Der Chirurg Ueli Huber (Name geändert) beklagt gegenüber saldo, dass in seinem Basler Spital viel Material nach nur einmaliger Benutzung weggeworfen wird: Operationskleider und Abdecktücher, Pinzetten, Nadelhalter, Skalpelle und Sauger. Auch Operationsinstrumente wie Bohrer, Rasierer und Navigationszubehör werden nach einmaligem Gebrauch entsorgt.
Im Abfall landen auch Spatel zur Abstrichnahme, die heute vielfach aus Plastik gefertigt sind. Früher waren sie aus Metall. Sie wurden nach Gebrauch desinfiziert und wieder verwendet. Und selbst Arthroskopiegeräte mit integrierten Kameras zur Gelenkspiegelung enden im Kehricht.
Verschärfte Hygienevorschriften erschweren Wiederverwendung
Egal, ob man sich nur ambulant eine Wunde nähen lässt oder nach einer Operation mehrere Nächte im Spital verbringt: Die medizinischen Gegenstände, mit denen Patienten in Berührung kommen, landen nach einmaliger Benutzung vielfach im Sondermüll. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Umwelt verursachten alle Schweizer Spitäler im Jahr 2020 zusammen 16 600 Tonnen Abfälle. Diese gelten als infektiös und müssen verbrannt werden. Im Jahr 2008 waren es noch 10 300 Tonnen. Der Zuwachs beträgt also 60 Prozent.
Bernhard Aufdereggen, Arzt und Präsident der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, kritisiert, dass Bund und Kantone die Anforderungen an die Desinfektion von Medizinprodukten laufend verschärft hätten. Die Folge: «Viele Ärzte gaben die Aufarbeitung und Sterilisation in der eigenen Praxis auf und stellten auf Einwegmaterial um.»
So etwa die Hausarztpraxis am Lindspitz in Winterthur ZH. Gemäss neueren Hygienevorschriften der Kantonsapotheker müsste Hausarzt Cornel Wick die Sterilisierungsanlage in einem separaten Raum mit eigenem Wasseranschluss unterbringen. Das sei aufgrund der Raumaufteilung aber nicht möglich.
Kassen vergüten Sterilisierung von Scheren und Pinzetten nicht
Wick ärgert sich auch darüber, dass er die Desinfektionsspender in seiner Praxis gemäss Hygienevorschriften alle drei Monate erneuern muss. Das sei gemäss Hersteller unnötig. Wick: «Die Anforderungen bringen keinen medizinischen Nutzen und sind weder ökonomisch noch ökologisch.»
Hinzu kommen falsche Anreize bei der Vergütung: Einwegprodukte werden von der Krankenkasse vergütet, sofern sie mehr als drei Franken kosten. Sterilisierte, mehrfach verwendbare Produkte können Hausärzte wie Cornel Wick nicht in Rechnung stellen. Die Kosten für das Sterilisieren von Scheren oder Pinzetten gehen vollständig zu ihren Lasten. Von den rund dreissig Praxen des Ärztenetzwerks Medix Winterthur sterilisiert nur noch eine Praxis diese Produkte.
Ähnlich wie den Arztpraxen ergeht es den Spitälern. Kleinere Spitäler haben ihre Sterilisierungsabteilungen abgeschafft. Seit 2012 erhalten sämtliche Spitäler von den Krankenkassen nur noch eine pauschale Vergütung pro stationärem Patienten nach Art der Behandlung. Das Spital muss alle verwendeten Materialien und Medizingeräte selbst zahlen. Also besorgt die Einkaufsabteilung diese möglichst billig.
Ein Beispiel: In einem Universitätsspital bekommen Patienten vor einer Operation ein Wegwerfhemd, das pro Stück Fr. 1.07 kostet. Mehrwegleibchen kämen das Spital bei der Beschaffung und der Wäsche viel teurer.
Arzt Bernhard Aufdereggen fordert: «Mehrweglösungen müssen in der Tarifierung bessergestellt werden, und Spitäler und Ärzte müssen beim Einsatz von Verbrauchsmaterial und Medizingeräten unbedingt auch auf die Umweltfolgen schauen.»
Bund verteidigt strenge Hygienestandards
Das Bundesamt für Gesundheit verteidigt die Hygienevorschriften: Diese würden auf internationalen Standards beruhen und den Stand der Wissenschaft widerspiegeln. Einzelne Spitäler versuchen die Abfallflut trotzdem einzudämmen. Die Hirslanden-Kliniken in Bern und St. Gallen sowie drei Spitäler der Berner Lindenhof AG sammelten von April 2021 bis Juni 2022 in einem Projekt gebrauchte Operationsinstrumente des US-Herstellers Johnson & Johnson. Dieser liess die über 13 000 Instrumente dekontaminieren und in Einzelteile zerlegen. So kamen 405 Kilogramm Metall und 1041 Kilo Kunststoff zusammen. Das rezyklierte Material soll bei der Produktion neuer Produkte zum Einsatz kommen.