Die Frauenzeitschrift «Annabelle» jubelte: «Revolution in der Migränebehandlung». Das neue Migränemittel Aimovig soll die Zahl der schmerzhaften Kopfweh-Attacken vermindern. Eine Studie des Herstellers mit 670 Betroffenen zeigte: Patienten mit häufiger Migräne hatten pro Monat nicht mehr an 18 Tagen Schmerzen, sondern «nur» noch an 11 Tagen. Aimovig ist seit Juli in der Schweiz zugelassen. Laut Reto Agosti, Gründer und Chefarzt des Kopfwehzentrums Hirslanden Zürich, ist die Nachfrage gross.
Doch unabhängige Experten warnen: «Zurückhaltung ist angebracht», sagt etwa der deutsche Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser. Die Gründe: Es gibt keine Studien, die das Mittel mit alten Medikamenten verglichen haben. Man weiss deshalb nicht, ob es besser wirkt. Migräne ist komplex. Es gibt bisher keine einheitliche Therapie. Ärzte verschrieben bisher zum Beispiel Betablocker gegen Stress, Kalziumantagonisten gegen Gefässwandentzündung oder Antidepressiva gegen Stress und Ängste (siehe Merkblatt im PDF). Auch für den Basler Arzt Urspeter Masche kommt Aimovig «nur in Frage, wenn andere Möglichkeiten nichts gebracht haben».
Zudem gibt es noch keine Daten, die zeigen, ob es langfristig sicher ist. Das ist wichtig bei einer chronischen Krankheit. Man weiss zum Beispiel noch nicht, wie sicher das Mittel für Schwangere ist: «Es ist nicht bekannt, ob Aimovig für den Fötus schädlich ist», steht in der Packungsbeilage.
Dabei ist brisant: Viele Migränepatienten sind junge Frauen.
Eine Dosis des Medikaments kostet 690 Franken
Ausserdem sollten auch Menschen mit Herz-Kreislauf-Krankheiten besser verzichten, raten Masche und Becker-Brüser. Denn solche Patienten waren von den klinischen Studien des Herstellers vor der Zulassung ausgeschlossen. Dazu kommt: In der Schweiz zahlen die Krankenkassen das teure Aimovig noch nicht. Alle ein bis zwei Monate müssen sich Migränepatienten das Medikament spritzen lassen. Eine Dosis kostet 690 Franken.
Novartis schreibt saldo, es sei sehr schwierig, Medikamente miteinander zu vergleichen, die vor Migräne schützen: Ältere Mittel würden unterschiedlich gut wirken, zudem würden sie Patienten oft nicht gut vertragen. Wegen der typischen Nebenwirkungen hätten die Studienteilnehmer zudem rasch gemerkt, welches Mittel sie einnehmen.
Weiter schreibt Novartis, es sei üblich, dass Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Krankheiten an klinischen Studien nicht teilnehmen dürfen. Eine Studie an Patienten mit Angina habe jedoch gezeigt, dass Aimovig sich nicht negativ auf ihre Belastbarkeit auswirkte. Studien zur Frage, ob das Medikament auch langfristig wirkt und sicher ist, seien im Gang.