Die Jagd der Krankenkassen nach Kunden beginnt jeden Herbst von neuem – mit viel Werbeaufwand und telefonischer Belästigung der Bevölkerung. Alle Kassen verkaufen genau dasselbe Produkt: die Leistungen der obligatorischen Grundversicherung. Nur die Prämien unterscheiden sich.
Für jeden Ökonomen ist klar: 61 Verwaltungen für die gleiche Versicherung kosten mehr als eine. Eine einzige Geschäftsleitung, ein einziges EDV-System sowie eine zentrale Kontrolle aller Rechnungen von Spitälern, Ärzten und Apothekern führen zu mehr Effizienz und senken die Kosten. Und die Ausgaben für Werbung fallen weg.
Wirklichen Wettbewerb gibts nur bei der Jagd auf «gute Risiken»
Deshalb fordert eine Volksinitiative, dass die obligatorische Grundversicherung in Zukunft von einer einzigen Krankenkasse durchzuführen sei. Denn die heutige Konkurrenz zwischen den vielen Kassen führe nicht zu mehr Effizienz oder tieferen Kosten. Es handle sich um einen «Pseudowettbewerb», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr. Der einzige Wettbewerb unter den Kassen bestehe in der Jagd auf junge, gesunde Prämienzahler. Die grüne Berner Nationalrätin Regula Rytz ergänzt: «In der obligatorischen Grundversicherung gibt es ohnehin keinen Markt. Jede Versicherung muss von Gesetzes wegen das Gleiche verkaufen.»
Trotzdem hatte die Initiative für eine Einheitskasse weder im Ständerat noch im Nationalrat eine Chance. Der Nationalrat schickte den Vorschlag im März mit 124 zu 61 Stimmen bachab. Der Ständerat hatte die Initiative im Dezember mit 28 zu 13 deutlich abgelehnt. Das zeigt: Die Mehrheit der Parlamentarier will nichts von einer Einheitskrankenkasse wissen.
Doch wen haben sie bei ihrem Entscheid vertreten – die Wähler und Prämienzahler oder die bestehenden Krankenkassen, die mit dem heutigen System sehr gut leben? Antworten geben die Köpfe, die in der breit angelaufenen Propaganda gegen die Einheitskasse auftreten.
Einsitz in Lobby-organisationen und Verwaltungsräten
Zum Beispiel der Freiburger CVP-Ständerat Urs Schwaller. Er spricht sich in der Zeitung der Krankenkasse Concordia «Care» wie im Magazin «Login» der Groupe Mutuel gegen die Einheitskasse aus. Schwaller gehört zum 17-köpfigen Präsidium von «Alliance Santé». Diese Organisation ist ein Zusammenschluss von Parlamentariern und Exponenten aus dem Gesundheitswesen. Sie setzt sich nach eigenen Angaben «für ein wettbewerbliches Gesundheitssystem ein und lehnt die Forderung nach einer Einheitskasse ab». Rund 140 Parlamentarier und Regierungsräte unterstützen die Forderung von «Alliance Santé».
Schwaller ist auch sonst mit den Krankenkassen eng verbandelt. Er sitzt im Stiftungsrat der Ombudsstelle der Krankenversicherer – gemeinsam mit Alt-Ständerat Christoffel Brändli (SVP, GR) und der Alt-Ständerätin Christiane Langenberger (FDP, VD) sowie Nikolai Dittli, Geschäftsführer der Concordia. Schwaller ist zudem in der «Groupe de réflexion santé» aktiv.
Hinter diesem unverdächtigen Namen verbirgt sich nichts anderes als eine Lobby der Groupe Mutuel. Diese Kasse zählt mit ihren 1,4 Millionen Versicherten zu den grössten Krankenversicherern. Dort trifft Schwaller bei den Sitzungen auf andere sogenannte Volksvertreter: etwa den Berner BDP-Nationalrat Lorenz Hess, den Thurgauer SVP-Ständerat und Groupe-Mutuel-Verwaltungsrat Roland Eberle, den Solothurner SVP-Nationalrat Roland F. Borer, den Zuger FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti, die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel und den Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl. Stahl erhält auch seinen Lohn von der Groupe Mutuel: Er ist Mitglied der Direktion.
