (Jahresabo 483 Franken), die «Basler Zeitung» (466 Franken, inklusive «Sonntags-Zeitung»), die «Aargauer Zeitung» (455 Franken) und das «St. Galler Tagblatt» (425 Franken, inklusive Sonntagsausgabe). Die Leserschaft findet alle wichtigen redaktionellen Eigenleistungen auf den Internetseiten dieser Blätter gratis und zudem laufend aktualisiert, wenn sich die Geschehnisse weiterentwickeln wie auf dem Berner Thorberg. Die «Aargauer Zeitung» weist bei jedem gedruckten Artikel sogar explizit darauf hin, wenn er auch via Internet verfügbar ist.
Eine Ausnahme ist die «Neue Zürcher Zeitung». Sie verlangt für die Zeitungslektüre im Netz 479 Franken. Das sind 170 Franken weniger als ein Jahresabo der gedruckten Zeitung, bei dem der Online-Zugriff inbegriffen ist.
Viele kostenlose journalistischen Eigenleistungen der Redaktionen sind nicht ganz von der Tragweite der Thorberg-Recherche, aber regional dennoch bedeutsam: Gratis für die «Basler Zeitung»-Netznutzer war zum Beispiel am Mittwoch die Geschichte eines Riehener Exekutivpolitikers und Malermeisters, der von den Aufträgen der Gemeinde ungebührlich profitiert haben soll. Die Leser des «St. Galler Tagblatts» erfuhren am gleichen Tag in der Zeitung und im Netz von einer Thurgauer Gemeinde, die von Hinterbliebenen gesetzwidrig Begräbniskosten verlangte. Und die Leser der «Berner Zeitung» konnten eine Recherche über eine dubiose Privatschule lesen, die ausländische Studenten mit leeren Versprechen anlockte. Die gedruckten und die digitalen Versionen waren identisch.
Die wichtigste Recherche an jenem Mittwoch lieferte der «Tages-Anzeiger». Das Blatt berichtete über die «Steueroptimierung» der Langenthaler Ammann-Gruppe. Dieser Bericht war auf dem Newsnet von «Tages-Anzeiger», «Berner Zeitung», «Bund» und «Basler Zeitung» aufgeschaltet, sodass er unter den Internetlesern gleich landesweite Verbreitung finden konnte.
Die Artikel des «Tages-Anzeigers» dominieren auf der Website von Newsnet. Denn die Hauptredaktion befindet sich in Zürich, wo der «Tages-Anzeiger» erscheint. Das bedeutet, dass zum Beispiel die gedruckte Inlandberichterstattung der «Basler Zeitung» oder des «Bund» auf dieser Website weitgehend fehlt. Der Basler und der Berner Leser finden so beispielsweise kaum Artikel der Bundeshauskorrespondenten ihrer Blätter auf der Newsnet-Homepage. Das heisst, wer diese Artikel lesen will, findet sie nur in der Printform und muss dafür zahlen.
In der Zeitung und im Netz sind weitere journalistische Eigenleistungen verfügbar: Etwa ein hartes Interview mit einem Baselbieter Spitalleiter («Basler Zeitung»), ein feines Porträt des US-Schriftstellers Philip Roth («Tages-Anzeiger») oder eine fundierte Reportage über die Einwanderung in Marokko («Neue Zürcher Zeitung»). Alles steht Wort für Wort auch im Internet.
Aktualität: Gedruckte Zeitung hinkt meist hintennach
Am meisten gleichen sich die Tageszeitungen und die Websites am frühen Morgen. Im Lauf des Tages rücken die gedruckten Texte auf dem Internet zusehends nach unten, zum Teil sind sie am Mittag erst nach mühsamem Navigieren zu finden. Andere, aktuellere Berichte lösen sie im Netz ab. Diese Artikel wiederum finden die Leser dann oft am nächsten Tag in der Tageszeitung.
Fazit: Wer auf die Lust am Zeitungslesen verzichten kann, ist via Internet genauso gut informiert. Im Einzelfall wesentlich schneller, denn alle Artikel werden im Internet laufend aufdatiert.
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