«Weltparlament» für Flüchtlinge
In seinem Buch «Exit» macht der deutsche Soziologe Thomas Faist Vorschläge für eine Einwanderungspolitik, die nicht nur Vorteile für die Geflohenen, sondern auch für die Aufnahmeländer bringt.
Inhalt
saldo 18/2022
08.11.2022
Letzte Aktualisierung:
09.11.2022
Remo Leupin
Letztes Jahr waren gemäss der Uno-Flüchtlingshilfe weltweit über 89 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 stieg die Zahl auf 100 Millionen.
Der deutsche Soziologe Thomas Faist untersucht in seinem Buch «Exit» die Ursachen der aktuellen Flüchtlingswelle. Und er stellt sie in den geschichtlichen Zusammenhang, um mit «einigen grossen Mythen zur globalen Migration&raq...
Letztes Jahr waren gemäss der Uno-Flüchtlingshilfe weltweit über 89 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 stieg die Zahl auf 100 Millionen.
Der deutsche Soziologe Thomas Faist untersucht in seinem Buch «Exit» die Ursachen der aktuellen Flüchtlingswelle. Und er stellt sie in den geschichtlichen Zusammenhang, um mit «einigen grossen Mythen zur globalen Migration» aufzuräumen, wie er schreibt. Etwa mit der oft gehörten Behauptung, dass noch nie so viele Menschen auf der Flucht gewesen seien wie im 21. Jahrhundert. Zwar stieg die Zahl der Flüchtlinge seit den 1960er-Jahren von 2 auf 3,6 Prozent der Weltbevölkerung. Im 19. Jahrhundert aber waren die Flüchtlingszahlen noch viel höher. Damals flohen Dutzende Millionen von Europäern vor Hunger und Bürgerkriegswirren – unter anderem in die USA.
Einen weiteren Mythos, der heute für politischen Zündstoff sorgt, sieht Faist in der Befürchtung, dass die aktuelle Zuwanderung die Aufnahmeländer politisch und kulturell aus den Fugen bringen könnte. Das sei seit dem Auszug des Homo Sapiens aus Afrika vor rund 200'000 Jahren in der Geschichte der Migration nie geschehen.
Abschottung sei ein hilfloses Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, ist Faist überzeugt. Vielmehr müsste die Zuwanderung «in eine gewinnbringende Mobilität» für alle Beteiligten gewandelt werden.
Dies könne etwa durch «legale Migrationspfade» sowie eine erleichterte Integration der Geflohenen in die Arbeitswelt geschehen. Wichtig sei es auch, die rechtliche und politische Situation der Flüchtlinge zu verbesseren – etwa durch ein globales «Parlament der Migration und Flucht», in dem auch die Betroffenen vertreten wären.
Thomas Faist, «Exit. Warum Menschen aufbrechen. Globale Migration im 21. Jahrhundert», C. H. Beck, München 2022, 400 Seiten, ca. 40 Franken