Zwei Autofahrer, die vor zweieinhalb Jahren einen Unfall verursachten, sitzen sich in einem Verhandlungsraum des Bezirksgerichts Bülach ZH gegenüber. Der Kläger verlangt vom Beklagten 3425 Franken – für die Reparatur seines Mercedes der C-Klasse sowie die Kosten des Friedensrichters. Er schildert dem Einzelrichter, wie es im März 2017 zum Unfall kam: «Ich fuhr auf einer Hauptstrasse durch Wallisellen, auf der linken Seite meiner Fahrspur kam es zu einem Stau.» Da er nicht wie die stehenden Autos nach links abbiegen musste, sei er mit 40 km/h rechts an ihnen vorbeigefahren.
Plötzlich sei von rechts aus der Seitenstrasse ein Toyota Verso aufgetaucht. «Ich sah das Auto erst, als es direkt vor mir war.» Er habe sofort gebremst, trotzdem sei es zur Kollision gekommen. «Der Beklagte fuhr, ohne nach links zu schauen, einfach auf die Hauptstrasse.» Deshalb müsse er den Schaden am Mercedes übernehmen: eine beschädigte Motorhaube und einen kaputten Scheinwerfer.
«Rechts an der Kolonne vorbeifahren ist verboten»
Der Beklagte lässt sich von einem Anwalt vertreten. Dieser verlangt die Abweisung der Klage. Sein Klient habe sich korrekt verhalten. «Bevor er auf die Hauptstrasse fuhr, schaute er, ob von links ein Auto kommt. Das war nicht der Fall.» Er habe nicht damit rechnen müssen, dass jemand mit übersetzter Geschwindigkeit rechts an der Kolonne auf dem Velostreifen vorbeifahre. «Das ist verboten, auch wenn viele das immer wieder machen.» Das habe auch die Versicherung des Klägers bestätigt und den Schaden am Auto seines Klienten ohne weiteres bezahlt.
Nach einer kurzen Pause erklärt der Einzelrichter, wie er die Sache sieht. Laut Strassenverkehrsgesetz hafte der Besitzer eines Motorfahrzeugs grundsätzlich für Schäden, die durch den Betrieb des Wagens entstehen – ausser der Geschädigte habe grobfahrlässig gehandelt und den Schädiger treffe keine Schuld. Das bedeute, dass der beklagte Toyota-Fahrer beweisen müsse, dass er selbst nicht schuldhaft handelte. Dessen Behauptung, er habe nach links geschaut und kein Auto gesehen, scheine nicht unbedingt glaubwürdig. Er könne deshalb nur schlecht nachweisen, dass ihn kein Verschulden treffe.
Doch auch den Mercedes-Fahrer treffe «zweifellos» ein Verschulden. «Er hätte die Geschwindigkeit anpassen müssen und eigentlich gar nicht rechts an der Kolonne vorbeifahren dürfen.» Trotzdem sei er aber vortrittsberechtigt gewesen.
Für den Kläger ist das Verfahren ein Verlustgeschäft
Der Richter schlägt vor, dass der Toyota-Fahrer dem Kläger pauschal 1000 Franken zahlt. Doch damit ist der Anwalt des Beklagten nicht einverstanden. Schliesslich einigen sich die Parteien auf einen Vergleich: Der Mercedes-Fahrer reduziert seine Forderung auf 500 Franken. Beide Seiten übernehmen die Hälfte der Gerichtskosten von 300 Franken. Und der Beklagte erhält an seine Anwaltskosten eine Entschädigung von 500 Franken. Für den Kläger war das Verfahren also unter dem Strich ein Verlustgeschäft.
Gerichtskosten sollte man nicht unterschätzen
Wer Geld fordert und eine Klage einreicht, wird zuerst zur Kasse gebeten. Er muss die Verfahrenskosten vorschiessen. Das gilt schon vor dem Friedensrichter oder dem Vermittler, der ersten Instanz in vielen Kantonen. Diese Schlichtungsbehörde ist für die meisten solchen Klagen obligatorisch und kostet auch bei kleinen Streitsummen oft 400 bis 500 Franken.
Kommt vor der Schlichtungsbehörde keine Einigung zustande, erhält die klagende Partei die Klagebewilligung. Nach dem Einreichen der Klage stellt das Bezirks- oder Amtsgericht dem Kläger wieder Rechnung. Die Höhe orientiert sich an der eingeklagten Summe und ist von Kanton zu Kanton, teilweise von Gericht zu Gericht, unterschiedlich. Für eine Klage von knapp 4000 Franken wird nicht selten ein Vorschuss zwischen 500 und 1000 Franken verlangt. Das heisst: Bei Forderungen von nur einigen Tausend Franken ist der Gerichtsweg teuer und risikoreich. Das Gericht legt erst am Schluss fest, wer wie viel Gerichtskosten übernehmen muss. Siegt der Kläger, muss er das dem Gericht vorgeschossene Geld beim Beklagten holen. Und kann nur hoffen, dass dieser zahlungsfähig ist. Sonst zahlt er die Kosten selbst.