Ein weiterer Vertreter der Lobby «Alliance Santé» ist der Tessiner FDP-Nationalrat Ignazio Cassis. Er ist auch im Vorstand von «Curafutura» dabei – einer Allianz der Krankenversicherer Helsana, CSS, Sanitas und KPT, «die sich für ein wettbewerblich organisiertes Gesundheitssystem» einsetzt.
Bestens vernetzt in Kassen und Pharmakreisen ist auch der Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller: Er sitzt unter anderem im Verwaltungsrat des Krankenversicherers Sanitas und ist Mitglied der «Arbeitsgruppe Gesundheitswesen VIPS». Dahinter steckt niemand Geringerer als die Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz.
Politische Propaganda durch Krankenkassen ist nicht zulässig
Viele Parlamentarier sind auch in einem «Forum Gesundheit Schweiz» aktiv. Gemäss Leitbild setzen sie sich «für ein qualitativ hochstehendes und kosteneffizientes Gesundheitswesen mit wettbewerblichen Elementen» ein.
In der Tageszeitung «Südostschweiz» nahm Forumsmitglied und Bündner Ständerat Martin Schmid nach der Abstimmung über die Einheitskasse kein Blatt vor den Mund: In der Rubrik «Direkt aus Bern» schrieb er: «Entgegen den Behauptungen der Initianten, dass eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens die Gesundheitskosten und damit die Prämien senken würde, ist das Gegenteil der Fall.» Die Initiative sei deshalb im Ständerat zu Recht abgelehnt worden.
Je näher das Datum der Volksabstimmung rückt, desto grösser die Propaganda der Kassen gegen das Volksbegehren. Die Initianten bezeichnen das als «widerrechtlich». Klar ist: Eine staatliche Einheitskasse widerspricht den Interessen der Versicherer. Aber klar ist auch: Der Bund hat schon mehrmals betont, dass die Krankenkassen «mit der Ausführung einer öffentlichen Bundesaufgabe betraute Organe» sind.
Im Vorfeld von Abstimmungen müssten sie deshalb die gleichen Grundsätze und Spielregeln befolgen wie staatliche Behörden: zurückhaltend, verhältnismässig und objektiv informieren. Das Bundesamt für Gesundheit verweist auf ein Rundschreiben von 2008. Darin heisst es: «Politische Propaganda durch Krankenversicherer ist als unzulässig zu qualifizieren.»
Forum Gesundheit Schweiz
Lobby mit 16 National- und 6 Ständeräten
Diese Parlamentarier und Parlamentarierinnen sind beim Forum Gesundheit Schweiz mit dabei:
- Nationalräte Thomas Aeschi (SVP, ZG), Christoph Blocher (SVP, ZH), Toni Bortoluzzi (SVP, ZH), Martin Candinas (CVP, GR), Christophe Darbellay (Präsident CVP Schweiz), Ida Glanzmann-Hunkeler (Vizepräsidentin CVP Schweiz), Ruth Humbel (CVP, AG), Maja Ingold (EVP, ZH), Markus Lehmann (CVP, BS), Yves Nidegger (SVP, GE), Bruno Pezzatti (FDP, ZG), Rosmarie Quadranti-Stahel (BDP, ZH), Marco Romano (CVP, TI), Barbara Schmid-Federer (CVP, ZH), Jürg Stahl (SVP, ZH) und Hansruedi Wandfluh (SVP, BE).
- Ständeräte Peter Bieri (CVP, ZG), Joachim Eder (FDP, ZG), Peter Föhn (SVP, SZ), Konrad Graber (CVP, LU), Alex Kuprecht (SVP, SZ) und Martin Schmid (FDP, GR).