Die Post vermeldete einen neuen Rekord bei bei der Zustellung von Paketen. Insgesamt verteilte sie im vergangenen Jahr fast ein Viertel mehr Sendungen als 2019. Die Kehrseite der Medaille: Die Paketzusteller sind enorm unter Druck. Adresse suchen, rasch ausladen, klingeln und gleich weiterhetzen – das macht André Pfister (Name geändert) durchschnittlich 150- bis 160-mal pro Tag. Manche Empfänger erhalten mehrere Sendungen gleichzeitig. Pro Tag ergibt das ein Total von 200 zugestellten Paketen.
Start um 5.30 Uhr, selten vor 20 Uhr daheim
Pfister arbeitet für den Lieferdienst DPD Schweiz. DPD ist eine Tochtergesellschaft der französischen Post. Für ein Paket bleiben ihm rechnerisch rund drei Minuten. Doch Pfister braucht nach eigenen Angaben viel länger, er macht jeden Tag Überstunden. «Für Pausen habe ich keine Zeit», sagt der Fahrer, der aus Furcht vor Sanktionen nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden will. Er esse und trinke während des Fahrens, um Zeit zu sparen. Und: «Ich und meine Kurier-Kollegen urinieren aus Zeitmangel oft am Strassenrand oder in eine PET-Fasche im Auto.»
Die Touren so schnell zu erledigen, wie es der Dienstplan verlangt, sei schlicht nicht möglich, sagt Pfister. Oft arbeite er 12 Stunden pro Tag oder mehr. Um 5.30 oder 6 Uhr beginne seine Arbeit im Paketdepot. Er komme selten früher als um 20 Uhr nach Hause. «Dann bin ich so müde, dass ich schnell einschlafe.»
Auch bei anderen Transportfirmen wie der Schweizer Post, DHL und UPS seien die Arbeitsbedingungen prekär, sagt Holger Bertsch von der Gewerkschaft Unia: «Ein enormer Zeitdruck ist fast überall Alltag.» Die Schweizer Post schreibt saldo, man schaffe laufend neue Stellen, um den Druck auf die Angestellten zu verringern. 2020 habe man 400 zusätzliche Paketpöstler im eigenen Betrieb angestellt.
Die anstrengende Arbeit und der tägliche Stress machen Fahrer krank. Doch bei der Arbeit zu fehlen erzeugt noch grösseren Druck. Als Pfister mal länger krank war, bestellte der Chef ihn wieder ein. «Ich nahm Schmerzmittel und fuhr wieder los. Wochenlang arbeitete ich zugedröhnt.»
Pfister ist wie viele Paketzulieferer bei einem der zahlreichen Subunternehmer von DPD, DHL, UPS oder der Post angestellt. Pfisters Arbeitgeber ist die Parcel Logistic Cube AG in Gipf-Oberfrick AG. Laut Arbeitsvertrag verdient er 3600 Franken brutto für ein 100-Prozent-Pensum, zuzüglich 500 Franken Pauschalspesen für die Pflege des Fahrzeugs, für Telefonate und Verpflegung. Dies für eine 44-Stunden-Woche.
400 Franken mehr Lohn, also total 4000 Franken brutto, erhält Pfister laut Arbeitsvertrag nur dann, wenn er unfallfrei fährt, keine Schäden an seinem Lieferwagen verursacht und es keine «groben Reklamationen» von DPD gibt. Pfister sagt, manche Empfänger würden reklamieren, wenn Kuriere Pakete nur ins Treppenhaus legen und angeblich nicht klingeln würden. Auch wenn ein Paket gestohlen werde, erhalte er die 400 Franken nicht vollumfänglich, sagt Pfister.
Nur lasche Kontrollen der Behörden
Gemäss Vertrag beträgt die Arbeitszeit 44 Stunden. Laut dem Gesamtarbeitsvertrag der Branche dürfen die Überstunden «grundsätzlich» höchstens zwei Stunden pro Tag betragen und müssen durch Lohnzuschläge oder Freizeit abgegolten werden. Das passiert laut André Pfister aber nicht. Viele Fahrer machen das nicht lange mit: Es gebe fast nur junge Angestellte, so Pfister, und wenige hielten länger als ein paar Monate durch.
Der Regulator Postcom schreibt gesetzliche Mindeststandards vor, die für alle Paketzusteller gelten – also für die Post und ebenso für private Dienste wie DPD und DHL. Zudem gibt es Gesamtarbeitsverträge (GAV) für die Post und die privaten Paketdienste. Die Postcom-Standards garantieren einen Mindestlohn von Fr. 18.27 brutto pro Stunde. Der GAV für die privaten Paketdienste gilt für die Firmen, die dem Branchenverband KEP + Mail angeschlossen sind, zum Beispiel DPD und DHL. Doch die behördlichen Kontrollen sind lasch. Die Postcom büsste 2020 nur einen einzigen Paketzusteller. Den Firmennamen nennt die Behörde gegenüber saldo nicht. Die Firma bezahlte den Angestellten deutlich weniger als den Mindestlohn und hatte zu lange Wochenarbeitszeiten. Die ausgefällte Busse: 6500 Franken.
Viele Anstellungen laufen über Subunternehmer
DPD sagt gegenüber saldo: «Unsere Fahrer sind bei Subunternehmern angestellt, und diese sind für die Einhaltung der Arbeitszeiten und Pausen zuständig.» Wenn es Hinweise auf Verstösse gebe, dann überprüfe man diese. Bei behördlichen Kontrollen erhalte der Betrieb «stets gute Rückmeldungen». Der DPD-Subunternehmer Parcel Logistic Cube nahm gegenüber saldo nicht Stellung. DHL schreibt, man halte sich an das Personalreglement sowie an die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, und die Überstunden würden abgegolten. UPS verzichtete auf eine Stellungnahme.
Auch die Schweizer Post setzt Subunternehmer ein – nach eigenen Angaben rund 300. Sie schreibt saldo, dank Subunternehmern könne man zu Spitzenzeiten sowie abends und an Samstagen die eigenen Mitarbeiter entlasten. Die Post stelle aber die «ganz grosse Mehrheit» der Pakete selber zu.