Das Urteil der Forscher ist klar: «Bei praktisch allen Medientiteln ist eine deutlich ablehnende Haltung der Initiative gegenüber festzustellen», heisst es im «Abstimmungsmonitor» über die in der Schweizer Presse erschienenen Artikel zur Initiative Pro Service public.
Die Wissenschafter des Zürcher Instituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) erfassten die Berichterstattung von 22 Schweizer Zeitungen über die vier Abstimmungsvorlagen vom 5. Juni 2016. Ihr Befund: Die Berichterstattung vor allem über die Pro-Service-public-Initiative war bei 17 von 22 Zeitungen sehr einseitig.
Die Forscher konstatierten in ihrer Auswertung: «Ausgeprägt negativ gegenüber der Vorlage» war insbesondere die Berichterstattung in diesen Titeln:
- «Südostschweiz»
- «Neue Zürcher Zeitung»
- «Neue Luzerner Zeitung».
Letztere ist eine Tochtergesellschaft der NZZ.
Besonders einseitige Berichterstattung zu Pro Service public
Zur Illustration präsentieren die Forscher eine Tabelle, welche die «negative Tonalität» der untersuchten Zeitungen auf einer Skala von 0 (ausgewogene Berichterstattung) bis minus 100 (ausschliesslich negative Berichterstattung) darstellt. In der Deutschschweiz kommt das Institut bei der Pro-Service-public-Initiative auf den rekordverdächtigen Wert von –42. Weniger negativ war die Tonalität der Berichterstattung bei der «Milchkuh»-Initiative zur Autobahnfinanzierung. Sie kommt auf einen Wert von –35. Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen kommt auf einen Wert von –27.
Diese einseitige Berichterstattung zeigt: Die Journalisten übernahmen kritiklos die Empfehlungen der Behörden und Parteien, welche die Pro-Service-public-Initiative unisono ablehnten. Die Zürcher Forscher kommen zu überraschenden Ergebnissen, was die einzelnen Tageszeitungen angeht. Ausgerechnet die «Südostschweiz» im Randkanton Graubünden, der auf einen funktionierenden Service public am meisten angewiesen wäre, berichtet mit einem Wert von –73 am negativsten über die Initiative. Der Tenor: «Eine Initiative, die Angst und Schrecken verbreitet», wie einer der redaktionellen Titel lautete. Bei den Wochentiteln erzielt die «Sonntags-Zeitung» mit –86 einen noch negativeren Wert. Der «Blick» kümmerte sich mit einem Wert von –36 ebenfalls nicht gross um Ausgewogenheit. Ganz im Stil des groben Boulevards unterstellte er den Initianten sogar, sich vom eigenen Initiativtext zu distanzieren. Gemäss der Untersuchung der Uni Zürich bemühten sich vor allem «20 Minuten» und die «Basler Zeitung» um Fairness, die «Weltwoche» unterstützte das Volksbegehren als einzige.
Eine Phalanx von durchwegs negativen Stimmen
Auch die Auswahl der zitierten Personen war einseitig: «Starke Ablehnung der Initiative bei den Akteuren», heisst es dazu in der Studie. Die Journalisten befragten also vor allem Leute, welche die eigene ablehnende Meinung bestätigten. Zwar kamen teilweise auch die Befürworter zu Wort, aber sie traten an gegen eine Phalanx von durchwegs negativen Stimmen von der SP (–72) über den Bundesrat (–93) bis hin zu den Wirtschaftsverbänden (–100).
Ein Blick auf die vergleichbare Erhebung über das bedingungslose Grundeinkommen zeigt ein anderes Bild: So berichteten «20 Minuten», «Schweiz am Sonntag» und vor allem «Blick am Abend» positiv. Die restlichen Titel kritisierten die Initiative, am stärksten die «Weltwoche» mit einem Wert von –75 und die «Südostschweiz» mit –65.
Einseitig war auch die Berichterstattung zur «Milchkuh»-Initiative: Ausser bei «Le Matin» fand diese Vorlage nur Ablehnung in der Presse. «Blick am Abend» und «Weltwoche» waren zwar ausgeglichen, aber widmeten dem Thema lediglich wenige Artikel.
NZZ nimmt einen Drittel der Stimmenden nicht ernst
In der schweizerischen Konsens-Demokratie bemüssigt man sich nach geschlagener Schlacht meist um eine etwas mildere Tonalität. Tatsächlich fanden sich am Montag nach der Abstimmung besonnene Stimmen, wie etwa in der «Berner Zeitung» mit dem Titel «Ein Aufruf zur Debatte über den Service public».
Nicht so die «Neue Zürcher Zeitung», die zwei Tage nach dem Urnengang nachtrat und den Service public als Sinnbild einer «ausufernden Anspruchshaltung» brandmarkte. Ein Drittel der Abstimmenden wird sich da missverstanden fühlen.