Kunden können beim Internethändler Digitec-Galaxus CO2-Emissionen kompensieren, die durch ihre Käufe entstehen. Sie müssen dazu nur freiwillig auf den Preis einen Aufschlag zahlen. Dieser richtet sich angeblich nach dem «CO2- Fussabdruck des Produkts. Der Kauf eines neuen iPhones 13 wird so um Fr. 2.68 teurer, und der OLED- Bildschirm von Sony kostet Fr. 42.41 mehr. Laut Digitec-Galaxus hat im vergangenen Jahr jeder achte Kunde den Zuschlag fürs Klima bezahlt. 1,4 Millionen Franken kamen so zusammen.
Digitec-Galaxus kauft mit dem Geld der Kunden Kompensationszertifikate. Sie stammen von Klimaschutzprojekten, die angeblich der Atmosphäre CO2 entziehen oder verhindern, dass es austritt. Das geschieht etwa durch den Schutz oder die Aufforstung von Wäldern in Afrika oder den Bau von Solaranlagen in Südamerika.
Verkäufer der Zertifikate ist South Pole. Die Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich startete als ETH-Start-up und beschäftigt heute 700 Mitarbeiter – sieben Mal so viel wie 2013. South Pole gilt als weltgrösster Zertifikatshändler. Kopf hinter dem Digitec-Geschäft ist South-Pole-Mitarbeiter Bastien Girod, Nationalrat der Grünen aus Zürich.
Wer via Digitec-Galaxus seine Klimasünden ausgleichen will, zahlt pro kompensierte Tonne CO2 Fr. 20.30. Er erfährt aber nicht, was mit seinem Geld passiert. Digitec-Galaxus gibt zu, etwa 2 der 20 Franken für sich zu behalten. Von den Fr. 20.30 stehen South Pole also gemäss Digitec-Galaxus Fr. 18.30 zur Verfügung, um Kosten zu decken, Zertifikate zu kaufen und Klimaprojekte zu fördern.
South Pole kann die Zertifikate sehr günstig kaufen
saldo-Recherchen zeigen, wie wenig davon in den Klimaschutz fliesst. Beispiel: das Kariba-Klimaprojekt in Simbabwe. Gemäss South Pole schützt das Projekt 785 000 Hektar Wald an der Südküste des Kariba-Sees vor Abholzung. Aus den Erlösen der Zertifikate finanziert der Projektbetreiber vor Ort etwa eine Biogasanlage, ein Bienenprojekt und einen Gemüsegarten. Das soll Dorfbewohner davon abhalten, im Wald Bäume zu schlagen.
Doch wie viel zahlt South Pole für die Klimazertifikate aus Simbabwe? Rund Fr. 1.40 pro Tonne. Das ergibt sich aus Zahlen, welche die Nachrichtenagentur Bloomberg und die Simbabwer Zeitung «The Herald» veröffentlichten. Von den Fr. 1.40 kommt kaum etwas bei den Dorfbewohnern an. Laut einem «Herald»-Bericht vom Dezember 2019 erwirtschafteten Freiwillige in der Mbire-Region, die beim Kariba-Projekt mitmachen, in fünf Jahren 232 000 Franken, indem sie 850 000 Tonnen CO2 einsparten. Das sind 37 Rappen pro Tonne.
Sprich: Von den Geldern, die ein Konsument zahlte, fliesst nur ein Bruchteil in Klimaprojekte vor Ort. Die Differenz zum South-Pole-Einkaufspreis streicht der Projektentwickler Carbon Green Africa ein. Dessen Mutterfirma ist in der britischen Steueroase Guernsey registriert.
South Pole weigert sich, Zahlen zum Kariba-Projekt zu nennen. Sprecherin Isabel Hagbrink sagt, man habe das Projekt mitentwickelt und viel investiert. Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf würden sich South Pole und der Projektbetreiber anteilig teilen. Hagbrink: «Etwa 75 Prozent des Erlöses fliessen direkt in den Projektbetrieb.» Mit 12 Prozent des Erlöses decke South Pole den eigenen Aufwand. Weitere 12 Prozent deckten Projektkosten Dritter wie externe Kontrollen oder die Registrierung des Projekts. Belege dafür bleibt die Firma schuldig. South Pole schweigt auch zu Umsatz oder Gewinn und verweigert jeden Einblick in ihre Geschäftsberichte.
«Die allermeisten Zertifikate bringen dem Klima nichts»
Jürg Füssler vom Beratungsunternehmen Infras kritisiert, dass «nur wenige Kompensationsanbieter offen ausweisen, wohin die Gelder der Konsumenten fliessen». Diese wüssten nicht, wie klein der Anteil oft ist, der tatsächlich im Klimaschutzprojekt ankommt.
Laut Füssler ist «bei den allermeisten Zertifikaten das Risiko gross, dass sie dem Klima nichts bringen». Das ergab eine im Jahr 2016 publizierte Studie der Europäischen Kommission, für die Füssler und andere Autoren Klimaprojekte überprüften. Nur 2 Prozent bewirkten «mit hoher Wahrscheinlichkeit» eine zusätzliche CO2-Reduktion, deren Höhe die Betreiber auch korrekt auswiesen.
Ergänzung zum Artikel
Von freiwilligen Kompensationszahlungen für verursachtes CO2 kommt oft wenig in Klimaschutzprojekten an. Fünf Jahre lang erhielten zum Beispiel lokale Aktivisten des Kariba-Projekts in Simbabwe 37 Rappen pro kompensierte Tonne CO2. Das schrieb die Tageszeitung «The Herald» im Jahr 2019. Das Projekt soll 785 000 Hektar Wald vor Rodung schützen.
Seit 2020 zahlen Kunden des Internethändlers Digitec-Galaxus Fr. 20.30 pro Tonne kompensiertes CO2. Die CO2- Zertifikate stammen von der Zürcher Firma South Pole. Nach Erscheinen des Artikels teilte South-Pole-Chef Renat Heuberger mit, die Erlöse aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten seien seit 2019 gestiegen. 2021 habe man rund 20 Millionen Franken an den Kariba-Betreiber Carbon Green Investments überwiesen. South Pole gab saldo nachträglich Einblick in den Vertrag von 2020. Demnach erhalten von den rund 20 Franken, welche Kunden pro Tonne CO2 bezahlen:
- Fr. 2.– Digitec-Galaxus
- Fr. 5.– South Pole
- Fr. 4.– Carbon Green Investments
- Rund Fr. 3.50 Behörden von Simbabwe.
- Der Rest von rund Fr. 5.50 geht an die Bauern und Projekte vor Ort.
CO2-Verursacher als Klimaschützer
Im September 2020 gab die französische Erdölfirma Total bekannt, dass sie erstmals «klimaneutrales» Flüssiggas an die Firma Cnooc in China geliefert habe. Beide Firmen hatten CO2-Zertifikate bei der South Pole AG gekauft, um Klimaschäden des Gas-Deals auszugleichen. Durchschnittspreis: Fr. 2.60 pro Tonne. Auch der Zementriese Holcim verkauft seit 2021 den «ersten klimaneutralen Beton der Schweiz» – dank South-Pole-Zertifikaten. Nick Beglinger, Geschäftsführer der Zürcher Stiftung Cleantech21, kritisiert South Pole. Grosse CO2-Verursacher könnten sich so als Klimaschützer aufspielen und gleichzeitig das Klima weiter schädigen. South Pole sagt, man habe «keine Kontrolle» über das Marketing der Geschäftspartner.