Vor einem Monat war Thao Nguyen auf einer Bergtour in der Furka-Region. Auf dem Rückweg kam die 28-Jährige zu einem Grat. Er war nur etwa fünf Meter lang, aber rechts und links des Weges fiel die Felswand steil ab. Da wurde der Zürcherin Angst. «Meine Kehle schnürte sich zu und mein Bauch zog sich zusammen», sagt sie. «Ein falscher Tritt, und ich wäre im Nichts gelandet.»
Thao Nguyen geht fast jedes Wochenende auf eine Berg- oder Klettertour. «Ich bin in die Alpen verliebt», sagt die Wirtschaftsinformatikerin. Nirgends könne sie so gut abschalten. Doch die Furcht ist ihre ständige Begleiterin. Sie habe Angst, dass ein Gewitter aufziehe, ein Steinschlag niederprassle oder ihre Gruppe sich verirre. «Und wenn ich an eine exponierte Stelle komme, stockt mir der Atem», sagt sie.
Mit ihrer Angst in den Bergen ist Thao Nguyen nicht allein. Auch Evelyne Stock aus Bern kennt das Gefühl: «Ich bin deswegen sogar schon umgekehrt», sagt die 36-Jährige.
Angst kann die Koordination verschlechtern
Angst ist natürlich, sie warnt vor Gefahren und bewahrt den Menschen davor, zu hohe Risiken einzugehen. Doch zu viel Angst kann gefährlich sein und zum Beispiel Schwindel auslösen. Sportpsychologen der Vrije-Universität in Amsterdam fanden Hinweise darauf, dass Angst die Koordination verschlechtert. Und in den Bergen ist Koordination unverzichtbar: Auf einem exponierten Grat oder einem Geröllfeld ist der sichere Tritt überlebenswichtig.
Doch Angst lässt sich kontrollieren. Das sagt Evelyne Stock. Die Hobbybergsteigerin ist Sportpsychologin – sie bietet auch Mentaltraining beim Schweizerischen Alpenclub SAC an. In den Kurs kommen Bergfans jeglichen Alters – vom älteren Wanderer bis zur jungen Extremklettererin. Ihnen ist gemeinsam: Die Angst trübt ihre Freude an den Bergen.
Die drei praktischen Tipps der Sportpsychologin
Laut Evelyne Stock helfen folgende Strategien gegen die Furcht:
- Tief atmen. Im Angstzustand stösst der Körper Stresshormone aus und beschleunigt den Atem – das verstärkt die Angst. Wenn man tief atmet, beruhigt das Körper und Geist. Evelyne Stock rät, das Atmen und Gehen aufeinander abzustimmen. Also zum Beispiel während drei Schritten einzuatmen und während der nächsten drei Schritte auszuatmen. «Dann fällt man in einen beruhigenden Rhythmus.»
- Positiv denken. Laut Stock denken in einer Angstsituation viele Menschen: «Das schaffe ich nie.» Als Folge gehen sie unsicher. Dagegen helfen positive Gedanken, wie zum Beispiel: «Ich habe schon viele steile Stellen überquert. Ich habe kräftige Beine und einen sicheren Tritt.»
Forscher der Universität Utrecht (NL) konnten zeigen, dass Sportler mit positivem Denken Angst und Stress abbauen und so eine bessere Leistung erbringen. n Visualisieren. Wer sich fürchtet, hat oft Katastrophenfantasien. Man stellt sich vor, auszurutschen und abzustürzen. Das verstärkt die Angst. Stock: «Dagegen hilft, sich positive Bilder in Erinnerung zu rufen.» Etwa, wie man konzentriert über einen Grat gegangen ist oder oben auf dem Gipfel gestanden und sich gut fühlte. Das motiviert.
Um all diese Taktiken anzuwenden, braucht es nicht unbedingt einen Kurs. Thao Nguyen hat selbst Strategien gefunden, wie sie ihre Angst überwindet: «Wenn die Furcht kommt, konzentriere ich mich intensiv auf den Weg.» Dann plane sie jeden Schritt im Geist voraus. «Bei einem schmalen Grat überlege ich genau, wo ich meine Füsse aufsetze.» Dabei lege sie sogar fest, wo sie kurz anhalte und tief durchatme. «Diese Planung gibt mir das Gefühl, etwas für meine Sicherheit zu tun», sagt Thao Nguyen. So könne sie sich von der Angst distanzieren. «Die Furcht ist dann gar nicht mehr meine Feindin, sondern hilft mir sogar dabei, eine bessere Bergsteigerin zu sein.»
Tipps: So wandern Sie sicher
- Wanderwege mit gelben Wegweisern sind für alle geeignet. Für rot-weiss markierte Routen braucht es Bergerfahrung, und für blau-weisse Kletterkenntnisse. Auf speziellen Wanderkarten sind diese Schwierigkeitsgrade klar erkenntlich.
- Tragen Sie hohe Wanderschuhe, welche die Knöchel schützen. Ein gutes Profil ist unverzichtbar, besonders empfehlenswert sind Schuhe mit Sohlen aus abriebfestem Gummi.
- Nehmen Sie genügend Wasser und Essen mit.
- Wandern Sie regelmässig. Je mehr Sie üben, desto sicherer fühlen Sie sich.
- SAC-Mentaltraining. Infos unter www.sac-alpin.ch Telefon 031 370 18 18
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